Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen

Nicht jede Verhaltensänderung muss eine psychische Störung sein
  • Psychische Erkrankungen sind bei Kindern und Jugendlichen nicht selten: Sie betreffen etwa 20 Prozent der unter 18-Jährigen.
  • Vorübergehende, entwicklungsbedingte Auffälligkeiten müssen hier von behandlungsbedürftigen Erkrankungen abgegrenzt werden.
  • Eltern sollten sich bald an einen Spezialisten wenden, wenn die Auffälligkeiten plötzlich auftreten, stark ausgeprägt sind, über längere Zeit bestehen und das Kind, den Jugendlichen oder seine Bezugspersonen stark belasten.
  • Geeignete Ansprechpartner sind Psychologen, Kinder- und Jugend-Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendpsychiater.
  • Zur Therapie gehören eine umfassende, störungsbezogene Diagnostik und eine mehrere Bausteine umfassende Behandlung. Sie beinhaltet Psychotherapie, psychosoziale Maßnahmen und in einigen Fällen auch eine medikamentöse Behandlung.

Seit dem neuen Schuljahr hat der 13-jährige Leon große Probleme in der Schule. Er wirkt häufig abwesend, nimmt kaum mehr aktiv am Unterricht teil und in den Pausen bleibt er lieber allein. Dabei ging es ihm in der Schule sonst immer sehr gut. Es fiel ihm leicht, gute Leistungen zu erbringen, auch der Wechsel auf die höhere Schule lief reibungslos. Mit den Klassenkameraden kam er immer gut aus. Sein Lehrer will dem veränderten Verhalten des Schülers nachgehen und kontaktiert seine Eltern. Bei einem persönlichen Gespräch mit seiner Mutter erfährt er, dass es zuhause viele Konflikte zwischen Leon und seinen Eltern gibt. Leon treffe sich in letzter Zeit häufig mit Freunden aus dem Sportverein und bliebe zunehmend länger weg, auch über die vereinbarten Zeiten hinaus. Darüber sei er sehr verschlossen. Was er mit seinen Freunden mache, darüber spreche er zuhause gar nicht mehr.

Wenn sich ein sonst lebhaftes Kind mehr und mehr zurückzieht, wenn sich die schulischen Leistungen eines Jugendlichen dramatisch verändern, dann gibt es meistens Gründe. Um zu erkennen, ob ein Kind oder Jugendlicher gefährdet ist, eine psychische Störung zu entwickeln, ist auch ein waches Umfeld wichtig.

Denn je früher eine psychische Unpässlichkeit bemerkt oder eine psychische Störung erkannt wird, desto besser kann der Betroffene behandelt werden. Es ist sehr wichtig, auf veränderte Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen zu achten, diese im Auge zu behalten und nicht darauf zu vertrauen, dass sich alles von allein wieder einrenkt. Denn wer in jungen Jahren unter Ängsten, Depressionen oder anderen psychischen Störungen leidet, ist gefährdet, auch als Erwachsener psychische Störungen zu entwickeln.

Große Unterschiede zwischen Kindern und Jugendlichen

Wenn man von Kindern und Jugendlichen spricht, umfasst das von der Geburt bis zum Erwachsenwerden eine große Lebensspanne mit vielen verschiedenen Phasen und Entwicklungsschritten und zwar in einer Häufigkeit und Intensität, wie sie im Erwachsenenleben nicht mehr auftritt. Deshalb ist es wichtig, einen Unterschied zwischen dem Verhalten eines kleinen Kindes und dem eines Jugendlichen zu machen.

Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) ist die Verwendung der Begriffe Neugeborenes, Säugling, Kleinkind, Kind, Jugendlicher und Erwachsener an nachfolgende Zeiträume gebunden:

  • Neugeborenes bis zum vollendeten 28. Lebenstag
  • Säugling ab Beginn des 29. Lebenstages bis zum vollendeten 12. Lebensmonat
  • Kleinkind ab Beginn des 2. bis zum vollendeten 3. Lebensjahr
  • Kind ab Beginn des 4. bis zum vollendeten 12. Lebensjahr
  • Jugendlicher ab Beginn des 13. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr
  • Erwachsener ab Beginn des 19. Lebensjahres,

Besonders bei sehr kleinen Kindern werden psychische Störungen oft zu spät erkannt, weil sie sich anders darstellen als bei Jugendlichen. Dabei ist es gerade bei ihnen wichtig, die Störung frühzeitig zu erkennen, damit sie nicht chronifizieren oder auch, um rechtzeitig unterstützende Trainings anbieten zu können.

