Angehörige psychisch Kranker (Seite 2/11)

Belastungen für helfende Familienmitglieder

Mehr Verantwortung und Arbeit im Familienalltag und weniger Zeit für sich

Die Angehörigen sind wichtige Bezugspersonen des psychisch Kranken und können eine wichtige Hilfe bei der Bewältigung der Erkrankung sein. Auf der anderen Seite ist die psychische Erkrankung für sie oft selbst psychisch sehr belastend. Deshalb ist es wichtig, dass Angehörige gut für sich selbst sorgen und auf ihre eigene Gesundheit achten. Wenn notwendig, sollten sie sich selbst professionelle Unterstützung suchen.

Selbsthilfegruppen für Angehörige, Informationsveranstaltungen von Kliniken für Angehörige oder die Beteiligung der Angehörigen an einer ambulanten oder stationären Behandlung können hilfreich sein und dazu beitragen, dass Angehörige gut über den Umgang mit dem psychisch kranken Familienmitglied informiert sind und bei konkreten Fragen Unterstützung bekommen.

Angehörige verarbeiten die psychische Erkrankung eines Familienmitglieds sehr unterschiedlich

Angehörige bekommen die psychische Erkrankung eines Familienmitglieds aus nächster Nähe mit. Oft verändert sich dadurch auch der Familienalltag deutlich. Das kann sehr belastend sein und vielfältige, oft auch negative Gefühle hervorrufen.

Viele Familienangehörige möchten den Betroffenen so gut wie möglich unterstützen, damit sich die Erkrankung bald bessert und engagieren sich deshalb sehr intensiv für ihn. Das kann jedoch dazu führen, dass sie zu wenig auf ihre eigenen Bedürfnisse achten und irgendwann selbst psychisch oder körperlich krank werden.

Negative Gefühle wie Angst, Wut, Frust, Scham oder Hilflosigkeit sind bei Angehörigen keine Seltenheit

Eine psychische Erkrankung kann bei den Angehörigen viele unterschiedliche Gefühle auslösen. Auf der einen Seite haben sie Verständnis für den Betroffenen, möchten ihn unterstützen und gehen geduldig mit der Erkrankung um. Sie haben die Hoffnung, dass sich die Erkrankung bald bessert und vermitteln dies auch dem erkrankten Angehörigen.

Auf der anderen Seite erleben Angehörige auch viele negative Gefühle. Dazu gehören Angst und Sorge, Ungeduld, Enttäuschung, Verzweiflung und Hilflosigkeit, Frustration und Wut, Einsamkeitsgefühle oder auch Scham- und Schuldgefühle.

Zum Beispiel machen sie sich Sorgen wegen der psychischen Erkrankung oder darüber, wie es in Zukunft weitergehen soll. Wenn sich die Erkrankung nicht verbessert oder es Rückschläge gibt, kann das Enttäuschung oder Frustration auslösen.

Es kann aber auch sein, dass man wütend wird, wenn der psychisch Erkrankte keine Unterstützung annehmen will oder sich weigert, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Außerdem kommt es vor, dass Angehörige Schuldgefühle haben, weil sie glauben, zu wenig Verständnis und Geduld für den psychisch Kranken aufzubringen oder ihn nicht genügend zu unterstützen.

Welche Phasen der Krankheitsverarbeitung durchleben Angehörige?

Vom Leugnen über Verharmlosung und Unsicherheit hin zur Akzeptanz

Ist ein Familienmitglied psychisch erkrankt, durchlaufen die Angehörigen meist verschiedene Phasen, in denen sie auf die Erkrankung reagieren und die Situation nach und nach verarbeiten.

Am Anfang sind die Symptome der psychischen Erkrankung noch neu. Oft ist der Übergang zwischen normalem Verhalten und einer krankhaften Ausprägung fließend und es ist für die Angehörigen schwierig einzuschätzen, ob bereits eine psychische Erkrankung vorliegt.

Häufig fühlen sie sich verunsichert, machen sich Sorgen und wissen nicht, wie sie am besten mit dem erkrankten Angehörigen und mit der Situation umgehen sollen. Es kommt auch vor, dass eine psychische Erkrankung zu Beginn in der Familie verharmlost, nicht ernst genommen oder verdrängt wird. Dadurch fühlt sich der Betroffene oft allein und unverstanden.

In der nächsten Phase akzeptieren die Angehörigen die psychische Erkrankung allmählich. Nun versuchen sie, den Betroffenen so gut wie möglich zu unterstützen und gemeinsam mit ihm Möglichkeiten zur Bewältigung der Erkrankung zu finden.

Im weiteren Verlauf kann es sein, dass die Erkrankung wieder verschwindet oder so weit zurückgeht, dass der Erkrankte und seine Familie gut damit leben können.

