Verhaltens­therapie: Ur­sprünge und Grund­la­gen

Die geschichtlichen Hintergründe der Entwicklung der Verhaltenstherapie sowie ihre theoretischen Grundlagen helfen, Funktionsweise, Wirksamkeit und Erfolg der Verhaltenstherapie besser zu verstehen.

Ursprünge

Die Geschichte der Verhaltenstherapie beginnt in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und kann inzwischen in drei Wellen unterteilt werden.

Die erste Welle

Ihren Ursprung fand die erste Welle der Verhaltenstherapie im sogenannten Behaviorismus. Vertreterinnen und Vertreter dieses wissenschaftstheoretischen Konzepts gingen davon aus, dass menschliches Verhalten allein durch naturwissenschaftliche Methoden erforscht werden kann. Innere Prozesse wie das Denken und Fühlen, galten als nebensächlich.

Man nahm an, dass menschliches Verhalten grundsätzlich erlernbar ist, was bedeutet, dass man gewünschtes Verhalten, das zur Bedürfnisbefriedigung des Individuums beiträgt, erlernen und Verhalten, das Bedürfnisbefriedung verhindert, verlernen und umlernen kann.
Wenn jemand beispielsweise aufgrund seines schlechten Sozialverhaltens häufig aus Gruppen ausgeschlossen wird, könnte er sich durch das Erlernen eines sozialverträglicheren Verhaltens besser in bestehende Sozialverbünde integrieren und hätte dadurch ein erfüllenderes Privatleben und mehr Chancen im Berufsleben.

Ursprünglich gingen die Gründer der Verhaltenstherapie im Gegensatz zu Vertretern von tiefenpsychologischen Verfahren von einer Black Box aus. In dieser Box sei alles enthalten, was das Individuum hinsichtlich seiner Fähigkeiten, Vorlieben, Prägungen und Lebensgeschichte geformt und geprägt hätte, was sich aber naturwissenschaftlich nicht messen lassen könne.

Die Inhalte dieser Black Box seien für Außenstehende undurchschaubar und sollten auch nicht analysiert werden. Die Verhaltenstherapie orientierte sich an neurologisch-neurobiologischen Modellen, die den Reiz und dessen messbare Reaktion in den Mittelpunkt stellten.

Die zweite Welle

Die Initiatoren der zweiten Welle kritisierten vor allem das Konzept der Black Box, weil es innere Prozesse wie das Denken und Fühlen nicht berücksichtigen würde.

Aus dieser Kritik entstand in einem Zeitrahmen zwischen den 50er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die kognitive Wende. Das Verhalten sollte nicht mehr einfach nur erlernt werden, sondern die Verhaltenstheorie entwickelte aus einem übungsorientierten Verständnis ein erkenntnistheoretisches Verständnis.

Wichtigen Vertretern wie dem amerikanischen Psychiater und Psychotherapeuten Aaron Beck oder seinem Landsmann und Berufskollegen Albert Ellis ging es darum, dem Verhalten zugrundeliegende innere Prozesse näher zu beschreiben und besser zu verstehen. Die Bedeutung, die den Denkprozessen auf diese Weise beigemessen wird, spiegelt sich auch in der Annahme wider, dass sie hauptverantwortlich für die Entstehung von psychischen Erkrankungen sind.

Als Gegenentwurf zur Psychoanalyse schuf Aaron Beck das Modell der kognitiven Verhaltenstherapie, die vor allem auf seiner Beobachtung basiert, dass beispielsweise depressive Menschen bestimmte stereotype Muster der Wahrnehmung und des Schlussfolgerns aufweisen, die ihren Blick auf die Wirklichkeit trüben und sie in Selbstablehnung und Pessimismus gefangen halten. Albert Ellis schuf mit der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie ein Verfahren, mit dem Patient:innen irrationale Überzeugungen transparent gemacht werden konnte.

