Die psychische Gesundheit schützen

In persönlichen Krisen oder bei sehr belastenden Erlebnissen psychischen Erkrankungen vorbeugen

22.06.2022 Von Angelika Völkel

Wenn das eigene Leben nicht mehr ganz rund läuft, wenn man alleine nicht mehr weiterkommt, wenn auch Gespräche mit guten Freund:innen nicht mehr weiterhelfen, kann es ratsam sein, sich professionelle Unterstützung zu suchen, bevor sich das Problem zu einer ernsthaften Lebenskrise oder sogar zu einer psychischen Erkrankung entwickelt.

Anna P. fühlte sich schon seit langem nicht mehr richtig wohl. Die 25-Jährige wusste nicht, ob sie mit ihrem Freund zusammen bleiben sollte, ob der Job wirklich der richtige war, ob sie noch studieren sollte und überhaupt. Sie schlief meistens erst spät ein, weil sie nachts im Bett noch stundenlang über alles nachdachte. Sie fühlte sich psychisch nicht wirklich krank. Aber sie wollte mehr Klarheit in ihr Leben bringen und sich endlich einmal wieder besser fühlen. Nach vielen Gesprächen mit ihrer besten Freundin entschloss sie sich, auch einmal das Gespräch mit einem Therapeuten zu suchen.

Krisen können wichtige Chancen für inneres Wachstum sein

Krisen lassen sich kaum vermeiden. Sie gehören zum Leben. Krisen als Chance zu betrachten, ermöglicht uns, dazuzulernen und zu wachsen. Je nachdem, wie vulnerabel oder resilient ein Mensch ist, kann sich aus einer Krise mittel- bis langfristig auch eine psychische Störung entwickeln. Vulnerabel bedeutet verletzlich, resilient widerstandsfähig. Das sind zwei Begriffe aus der Psychologie. Mit ihrer Hilfe kann man beschreiben, wie jemand im Leben aufgestellt ist oder wie er mit Schwierigkeiten zurechtkommt.

Die junge Frau erkennt, dass sie nicht im Lot ist und dass es ihr bessergehen könnte. Die Gespräche mit ihrer Freundin haben ihr weitergeholfen, aber auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Von einem Therapeuten erwartet sie sich, dass er ihr hilft, mehr Sicherheit zu bekommen und die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Eine Krise stellt einen Bruch mit dem gewohnten Leben dar. Die eigenen Vorstellungen und Werte stimmen häufig nicht mehr mit der Lebenswirklichkeit überein. Wer von einer Lebensphase in die nächste geht, kann einige Lebenseinstellungen oder Verhaltensweisen, die ihm bisher eine Art Sicherheit vermittelt haben, nicht mehr mitnehmen. Das kann eine Krise auslösen.

Genauso können Krankheit oder Tod nahestehender Menschen derart existenzielle Fragen aufwerfen, dass die dem Betroffenen zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht mehr ausreichen, um angemessene Antworten oder Lösungen zu finden.

Das Wort Ressource kommt aus dem Französischen und heißt auf Deutsch Quelle oder auch Hilfsmittel. In der Psychologie sind damit alle Fähigkeiten und Potentiale, die jemandem zur Verfügung stehen, gemeint. Diese werden eingesetzt, um Alltagssituationen so zu beeinflussen oder unangenehme Einflüsse so zu reduzieren, dass man besser mit ihnen zurechtkommt.

Der Umbruch fordert sozusagen auf, die eigene Lebenseinstellung zu hinterfragen. Ein solcher Umbruch kann also gut gelöst werden. Dann führt er dazu, dass der Betroffene sich für Veränderungen oder Korrekturen öffnet oder sich mit anderen Worten also persönlich weiterentwickelt. In manchen Fällen kann ein Umbruch hingegen auch in eine Krise münden. Eine solche Krise wiederum kann sich auch zu einem ernsthaften Risiko für das körperliche und psychische Wohlbefinden entwickeln.

Exkurs: Das Krisen-Modell nach Erik. H. Erikson

Der amerikanische Psychoanalytiker Erik H. Erikson beschreibt in seinem Stufenmodell, dass jeder Mensch mindestens acht Entwicklungsstufen erklimmen muss, um eine gesunde Identität zu entwickeln. Jede Stufe geht dabei mit einer Krise einher. Dreht es sich etwa im ersten Lebensjahr um die Entwicklung von Vertrauen, geht es im Jugendalter vor allem darum, mit sich selbst stimmig zu werden. Im frühen Erwachsenenalter beschäftigt viele Menschen dagegen die Frage, ob sie sich binden sollen und wer dafür in Frage kommt.
Nach dem Modell von Erikson bauen diese Phasen bauen aufeinander auf. Ein Mensch muss auf jeder Stufe eine Krise bewältigen. Gelingt ihm das gut, entwickelt er sich gesund weiter und kann die nächste Entwicklungsstufe erreichen. Gelingt ihm das nicht, bleiben je nach Phase Defizite zurück, zum Beispiel sich selbst und anderen Menschen nicht genug vertrauen können oder unverarbeitete Ängste und unbegründete Schuldgefühle, die das Leben bis ins hohe Alter negativ beeinträchtigen können.

Rechtzeitig Unterstützung suchen

Um mit einer außergewöhnlich herausfordernden Lebenssituation oder einer sich abzeichnenden Krise konstruktiv umgehen zu können, werden Ressourcen benötigt. Wem nicht genug Kraft zur Verfügung steht, der läuft Gefahr, aus dem seelischen Gleichgewicht zu geraten.

Wer sich bereits längere Zeit in einer Krisensituation befindet, sollte sich auf alle Fälle Unterstützung suchen. In Gesprächen mit Familienangehörigen oder Freunden kann man sich mitteilen und herausbekommen, was einen belastet oder quält. Häufig ist es jedoch so, dass das engere Umfeld nicht wahrnimmt, wenn Krisen sich schleichend entwickeln. Außerdem ist nicht jeder, mit dem man ein Vertrauensverhältnis pflegt, in der Lage, die benötigte Unterstützung zu bieten.

Wer sich rechtzeitig professionelle Unterstützung sucht, kann meist seine Ressourcen schützen, stärken oder aktivieren. So lässt sich oft verhindern, dass sich aus einem anfangs überschaubaren Problem eine schwere Krise oder sogar eine psychische Störung, die sich verfestigen kann, entwickelt.