Alles Wissenswerte zu Psychotherapie (Seite 8/14)

Psychotherapie per Kostenerstattung

So zahlen gesetzliche Krankenkassen die Psychotherapie bei approbierten Psychotherapeuten ohne Kassensitz

Unzumutbar lange Wartezeiten bei Kassentherapeut*innen sind ein Systemversagen und ermöglichen es Kassenpatienten, sich selbst Behandlungsalternativen zu suchen und die Übernahme der für diese Behandlung anfallenden Kosten vorab bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse zu beantragen: Die Nutzung des sogenannten Kostenerstattungsverfahrens ist seit den Neuregelungen durch die neue Psychotherapie-Richtlinie von 2017 nach wie vor möglich und wird ähnlich gehandhabt wie bisher.

Neu und wichtig für den Erfolg des Antrags auf Kostenerstattung ist, dass ein Patient vor Beginn einer Psychotherapie bei einer psychotherapeutischen Sprechstunde gewesen sein muss.

Die folgenden rechtlichen Hintergrundinformationen klingen erst einmal ziemlich bürokratisch, aber mit den anschließenden Tipps und Hinweisen sowie der Unterstützung des Psychotherapeuten, bei dem die Behandlung stattfinden soll, ist der Antragsprozess in den meisten Fällen gut zu bewältigen.

Keine Nachteile hinsichtlich Qualität und Kosten einer Behandlung

Wichtig zu wissen ist auch, dass den gesetzlich Versicherten über das Kostenerstattungsverfahren hinsichtlich der Behandlungsqualität keine Nachteile entstehen. Vielmehr erhalten sie die gleichen Behandlungsmethoden von identisch qualifizierten approbierten Psychologischen oder Ärztlichen Psychotherapeuten (ohne sogenannten Kassensitz), wie wenn sie einen Therapieplatz bei einem Psychotherapeuten mit Kassensitz, der direkt mit den GKVen abrechnen kann, gefunden hätten.

Hinsichtlich der Behandlungskosten entstehen den Versicherten in der Regel auch keine finanziellen Nachteile. Allerdings ist es empfehlenswert, sich bei potenziell in Frage kommenden Psychotherapeuten vor der Sprechstunde oder dem Erstgespräch nach den finanziellen Bedingungen einer Psychotherapie im Kostenerstattungsverfahren zu erkundigen.

Warum gibt es die Kostenerstattung?

Rechtlicher Hintergrund

Grundsätzlich müssen gesetzliche Krankenkassen (GKV) eine flächendeckende, bedarfsgerechte und wohnortnahe Versorgung ihrer Versicherten gewährleisten. Darüber hinaus müssen sie rechtzeitig für die notwendige Behandlung ihrer Versicherten sorgen.

Systemversagen

Falls Sie trotz angemessener Suchaktivitäten bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten nur nach einer unzumutbar langen Wartezeit einen Therapieplatz finden, ist Ihre GKV nicht in der Lage, diesen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. In diesen Fällen haben Sie das Recht, sich die notwendige Leistung selbst zu beschaffen. Die Kosten, die Ihnen durch diese selbst beschafften Leistungen entstehen, muss die GKV erstatten. Dieser Anspruch ist in § 13 Absatz 3 SGB V gesetzlich geregelt und gilt gegenüber allen GKVen.

Generell gilt in diesem Zusammenhang allerdings, dass der Patient beim Kostenerstattungsverfahren belegen muss, dass er sich vergeblich bemüht hat, einen Therapieplatz bei einem niedergelassenen Therapeuten mit Kassensitz zu finden. Dazu sollte er Anrufe und Absagen bei einer bestimmten Zahl von Therapeuten schriftlich dokumentieren.

Günstig ist es, wenn der Patient zudem nachweisen kann, dass er sich auch an die Termin-Servicestellen gewandt hat und diese ihm keinen zeitnahen Termin für eine Sprechstunde vermitteln konnten. Auch hier sollte er Absagen in einem Telefonprotokoll festhalten bzw. das Schreiben der Termin-Servicestelle beilegen.

Mittlerweile verweist eine zunehmende Zahl von Krankenkassen für den erforderlichen "Nachweis des Systemversagens", also das Sammeln von Absagen, explizit an die Termin-Servicestellen. D.h. diese Krankenkassen machen es für die Bewilligung des Antrags mehr oder weniger zur Bedingung, dass die Termin-Servicestellen wiederholt (ca. 5 Mal) nicht in der Lage waren, dem Hilfesuchenden unter zumutbaren Bedingungen einen adäquaten Therapieplatz zu vermitteln.

Warum lehnen die Kassen so viele Anträge auf Kostenerstattung ab?

Problem sind Einzelfallentscheidungen aufgrund fehlender einheitlicher rechtlicher Regelungen

Ein Problem der geschilderten Vorgehensweise war und ist, dass es keine eindeutige rechtliche Regelung gibt, unter welchen Bedingungen eine Krankenkasse eine Psychotherapie im Kostenerstattungsverfahren bewilligen muss.

