Rassismus-sensible Psychotherapie notwendig
Rassismus und Diskriminierung können Patient:innen und Psychotherapeut:innen betreffen
Rassismus und Diskriminierung können auch in einer Psychotherapie vorkommen. Sie können sowohl Patient:innen als auch Psychotherapeut:innen mit Migrationshintergrund betreffen. Mit Rassismus ist eine abweichende, meist abwertende Behandlung von Menschen aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds oder ihrer Hautfarbe gemeint. Den Betroffenen wird dabei das Gefühl vermittelt, nicht dazuzugehören. Das kann stark kränken und verunsichern und in manchen Fällen auch eine traumatische Erfahrung sein. Auf diese Weise kann Rassismus zur Entstehung oder Verschlechterung psychischer Erkrankungen beitragen. Neben Menschen aus anderen Kulturen können auch andere Minderheitengruppen von Diskrimierung betroffen sein, zum Beispiel Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität.
Rassismus und Diskriminierung werden in der Psychotherapie selten thematisiert. Auch in der Psychotherapie-Ausbildung findet eine Sensibilisierung für diese Themen bisher kaum statt. Zudem gibt es wenig Forschung, die die Auswirkungen von Rassismuserfahrungen auf die psychische und körperliche Gesundheit untersucht.
Wie kommt es zu Rassismus in der Psychotherapie?
Viele Psychotherapeut:innen glauben, dass die Herkunft oder die Hautfarbe in der Therapie keine Rolle spielen, weil aus ihrer Sicht alle Menschen gleich sind. Das kann aber dazu führen, dass Patient:innen, die Rassismus erlebt haben oder erleben, das Thema nicht ansprechen. Es kann auch sein, dass sie darüber sprechen, aber die Therapeutin oder der Therapeut nicht darauf eingeht oder ihre Erfahrungen verharmlost und herunterspielt. Das kann für die Patient:innen eine neue emotionale Verletzung sein. Sie können das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden und nicht die Unterstützung zu bekommen, die sie brauchen. Auf der anderen Seite kann es sein, dass Therapeut:innen das Anderssein der Patient:innen stark betonen, was bei diesen zu einem Gefühl, diskriminiert zu werden, führen kann. Es kann auch vorkommen, dass Therapeut:innen ihre Patient:innen unbewusst aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe diskriminieren.
Manche Psychotherapeut:innen haben stereotype Annahmen und Vorurteile gegenüber Menschen aus anderen Kulturen und behandeln sie bewusst abwertend oder benachteiligend. In diesem Fall sollten Patient:innen sich umgehend Unterstützung suchen und sich einen anderen Therapeuten oder Therapeutin suchen. Zum Beispiel können sie sich an eine Beratungsstelle für solche Fälle wenden oder eine Beschwerde bei der Psychotherapeutenkammer ihres Bundeslandes einreichen. Weitere Informationen dazu, was man bei Fehlverhalten von Psychotherapeut:innen tun kann, finden sich im Artikel Beschwerden in der Psychotherapie.
Auseinandersetzung mit eigener kultureller Identität
Um unbewusste Diskriminierung in der Psychotherapie zu vermeiden, ist es wichtig, dass Therapeut:innen sich mit ihrer eigenen kulturellen Identität und ihrer Bedeutung im Therapieprozess auseinandersetzen. Dabei sollten sie auch ihre eigene Einstellung gegenüber Menschen hinsichtlich Kultur oder Hautfarbe kritisch hinterfragen. In der Therapie ist es sinnvoll, Merkmale der Herkunft oder der Hautfarbe der Patient:innen bewusst, aber sensibel zu thematisieren. Dabei kann es hilfreich sein, zu sagen, dass man vieles nicht weiß und deshalb viele Fragen stellen und sich die Dinge erläutern lassen möchte. Es kann auch sinnvoll sein, dass Therapeut:innen sich im Erstgespräch bewusst positionieren, zum Beispiel: „Ich bin eine weiße, heterosexuelle Frau“. Auf diese Weise können Patient:innen besser einzuschätzen, ob sie mit dieser Therapeutin oder diesem Therapeuten zusammenarbeiten möchten und sie können sich selbst ebenfalls positionieren.
Die Diagnose „Zielscheibe feindlicher Diskriminierung und Verfolgung“ (Z60.5) im ICD-10 bietet eine Möglichkeit, psychische Belastungen durch Diskriminierung zu codieren und als Belastungsfaktor sichtbar zu machen.
Manche Menschen möchten gezielt mit Therapeut:innen arbeiten, die sich mit dem Thema Rassismus befassen und rassismus-sensible Psychotherapie anbieten. Andere fühlen sich wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit bei Therapeut:innen am wohlsten, die selbst eine einen ähnlichen ethnischen oder kulturellen Hintergrund haben. In Deutschland gibt es einige Therapeut:innen, die rassismus-sensible Psychotherapie anbieten, allerdings sind es bisher nur wenige und sie haben oft lange Wartezeiten.
Organisationen wie My Urbanology, Black in Medicine oder Each One Teach One (siehe auch Serviceteil) können bei der Suche nach Psychotherapeut:innen helfen, die rassismus-sensible Psychotherapie anbieten oder auf die Arbeit mit Menschen mit anderer Hautfarbe spezialisiert sind. Auch Beratungsstellen für Migrant:innen, Frauenberatungsstellen, andere soziale Beratungsstellen oder die Telefonseelsorge können möglicherweise bei einer gezielten Suche helfen.
Verbund „Rasissmuskritische Psychotherapie und Beratung“ bildet aus
Sinnvoll wäre es auch, Inhalte zum Thema Rassismus und Diskriminierung in Studienfächern wie Psychologie, Medizin oder Sozialpädagogik, in der Psychotherapie-Ausbildung und in Facharztausbildungen als festen Ausbildungsbestandteil zu integrieren. Dazu gehört zum einen diskriminierungs- und rassismus-sensibles Denken, das als lebenslanger Lern- und Auseinandersetzungsprozess verstanden werden kann. Zum anderen sollte der Umgang mit Patient:innen mit Rassismuserfahrungen fester Bestandteil der Psychotherapie-Ausbildung sein.
Wer sich auf diskriminierungs- und rassismus-sensible Psychotherapie spezialisieren möchte, muss gezielt nach Studiengängen, Wahlfächern oder Trainings suchen, die sich mit diesem Thema befassen. Inzwischen gibt es jedoch etwas mehr Angebote als noch vor einigen Jahren. So hat sich der Verbund „Rassismuskritische Psychotherapie und Beratung“ zum Ziel gesetzt, Psychotherapeut:innen und Berater:innen für eine rassismuskritische Arbeit auszubilden. Auch die Seite DE_Construct des Portals My Urbanology bietet Weiterbildungsangebote zum Thema rassismus-sensible Therapie und Beratung für Mitarbeitende im psychosozialen Bereich an, etwa für Psychotherapeut:innen und Berater:innen.