Kritik an der „klassischen“ Bonding-Therapie

In der von Casriel entwickelten Bonding-Psychotherapie werden Methoden verwendet, die intensive emotionale Erfahrungen auslösen können und bei denen intensive körperliche Nähe eine Rolle spielt.

Viele Menschen erleben jedoch die klassische Bonding-Haltung, bei der sich die Bonding-Partner sehr nahe sind, als unangenehm oder sogar bedrohlich. Das ist vor allem bei Menschen der Fall, die seelische oder körperliche Grenzüberschreitungen – etwa körperlichen oder sexuellen Missbrauch – erlebt haben. Insbesondere bei Traumata durch sexuellen Missbrauch kann die große körperliche Nähe zu einer Retraumatisierung führen.

Als problematisch wird auch angesehen, dass in der Bonding-Arbeit oft mit wechselnden Bonding-Partnern gearbeitet wird. Dies ist für Menschen, die Traumata auf zwischenmenschlicher Ebene erlebt haben, problematisch, weil sie so kein ausreichendes Vertrauen zu ihrem Bonding-Partner aufbauen können.

Deshalb werden in der Bonding-Therapie inzwischen häufig alternative Bonding-Haltungen oder Kontaktmöglichkeiten zwischen den Bonding-Partnern eingesetzt. Zudem wird darauf geachtet, dass zwischen den Partnern der Bonding-Übungen ein gutes Vertrauensverhältnis besteht.

Kritisiert wird an der Bonding-Psychotherapie auch, dass die Aufarbeitung der erlebten Gefühle eher rituell und in der ganzen Gruppe stattfinde und dabei weniger auf die Lebensgeschichten und die individuellen Gefühle der einzelnen Teilnehmer eingegangen werde. Auch darauf wird jedoch in heutigen Formen der Bonding-Psychotherapie stärker geachtet.

Abgewandelte Formen von Bonding

Inzwischen wurden abgewandelte Formen der Bonding-Psychotherapie entwickelt, die sich zum Beispiel auch für besonders verletzliche Patienten wie Patienten mit schweren Traumatisierungen eignen. Hier werden auch traumatherapeutische Methoden in die Therapie einbezogen, etwa aus der psychodynamisch-imaginativen Traumatherapie nach Luise Reddemann. Weiterhin wird besonders darauf geachtet, die Ressourcen und die Resilienz (Widerstandskraft) der Patienten zu fördern.

In der Therapie wird berücksichtigt, dass die Betroffenen viel Zeit für Veränderungen brauchen und mit viel Behutsamkeit vorgegangen werden muss. Weiterhin bemühen sich die Therapeuten, in der Therapie möglichst feinfühlig, emotional aufrichtig und langfristig verlässlich mit ihren Patienten umzugehen.

Mittels einer ausführlichen Anamnese wird in der Therapie auch die Vorgeschichte der Patienten erfasst, so dass die Therapeuten von Anfang an besser über ihre besonderen Verletzlichkeiten Bescheid wissen.

Außerdem wird darauf geachtet, stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten einzugehen – etwa auf ihre Bedürfnisse nach Schutz, körperlicher Unversehrtheit oder Rückzug. Die Therapeuten fragen häufig explizit nach den Bedürfnissen ihrer Patienten, so dass sie diese gezielt berücksichtigen können.

In der Bonding-Arbeit werden vor allem ruhige, entlastende Methoden verwendet, mit denen eine behutsame Annäherung an die eigenen Gefühle möglich ist. Gleichzeitig wird mit kleineren Gruppen gearbeitet, so dass individuellere Begegnungen möglich sind.

Zudem werden die Patienten nicht dazu gedrängt, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben. Der Kontakt zum Bonding-Partner wird so gestaltet, dass beide Bonding-Partner sich damit wohl fühlen. Es muss dabei auch nicht unbedingt ein körperlicher Kontakt stattfinden – als wichtig werden vor allem die emotionale Erfahrung und das Arbeiten mit Gedanken, Gefühlen und Impulsen angesehen.

Patienten, die Lautstärke als bedrohlich erleben, können außerdem in einer „ruhigen“ Gruppe arbeiten, in der sie und die anderen Teilnehmer ihre Gefühle nicht laut herausschreien. Schließlich wird die Möglichkeit für Auszeiten geschaffen.