Außerdem gibt es kein standardisiertes Verfahren für die Beantragung. Daher ist es in jedem Fall ratsam, sich zunächst bei der eigenen Krankenkasse zu erkundigen, welche Vorgaben bei ihr für das Kostenerstattungsverfahren gelten.

Vielmehr gilt das Prinzip der Einzelfallentscheidung.

Tipp: Fragen Sie vorab Ihre gesetzliche Krankenkasse nach dem bei der Psychotherapeutensuche im Rahmen der Kostenerstattung "gewünschten" Vorgehen, um nachträglich eine "unliebsame" Überraschung zu vermeiden.

Insgesamt zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass die Krankenkassen Anträge auf Kostenerstattung häufig ablehnen. Patienten können in diesem Fall Widerspruch einlegen.

Wie lassen sich die Chancen auf die Kostenerstattung erhöhen?

Bisher war es beim Kostenerstattungsverfahren wichtig, die Dringlichkeit einer Psychotherapie vom Hausarzt oder einem Facharzt für Psychiatrie bestätigen zu lassen – etwa durch eine Dringlichkeitsbescheinigung mit der Formulierung, dass eine Psychotherapie umgehend geboten sei, um eine Verschlechterung der Symptome zu verhindern.

Die neue Rechtslage seit Einführung der neuen Psychotherapie-Richtlinie im Jahr 2017 besagt, dass vor dem Neu-Beginn einer Psychotherapie eine psychotherapeutische Sprechstunde aufgesucht werden muss. Diese Grundvoraussetzung gilt auch, wenn für die Behandlung eine Kostenerstattung beantragt werden muss. Es sei denn der Klient ist innerhalb der vergangenen 12 Monate wegen einer psychischen Erkrankung bereits stationär behandelt worden

Im Rahmen der Sprechstunde füllt der Therapeut ein Formular (PTV-11) aus, in dem bereits eine Verdachtsdiagnose gestellt wird. Zudem enthält das Formular einen vorläufigen Befundbericht und eine Empfehlung für die Art der Behandlung (z. B. Akutbehandlung, reguläre ambulante Psychotherapie oder stationäre Behandlung). Im Freitext kann der Therapeut außerdem die maximal zumutbare Wartezeit und eine sinnvolle Frequenz der Therapie angeben, um deutlich zu machen, dass eine zeitnahe, regelmäßige Behandlung notwendig ist.

Bisher wird nicht von allen Krankenkassen gefordert, dass für das Kostenerstattungsverfahren eine vorläufige Diagnose vorliegen muss. Allerdings erhöht es vermutlich die Chancen auf eine Bewilligung, wenn der Patient bei einer psychotherapeutischen Sprechstunde war und dem Antrag auf Kostenerstattung ein PTV-11-Formular (mit einer vorläufigen Diagnose und fachlichen Empfehlungen für die Behandlung) beigelegt werden kann.

In der Therapeutensuche von therapie.de finden Sie die Therapeut*innen, die eine psychotherapeutische Sprechstunde anbieten am schnellsten, wenn Sie unter "Abrechnung" den Filter "GKV: Kassenzulassung" setzen.

Wie erwähnt, sollte man sich am besten zunächst bei der eigenen Krankenkasse erkundigen, welche Nachweise sie bei einem Antrag auf Kostenerstattung verlangt.

Welche Tipps gibt die Psychotherapeutenkammer?

Folgende konkrete Tipps zum Vorgehen bei der Antragstellung gibt die Bundespsychotherapeutenkammer, damit die GKV die Kosten übernimmt:

  • Kontaktieren Sie zuerst möglichst viele von Kassen zugelassene Psychotherapeuten in Wohnortnähe und fragen Sie nach einem freien Behandlungsplatz. Wenn Sie zeitnah einen Termin erhalten, nehmen Sie ihn wahr.
  • Da Sie nachweisen müssen, dass keine rechtzeitige Behandlung bei Psychotherapeuten mit Kassenzulassung möglich war, protokollieren Sie Ihre Anrufe (Name, Datum, Uhrzeit und frühestmöglichen Behandlungstermin). Üblicherweise reichen hier Anfragen bei 3 bis 5 Behandlern.
  • Teilen Sie Ihrer Krankenkasse schriftlich mit, dass kurzfristig kein Therapiebeginn bei einem zugelassenen Psychotherapeuten in Wohnortnähe möglich war. Legen Sie dem Schreiben Ihr Anrufprotokoll bei und bitten Sie Ihre Kasse, Ihnen im Rahmen einer angemessenen Frist (z.B. eine Woche) einen Psychotherapeuten mitzuteilen, bei dem Sie zeitnah einen Termin in Wohnortnähe erhalten.
  • Legen Sie auch das Schreiben der Terminservicestellen bei, in dem Ihnen die Kassenärztliche Vereinigung mitgeteilt hat, dass sie Ihnen keinen Behandlungsplatz vermitteln kann.
  • Nach Verstreichen dieser Frist suchen Sie einen approbierten Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung. Diesen bitten Sie um eine schriftliche Bestätigung zur Weitergabe an Ihre Krankenkasse, dass für Sie eine umgehende Behandlung notwendig ist und er Ihnen kurzfristig einen freien Therapieplatz anbieten kann.
  • Anschließend beantragen Sie bei Ihrer Krankenkasse die konkrete Behandlung durch diesen Psychotherapeuten sowie die Erstattung der dafür notwendigen Kosten nach § 13 Absatz 3 SGB V.
  • Wird der Antrag auf Kostenübernahme von der Krankenkasse abgelehnt, kann der Versicherte Widerspruch einlegen. Ein Musterschreiben findet sich im BPtK-Ratgeber Kostenerstattung.
  • Weitere Informationen sowie Musterschreiben finden Sie im BPtK-Ratgeber für psychisch kranke Menschen "Kostenerstattung".