In vielen Fällen besteht eine psychische Erkrankung aber auch über eine längere Zeit oder es kommt nach einer guten Phase zu einem Rückfall in eine neue Krankheitsphase. Rückfälle können zum Beispiel bei einer Depression, einer manisch-depressiven Erkrankung, einer Schizophrenie oder einer Alkohol- oder Drogenproblematik vorkommen. In diesem Fall müssen die Angehörigen den Betroffenen oft über eine längere Zeit unterstützen.

Dauer und Schwere der Erkrankung spielen eine Rolle

Untersuchungen haben gezeigt, dass Angehörige umso mehr belastet sind, je schwerer die psychische Erkrankung ist und je schwieriger die akute Krankheitsphase ist. Ist der psychisch Erkrankte stark beeinträchtigt, müssen die Angehörigen häufig viele Aufgaben für ihn übernehmen. Das kann bedeuten, dass ein Angehöriger seine Freizeitaktivitäten und Freundschaften aufgibt, weil er einfach keine Zeit mehr dafür hat, dass er Nachteile im Beruf in Kauf nehmen muss oder das Gefühl hat, ständig angebunden zu sein. Außerdem kann es auch zu finanziellen Belastungen kommen.

Bei einer schweren, länger anhaltenden psychischen Erkrankung verläuft auch das Leben der Familienangehörigen meist anders, als sie sich das vorgestellt und erhofft haben, was zu Enttäuschung, Frustration und Trauer führen kann oder sogar dazu, dass sie ihre Lebenspläne verändern müssen.

Für jedes Familienmitglied anders

Je nachdem, in welchem Verhältnis jemand zu dem psychisch Erkrankten steht, kann er oder sie die Situation ganz anders erleben und mit anderen Problemen und Belastungen zu kämpfen haben.

Für Eltern ist es meist ein Schock, wenn sie feststellen, dass ihr Kind psychisch krank ist. Oft ist es für sie schwierig, angemessen mit der Erkrankung umzugehen.

Ehe- oder Lebenspartner sind von der psychischen Erkrankung unmittelbar betroffen. Häufig kann der psychisch kranke Partner Gefühle nicht mehr zeigen oder ausreichend erwidern und gemeinsame Aktivitäten und Unternehmungen sind kaum mehr möglich. Dann leidet auch die Partnerschaft.

Für Kinder mit einem psychisch kranken Elternteil ist die Situation, solange sie jung sind, besonders belastend. Aber auch als Erwachsene kann der Umgang mit dem psychisch kranken Elternteil schwierig sein. Zudem leiden sie oft noch unter den Belastungen, die die Erkrankung für sie in ihrer Kindheit und Jugend mit sich gebracht hat.

Geschwister sind oft selbst noch in der Entwicklung. Meist reagieren sie verstört auf die Veränderungen ihres Bruders oder ihrer Schwester und haben selten wirklich Verständnis dafür. Wenn sich die Eltern verstärkt um das psychisch kranke Kind kümmern, können sie sich auch vernachlässigt, allein gelassen oder nicht mehr geliebt fühlen.

Ein weiteres Problem entsteht für die Angehörigen, wenn es in der Familie unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wie mit der Erkrankung umgegangen werden soll, ob und welche Behandlung notwendig ist. Das kann zu Meinungsverschiedenheiten und Streit führen.

Auch die Reaktionen anderer Menschen kann eine Belastung für die Familie darstellen. Diese können mit Unverständnis reagieren, dem psychisch Kranken Vorurteile entgegen bringen oder den Kontakt zu dem psychisch Erkrankten oder seiner Familie meiden.

Mögliche Folgen der Belastungen

Als Folge der Belastungen kann es sein, dass ein Angehöriger irgendwann selbst krank wird. Neben psychischen Problemen können auch körperliche Beschwerden und Erkrankungen auftreten, zum Beispiel starke Anspannung, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Konzentrationsprobleme und eine geringere Leistungsfähigkeit.

Genesung des psychisch kranken Familienmitglieds und Entlastung der Angehörigen sind möglich

Inzwischen gibt es jedoch viele gut wirksame Behandlungsansätze, die die Symptome einer psychischen Erkrankung deutlich reduzieren können. Gleichzeitig gibt es viele Angebote für Angehörige, in denen sie erfahren, wie sie gemeinsam mit dem Betroffenen günstig mit der Erkrankung umgehen können. Dabei lernen sie gleichzeitig, eigene Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen und sich gut um sich selbst zu kümmern.

Auf diese Weise kann es gelingen, dass alle Beteiligten trotz der Erkrankung einen guten Umgang miteinander und eine für alle zufriedenstellende Lösung finden – selbst bei einer schweren oder chronischen psychischen Erkrankung.