Welche psychische Störungen treten bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten auf?

Jüngste Entwicklungen der Fallzahlen zeigen einen Anstieg

Fast jedes fünfte Kind oder Jugendlicher erkrankt im Laufe eines Jahres an einer psychischen Störung.

Laut einer Studie der Barmer sind mehr als doppelt so viele Kinder und Jugendliche in Psychotherapie als noch vor 11 Jahren. Die Zahl psychischer Erkrankungen hat vor allem unter Jugendlichen zugenommen. Das geht aus einer Analyse von Versichertendaten hervor, die die Krankenkasse KKH veröffentlichte.

Bei Essstörungen wie Magersucht und Bulimie sei in dieser Altersgruppe ein überdurchschnittliches Plus von rund sieben Prozent festzustellen. In der Regel zeigten Jahresvergleiche eine Veränderung von maximal drei bis vier Prozent, so die Krankenkasse.

Weitere Daten zeigten, dass die Fälle besonders bei Jugendlichen nicht erst seit Beginn der Pandemie, sondern bereits seit Jahren zunähmen. Einerseits sei dies auf eine zunehmende Sensibilität für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zurückzuführen. Anderseits spielten auch Entwicklungen wie hoher Leistungsdruck durch Schule und Eltern, Mobbing in sozialen Netzwerken, Versagensängste und schwierige soziale Familienverhältnisse eine Rolle.

Wer als Kind oder Jugendliche psychisch erkrankt, ist auch als Erwachsener psychisch stärker gefährdet. Über die Hälfte aller psychischen Erkrankungen entstehen bereits vor dem 19. Lebensjahr.

Das sind die zentralen Kennziffern des „Faktenblatts Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen“, das die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) veröffentlicht hat.

Dabei kann es sich um folgende Störungen handeln:

  • Angststörungen
  • Depressionen
  • ADHS
  • Selbsttötung (Suizid)
  • Essstörungen
  • Sucht
  • Traumatisierungen
  • Störungen des Sozialverhaltens
  • Selbstverletzendes Verhalten

Häufigste Störungen sind Angststörungen, depressive, hyperkinetische sowie dissoziale Störungen (dauerhaft aufsässiges und aggressives Verhalten).

Einer psychischen Störung geht meist eine unbewältigte Entwicklungskrise voraus. Angststörungen treten beispielsweise besonders dann auf, wenn typische Entwicklungsaufgaben in den entsprechenden Lebensabschnitten nicht ausreichend bewältigt werden: Das kann der Fall sein, wenn ein Grundschulkind noch unter Trennungsängsten leidet und sich dem regelmäßigen Schulbesuch nicht gewachsen fühlt. Das kommt oft vor, wenn Jugendliche mit den Veränderungen ihres Körpers während der Pubertät nicht zurechtkommen.

Woran erkennen Sie, dass etwas nicht stimmt?

Nicht jede Verhaltensänderung bedeutet, dass der Betroffene eine psychische Störung entwickelt. Wichtig ist, wie lange die Veränderung anhält, ob sie früher schon einmal aufgetreten ist oder ob sie immer wieder auftritt. Dann kann es sinnvoll sein, vorübergehend einen Kalender, in dem die Phasen eingetragen werden, zu führen.

Wenn ein Kind oder Jugendlicher nicht mehr richtig schläft, nicht mehr gern zum Sport geht oder seine Freunde nicht mehr treffen möchte, dann kann das durchaus als Warnsignal verstanden werden.