Die dritte Welle

Die dritte Welle der Verhaltenstherapie entwickelt sich seit den 80er und 90 Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus unterschiedlichen neuen therapeutischen Ansätzen weiter. Dazu gehören die Schematherapie von Jeffrey Young, die Akzeptanz- und Commitment-Therapie von Hayes, Strosahl und Wilson sowie die Dialektische Verhaltenstherapie von Marsha Linehan. Was all diese Ansätze vereint, ist die Kritik an der bisherigen Verhaltenstherapie, das innere Erleben kontrollieren zu wollen.

Im Zentrum der dritten Welle der Verhaltenstherapie steht die Grundüberzeugung, das Denken und Fühlen nicht durch gezielte Kontrolle, sondern durch Achtsamkeit und Akzeptanz verändern zu wollen.

Achtsamkeit meint in diesem Zusammenhang eine besondere Form der Aufmerksamkeitslenkung auf die Gegenwart. Sie ermöglicht die Wahrnehmung des gegenwärtigen eigenen Erlebens.

Akzeptanz lässt sich am besten mit der Bereitschaft beschreiben, angenehme und unangenehme Erfahrungen ohne Ablehnung aktiv und offen zuzulassen.

Achtsamkeit und Akzeptanz schließen dabei Veränderung nicht aus. Im Gegenteil, sie sind die Grundvoraussetzung dafür. Die Grundannahme ist: Nur wenn das Hier und Jetzt wahrgenommen und ohne Ablehnung zugelassen werden kann, entsteht Raum für Veränderung.

Das Leiden wird als universelles menschliches Problem akzeptiert. Vor diesem Hintergrund ändert sich die frühere Bedeutung der Rollen von Therapeut und Klient als einerseits helfender und andererseits hilfesuchender Person. Stattdessen begegnen sich im therapeutischen Setting nun zwei Menschen in ihrem Leid.

Grundlagen

Verhaltenstherapeutische Verfahren basieren auf Lerntheorien. Das sind Modelle, die psychologisch erklären, wie Menschen sich verhalten oder denken und dementsprechend lernen. Lerntheorien dienen beispielsweise als Basis zur Entwicklung für Lehrmethoden an Schulen. Die bedeutendsten Lerntheorien sind das klassische und das operante Konditionieren, das Modelllernen und das Lernen durch Einsicht.

Klassische Konditionierung - zwei Reize werden miteinander verknüpft

Das bedeutet, dass zwei Reize so miteinander verknüpft werden, dass es in Folge nur mehr eines Reizes bedarf, um eine gewünschte Reaktion zu zeigen. Das berühmteste Beispiel dafür sind die Hunde, mit denen der russische Mediziner Iwan Petrowitsch Pawlow experimentierte. Immer wenn den Hunden das Futter präsentiert wurde, klingelte gleichzeitig eine Glocke. Allein schon das Sehen und Riechen des Futters löste bei den Hunden Speichelfluss aus. Indem die beiden Reize, das Futter und das Klingeln, gleichzeitig präsentiert wurden, reagierten die Hunde nach einer Weile auch mit Speichelfluss, wenn sie nur den Klang der Glocke hörten.
Die klassische Konditionierung funktioniert auch anders herum: Die Verknüpfung kann wieder aufgelöst, also verlernt werden. Das geschieht, wenn beispielsweise ein Klient mit Platzangst erkennt, dass ihm gar nichts Schlimmes passiert, wenn er in einen Fahrstuhl steigt.

Operante Konditionierung – Lernen an den Konsequenzen

Ein Mensch oder ein Tier zeigt eine bestimmte Verhaltensweise häufiger oder seltener, wenn er oder es dafür belohnt oder bestraft wird.

Modelllernen – Verhalten anderer nachahmen

Ein Individuum eignet sich neue Verhaltensweisen an oder verändert schon bestehende, indem es das Verhalten anderer und die darauffolgenden positiven Konsequenzen wahrnimmt, erkennt und deshalb nachahmt.

Lernen durch Einsicht

Das bedeutet, dass jemand einen Sachverhalt spontan und unmittelbar versteht. Er lernt nicht durch Ausprobieren, sondern weil ihm plötzlich klar wird, was die Lösung ist. Umgangssprachlich heißt das auch Gedankenblitz.