Tabuthema Essstörung
Vom Schönheitsideal über Schlankheitswahn zur Störung?
02.07.2008 Von Ulrike Propach
Jedes Jahr das Gleiche - die ersten schönen Tage locken und frau denkt mit Schrecken daran, die gewünschte Bikini-Figur zu erlangen. Zum Sommer hin sieht man sich plötzlich von allen Seiten umworben, wie man angeblich ganz leicht und schnell fünf, zehn, 15 oder mehr Kilo abnehmen kann. Bikini-Wahn pur. Die Lebensmittel-Werbung übertrifft sich zudem mit Produkten, die angeblich nicht dick, aber fit machen, gut für die Gesundheit sind, das Abnehmen erleichtern oder auch kein Gramm Fett enthalten.
Anfang Juni 2008 war in einem Artikel der dpa bundesweit in den Printmedien zu lesen: "Drei von vier Deutschen wollen bis zum Sommer-Urlaub abnehmen. Das ergab eine repräsentative Online-Umfrage des Marktforschungsinstituts Innofact. Dazu wurden rund 400 Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren befragt. Selbst von den Normalgewichtigen waren laut Umfrage mehr als zwei Drittel der Befragten mit ihrer Figur nicht zufrieden, gut die Hälfte aller Befragten will den Urlaub dazu nutzen, etwas gegen Übergewicht zu tun.
In den Medien liest und hört man derzeit viel darüber, dass die Deutschen zu dick seien. Angeblich ist laut der zweiten nationalen Verzehrstudie von 2008 jeder fünfte Deutsche fettsüchtig (BMI 30 und darüber) und schon jedes sechste Kind bringt demnach zu viel auf die Waage (sieben bis acht Prozent der Kinder seien fettsüchtig).
Berichte über Promis vermitteln jedoch das entgegengesetzte Bild und propagieren Magersein als Schönheitsideal. Schön sein heißt dünn sein, vermitteln einem Casting-Shows im Fernsehen wie auch Berichte über Popstars und Schauspieler in Zeitungen und Zeitschriften. Es ist gar nicht lange her, dass die Zeit des «Heroin-Chic», der angesagteste Model-Look der frühen 90er Jahre mit bleicher Haut, dunklen Augenringe und hervorstehenden Knochen auf dem Laufsteg, zu Ende ging. Inzwischen gibt es Kleidung in Konfektionsgröße "Size Zero", die einer in Deutschland nicht vorhandenen 32 und damit den Maßen einer Zwölfjährigen entspricht.
Zweifelhafte Vorbilder
Als sie 1988 entdeckt wurde, wog Kate Moss bei einer Körpergröße von 1,72 m nur etwa 43 kg und hatte die Maße 84-58-89. Heute wiegt Kate Moss 49 kg bei unveränderter Körpergröße und unveränderten Maßen. Ihr Body-Maß-Index (BMI) beträgt demnach 16.6. Vielfach wurde sie auch als Vertreterin und Begründerin des so genannten „Heroin Chic“ bezeichnet, nachdem sie 1996 in einer Calvin-Klein-Kampagne mit dem Arbeitstitel Heroin Kids zu sehen war. Naomi Campbell ist 1,77 Meter groß und wiegt lediglich 51 Kilo. Das ergibt einen BMI von nur 16. Normal wäre ein BMI von 21-26.
Stars wie Lindsay Lohan oder Calista Flockhart haben sich inzwischen zu Essstörungen und anderen psychischen Problemen geäußert. Lindsay Lohan litt an Magersucht: "Ich war so dürr, dass ich fast gestorben wäre", erklärte sie - doch weiterhin ist die junge Frau noch sehr sehr dünn.
Wer kennt die Bilder aus dem Kinohit "Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück" von Rene Zellweger nicht? Inzwischen sieht die einst runde Schauspielerin jedoch sehr mager aus.
Auch sie schockten mit abgemagerten Körpern: Nicole Richie, Victoria Beckham, Nicole Kidman. Keira Knightley stritt Mutmaßungen über eine Magersucht ab.
Bei der Madrider Modewoche durften 2007 fünf Models nicht auf den Laufsteg, weil sie nicht das festgelegte Mindestgewicht hatten. Es waren nur Models erwünscht mit einem Body-Maß-Index von mindestens 18. Eines der abgewiesenen Models wog bei einer Größe von 1,80 Meter weniger als 50 Kilogramm, was nur einem BMI von unter 16 entspricht.
Was tut man nicht alles für das schlanke Schönheitsideal? Kaum eine Frauenzeitschrift, die nicht bereits von den Diäten der Stars berichtet hat: Seien es Reese Witherspoon, die Ballaststoff-Muffins frühstückt oder Halle Berry, die morgens ein Omelett aus Eiweiß und Haferflocken isst, Drew Barrymore, die Heißhunger auf etwas Süßes mit Götterspeise stillt, oder Beyoncé Knowles, die sich knapp zwei Wochen nur von Wasser mit Limettensaft, Sirup und Cayennepfeffer ernährt haben soll, um zehn Kilo in zehn Tagen abzunehmen.
Zu dick, zu dünn - oder doch genau richtig?
Schokolade vertreibt doch Kummer und Sorgen, der Kaffee schmeckt viel besser mit einem Stück Kuchen und zum Fernsehen gehört ein kühles Bier. Und wer genießt es nicht, in gemütlicher Runde ausgiebig und genüsslich zu Abend zu essen und sich dazu das ein oder andere Glas Wein zu gönnen? Wie macht man es richtig? Was ist ein alltagstauglicher, normaler Umgang mit dem Essen?
Was ist zu dick oder zu dünn und was vor allem normal? Wie viele Menschen in Deutschland haben Normalgewicht? Und haben nur magersüchtige oder fettleibige Personen Essstörungen? Warum erzählt meine Freundin so viel darüber, was sie isst beziehungsweise dadurch auch was sie alles nicht isst? Warum geht der junge Mann inzwischen drei Mal die Woche zum Fitness-Training? Wer kennt sich heute nicht aus mit Kalorienzahlen? Wie gut verkaufen sich Light-Produkte und fettreduzierte Lebensmittel? Und wie oft fällt der Kommentar, ich könnte es mir nicht leisten, jetzt auch noch ein Eis zu essen. Ist es an der Zeit, das eigene Essverhalten mal zu beleuchten?