Erste Warnzeichen können also unter anderem sein: Das Kind oder der Jugendliche

  • zieht sich zurück,
  • wirkt traurig,
  • hat kein Interesse mehr an Dingen, die sonst Spaß gemacht haben,
  • wirkt insgesamt passiv und desinteressiert,
  • nässt ein nach einer dauerhafter Trockenphase,
  • vernachlässigt Schule und Hobbies,
  • wird schnell aggressiv,
  • ist im Gespräch nicht mehr so zugänglich,
  • schläft schlecht, hat Albträume oder
  • kann sich schlechter konzentrieren, die Aufmerksamkeit ist nicht mehr so hoch

Manchmal macht sich das veränderte Verhalten situationsabhängig bemerkbar. Unter Umständen ist ein Problem schon dadurch zu beseitigen, dass man solche Belastungssituationen vorübergehend meidet.

Oft genug bemerken auch andere Bezugspersonen des Kindes oder des Jugendlichen, zum Beispiel Großeltern, Erzieher im Kindergarten, Lehrer oder Betreuer die Veränderungen. Ein Austausch unter den Bezugspersonen kann dann besonders wichtig sein, um das Ausmaß der Veränderung besser einschätzen zu können. Denn zu oft versuchen Eltern mit ihrem Kind viel zu lange das Problem allein zu lösen. Man sollte nicht zu lange warten, auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Wann sollten Eltern psychotherapeu­tische Hilfe für ihr Kind suchen?

Fast alle Kinder und Jugendliche verhalten sich vorübergehend auffällig – oder ihre Entwicklung verläuft eine Zeit lang besorgniserregend für ihre Eltern. Oft sind die Auffälligkeiten nur vorübergehend oder lassen sich mit relativ einfachen Mitteln beheben.

Es gibt aber Warnsignale, die auf das Vorliegen eines tatsächlich schwerwiegenderen Problems hinweisen, bei dem es sinnvoll ist, sich professionelle Hilfe zu suchen. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein Kind oder Jugendlicher sich plötzlich und ohne erkennbaren Grund deutlich verändert. Auch ein ungewöhnliches Verhalten oder Symptom, das phasenweise auftritt und für eine gewisse Zeit wieder verschwindet (z. B. ausgeprägte Lustlosigkeit und Niedergeschlagenheit), kann ein Hinweis auf eine behandlungsbedürftige Störung sein.

Problematisch ist auch, wenn die Symptome über mehrere Wochen anhalten, stark ausgeprägt sind und/oder sehr häufig auftreten. Wenn die Eltern feststellen, dass auch Lehrer, Erzieher im Kindergarten oder die Großeltern über Auffälligkeiten berichten und sich Sorgen machen, ist das ein Hinweis darauf, dass die Probleme in vielen Situationen auftreten – und dass es sinnvoll sein kann, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Dies ist auch der Fall, wenn sich das Kind und/oder die Eltern durch das Problem stark belastet fühlen.

Wo finden Eltern psychisch kranker Kinder kompetente Unterstützung?

Gezielte Hilfe können Eltern bei einem Psychologen, Kinder- und Jugend-Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendpsychiater erhalten: Er kann einschätzen, ob die psychischen Auffälligkeiten eine Behandlung notwendig machen und welche Art von Therapie am geeignetsten ist. Auch der Kinder- und Jugendarzt bzw. der Hausarzt kann eine erste Anlaufstelle sein. Er kann sich ein Bild von der Problematik machen und das Kind oder den Jugendlichen, wenn notwendig, an einen Spezialisten überweisen.

Liegt eine psychische Erkrankung vor, wird in vielen Fällen eine so genannte multimodale Therapie durchgeführt: Hier werden unterschiedliche Therapiemaßnahmen miteinander kombiniert, um so möglichst gute Voraussetzungen für eine Besserung zu schaffen.

Im Mittelpunkt steht dabei eine psychotherapeutische Behandlung, die speziell auf die Probleme des Kindes oder Jugendlichen abgestimmt ist. Weitere Elemente sind die Aufklärung und Beratung der Eltern, familientherapeutische Maßnahmen (zum Beispiel Gespräche mit der ganzen Familie, Therapiemaßnahmen innerhalb der Familie), Maßnahmen im Kindergarten oder in der Schule und in einigen Fällen auch eine medikamentöse Behandlung.

Oft kann diese Therapie ambulant durchgeführt werden. Bei schwer ausgeprägten Problemen, oder wenn mehrere psychische Erkrankungen gleichzeitig bestehen, ist jedoch eine stationäre oder teilstationäre Behandlung in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik sinnvoll.

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