Privatpraxis statt Kassensitz?

Psychotherapeuten können auch in einer Privatpraxis Betroffenen helfen und ein gutes Auskommen haben

13.07.2022 Von Angelika Völkel


Schon mit 13 Jahren war ihr klar, dass sie Psychologie studieren würde. Warum sich Menschen wie verhalten, warum manche freundlich und ausgeglichen, andere aber unglücklich oder verschlossen sind, das interessierte Franziska B. schon als Kind. Während des Studiums fokussierte sie sich auf klinische Psychologie und lernte die unterschiedlichsten Psychotherapieverfahren kennen. Nach Diplomabschluss, Ausbildung in Verhaltenstherapie und Approbation begab sie sich auf die Suche nach einem Kassensitz, viele Monate lang und leider vergeblich.

Die 31-jährige Psychotherapeutin ließ sich nicht beirren, sondern beraten und machte sich ohne Kassensitz selbstständig. Seit ein paar Jahren führt sie eine private Psychotherapiepraxis und ist glücklich, dass sie ihren Patient:innen meist recht schnell einen Therapieplatz anbieten kann. Auch finanziell steht sie ihren Kolleg:innen in nichts nach, denn ihr Honorar bestimmt sie selbst.

Warum sind Kassensitze für frisch Approbierte knapp und teuer?

Viele junge Psychotherapeut:innen suchen zurzeit einen der sehr raren Kassensitze. Die Kosten für die Übernahme einer Praxis können bis zu 100.000 Euro betragen. In naher Zukunft wird sich daran wohl auch nichts ändern. Denn die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) stuft fast alle Gebiete Deutschlands als überversorgt ein. Die KBV entscheidet, ob und wie viele neue Kassensitze geschaffen werden. Die KBV legte 1999 in der Bedarfsplanung für ganz Deutschland fest, wie viele Psychotherapeut:innen welche Region braucht. Die Anzahl der Sitze wurde auf die Anzahl der damals existierenden Psychotherapeut:innen begrenzt.

Der Begriff Vollversorgung beschreibt im Grunde nur, wie viele Therapeut:innen in jedem Gebiet 1999 niedergelassen waren. Er beschreibt jedoch nicht, wie viele Patient:innen in einem bestimmten Gebiet tatsächlich einen Psychotherapieplatz benötigen – was viel wichtiger wäre. Ist die Vollversorgung erreicht, können Kassensitze nur dann übernommen werden, wenn es Psychotherapeut:innen gibt, die ihren Sitz abgeben und wenn die Interessent:innen in der Lage sind, die dafür geforderten Summen zu bezahlen. Die 1999 niedergelassenen Psychotherapeut:innen erhielten ihren Kassensitz übrigens kostenlos.

Was sind die Vorteile einer Privatpraxis?

Wer als approbierter Psychotherapeut, als approbierte Psychotherapeutin jetzt eine Praxis gründen möchte und über keinen Kassensitz verfügt, kann sich trotzdem selbstständig machen und zunächst privat mit Klient:innen abrechnen. Die Approbation als Psychologischer Psychotherapeut (PP) oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut (KJP) ist eine berufsrechtliche Zulassung, mit der man sich niederlassen darf. Dafür bedarf es keiner Kassenzulassung.

Sollte sich später die Chance ergeben, doch noch einen Kassensitz zu bekommen, kann man die Privatpraxis in Teilzeit weiterführen - wenn eine Kassenpraxis dann noch interessant ist. Denn wenn eine Privatpraxis angelaufen ist, verschafft sie dem Inhaber beziehungsweise der Inhaberin auch viele Vorteile:

Niederlassungsfreiheit

Wer eine Privatpraxis gründen möchte, kann sich niederlassen, wo er möchte. Das nennt man Niederlassungsfreiheit. Kolleg:innen mit Kassensitz sind an einen bestimmten Planungsbereich gebunden. Das heißt, sie müssen sich dort niederlassen, wo der Kassensitz ist und können mit ihrer Praxis nicht so einfach umziehen. Auch wenn es natürlich sinnvoll ist, sich vorher über das Gebiet und den Bedarf an Psychotherapie zu informieren, stehen einem mit einer Privatpraxis sehr viel mehr Möglichkeiten zur Verfügung.

Verfahrensfreiheit

Wer eine Privatpraxis führt, kann auch Psychotherapieverfahren anbieten, die von gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlt werden. Doch Vorsicht! Psychologische Psychotherapeut:innen dürfen andere als die Richtlinienverfahren nur anbieten, wenn sie dafür zusätzlich zur Approbation eine Heilerlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz vorweisen können. Das gilt für die meisten deutschen Bundesländer.

Weniger Bürokratie

Psychotherapeut:innen, die mit ihren Patient:innen privat abrechnen, haben einen deutlich geringeren bürokratischen Aufwand. Die Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen nehmen immer mehr zu. So ist nicht nur die Art und Weise, wie abgerechnet werden darf, vorgeschrieben. Auch den Umfang der Telefonsprechstunde und der Sprechzeiten darf man nicht frei festlegen.

Wenn der Patient selbst bezahlt, kann die Psychotherapie im Grunde sofort beginnen, zumindest kann sie zeitnah angeboten werden. Selbst wenn Patient:innen über eine private Krankenkasse abrechnen, ist der Aufwand sehr viel geringer, als wenn ein Antrag bei einer gesetzlichen Krankenkasse gestellt werden muss. Auch wenn gesetzlich versicherte Patient:innen heute ihren Antrag im ersten Schritt selbst stellen, müssen Psychotherapeut:innen spätestens für eine Langzeittherapie einen Bericht erstellen.

Eine Voraussetzung, um überhaupt eine Psychotherapie beantragen zu können, ist eine Diagnose. Das heißt, dass ein Arzt oder ein Psychotherapeut eine behandlungsbedürftige psychische Störung festgestellt haben müssen. Das gilt für die gesetzlichen, aber auch für die privaten Krankenkassen.

Denn Psychotherapie wird nur dann von einer Krankenkasse übernommen, wenn sie dazu dient, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Wer privat abrechnet, der darf Menschen auch dann behandeln, wenn keine eindeutige Diagnose feststeht, sie aber an ihren Themen arbeiten möchten. Dann ist eine Psychotherapie sogar als Prävention ohne Diagnose möglich.