Trauer: Ein Anlass für eine Psychotherapie?
Der gesunde Abschluss von Trauerprozessen
08.11.2016 Von Ulrike Propach und Ivana Peric
Der Tod ist fester Bestandteil des Lebens: Jährlich verlieren Millionen Menschen einen geliebten Angehörigen. Trauerprozesse gehören ebenfalls zum Leben.
Viele Betroffene schaffen die Bewältigung des Verlustes alleine und mit der Unterstützung des engeren Umfeldes. Bei anderen Hinterbliebenen hingegen kann die extreme persönliche Ausnahmesituation auch zu psychischen Problemen führen, die nur mit professioneller Unterstützung bewältigt werden können.
Dieser Artikel beschreibt die "normalen" Trauerreaktionen und geht auf die durch den Tod eines nahestehenden Menschen möglichen psychischen Störungen sowie entsprechende Therapiemöglichkeiten im Umgang mit "krankhaftem" Trauern ein.
Was ist Trauer?
Trauern ist ein natürlicher Vorgang und nicht krankhaft. Es ist zugleich Ausdruck des Verlustes und seiner Bewältigung. Alle Kulturen nehmen mit Ritualen Abschied von Menschen.
Der Tod oder die dauerhafte Trennung von einem nahestehenden Menschen ist das einzige herausfordernde Lebensereignis, für das mit der Trauer ein angeborenes Bewältigungsformat besteht.
Der Wechsel zwischen den äußersten Polen – dem Leugnen des Todes über das Einlassen auf den Verlust bis hin zum vollkommenen Loslassen – erinnert an die Phasen einer posttraumatischen Störung.
Um die Wirkung eines Verlustes und das mit ihm verbundene menschliche Verhalten zu verstehen, ist Bindung der Schlüsselbegriff. Damit lassen sich die starken Gefühlsreaktionen erklären, die bei gefährdeter oder zerbrochener Bindung auftreten.
Laut der Bindungstheorie des britischen Psychiaters John Bowlby - einem Vordenker auf diesem Gebiet - stellen Menschen aus einem Schutz- und Sicherheitsbedürfnis heraus starke affektive Bindungen zu anderen Menschen her. Bindungen entwickeln sich früh im Leben, sind gewöhnlich auf wenige ausgesuchte Einzelpersonen gerichtet und bleiben einen Großteil des gesamten Lebens hindurch erhalten.
Situationen, die solche Bindungen gefährden, rufen sehr spezifische Reaktionen hervor: je mehr zu verlieren ist, desto stärker und vielfältiger sind diese Reaktionen.
Was sind typische Trauerreaktionen und Trauersymptome?
Die nach einem schmerzlichen Verlust auftretende normale oder „nicht kompliziert“ genannte Trauer umfasst ein breites Spektrum von Gefühlen und Verhaltensweisen. Hierbei zeigen sich bereits zahlreiche psychische und physische Symptome. Bei Trauernden finden sich also ansatzweise psychische Störungen und psychosomatische Krankheitsbilder in der einen oder anderen Form wieder.
Trauer ist eine normale, quasi gesunde und normalerweise vorübergehende Reaktion, die auch psychische Reaktionen umfasst.
Es gibt eine Reihe allgemeiner Symptome, die in mehr oder weniger ausgeprägter Form bei fast allen Trauernden – in der Regel vorübergehend – auftreten und über die von Trauernden in weitgehend übereinstimmender Weise berichtet wird:
Eine der ersten wissenschaftlichen Arbeiten von Lindemann (1944) benennt Atemprobleme, Kraft-, Appetit- und Schlaflosigkeit, eine intensive Beschäftigung mit dem Bild des Verstorbenen, Schuldgefühle, Selbstbeschuldigungen, aggressive Reaktionen gegen andere und Verhaltensänderungen verschiedenster Art.
In einem der bislang ausführlichsten deutschen Übersichtswerke zum Thema Trauer nennt Bojanovsky (1986) ergänzend Sinnlosigkeit und Leere, Apathie, psychophysische Instabilität, neurotische und reaktive Depressionen, Unruhe und Drogenkonsum.
Die Autoren Schwartz, Weinberger und Singer (1981) berichten von einem erhöhten Risiko der Erkrankung an Herz-Kreislaufstörungen (aufgrund erhöhter Herztätigkeit und Herzfrequenz). Dazu ergänzt Worden (1987) Beklemmungen im Brustbereich, Überempfindlichkeit gegen Lärm, Muskelschwäche, Energiemangel und Mundtrockenheit.
Folgende Bewältigungsstrategien lassen sich häufig beobachten:
- Sozialer Rückzug und Vermeidung von Kontakten oder Situationen, die an die verstorbene Person erinnern
- Hyperaktivität und Ablenkung
- Sinngebung
- Religiosität
- zuversichtliche Lebenseinstellung und Hinwendung zu anderen, um Zuwendung und Trost erhalten.