Was müssen Sie bei der Kostenerstattung sonst noch beachten?

Für die Inanspruchnahme dieses sogenannten Kostenerstattungsverfahrens gelten klare Spielregeln, die Sie und Ihr Psychotherapeut unbedingt beachten sollten, um letztendlich nicht doch die Kosten selbst tragen zu müssen:

  • Einen Antrag auf Kostenerstattung dürfen Sie dann stellen, wenn Sie nachweislich dringend eine Psychotherapie benötigen und keinen Therapieplatz mit einer zumutbaren Wartezeit und in einer zumutbaren Entfernung zum Wohnort bei einem Psychotherapeuten mit Kassenzulassung gefunden haben. Wartezeiten, die mehr als drei Monate betragen, gelten grundsätzlich als nicht zumutbar. Eine entsprechende Dringlichkeits- oder Notwendigkeitsbescheinigung kann vom Hausarzt oder von einem anderen Arzt aber eben auch nach dem Erstgespräch vom Kostenerstattungstherapeuten ausgestellt werden.
  • Die Ersatzleistung dürfen nur Psychotherapeuten erbringen, die ebenso qualifiziert sind, wie die Psychotherapeuten mit Kassensitz: Approbierte Psychologische Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Privatpraxis.

    Sie verfügen über die sogenannte Fachkunde in einem der Richtlinienverfahren, die von den gesetzlichen Krankenversicherungen sowohl direkt als auch per Kostenerstattung abgerechnet werden:

    • Analytische Psychotherapie
    • tiefenpsychologische fundierte Psychotherapie
    • Verhaltenstherapie
    • Systemische Therapie und
    • ambulante neuropsychologische Psychotherapie von Psychotherapeuten mit einer Zusatzweiterbildung in Klinischer Neuropsychologie
  • Der Antrag auf Kostenerstattung muss immer vor Beginn der Psychotherapie und von Ihnen selbst gestellt werden. Der behandelnde Psychotherapeut kann das Antragsverfahren unterstützend begleiten. Es besteht in der Regel kein Erstattungsanspruch für Kosten, die vor der Entscheidung der Krankenkasse über den Kostenübernahmeantrag anfallen. Darüber muss der Psychotherapeut den Patienten aufklären, bevor er mit der Behandlung beginnt.
  • Es gilt auch zu beachten, dass unter Umständen für probatorische Sitzungen und die eigentliche Therapie zwei gesonderte Anträge gestellt werden müssen. Das ist der Fall, wenn die GKV zunächst nur die Übernahme der Kosten für die probatorischen Sitzungen genehmigt hat.
  • Die Krankenkassen müssen spätestens drei Wochen nach Eingang über einen Antrag auf Leistungen entschieden haben. Ist eine gutachterliche Stellungnahme erforderlich, verlängert sich diese Frist auf fünf Wochen. Lässt die GKV diese Fristen ohne vorherige schriftliche Mitteilung einer Begründung verstreichen, gilt der Kostenübernahmeantrag als genehmigt. Die Krankenkassen sind dann zur Übernahme der Kosten, die aus der Beschaffung der notwendigen Leistung durch den Leistungsberechtigten selbst resultieren, verpflichtet.
  • Die selbst beschaffte Behandlung durch einen Psychotherapeuten ohne Kassensitz ist eine reine Privatbehandlung. Daher darf die Krankenkasse die Vergütung im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens eigentlich nicht auf den Satz beschränken, den ein zugelassener Psychotherapeut von der Kassenärztlichen Vereinigung erhalten würde. Das ist rechtswidrig, aber durchaus gängige Praxis. Daher haben Sie einen Anspruch auf wirtschaftliche Aufklärung durch den Behandler, falls absehbar ist, dass die tatsächlich anfallenden Behandlungskosten den Vergütungssatz für zugelassene Psychotherapeuten übersteigen und für den übersteigenden Teil der Vergütung eine Kostenübernahme durch die GKV nicht sichergestellt ist. Andernfalls haben Sie einen Schadensersatzanspruch in Höhe des überschießenden Betrages. Diesen darf der Therapeut ohne Aufklärung nicht mehr in Rechnung stellen.

Ebenfalls nützliche Informationen beinhalten die Informationen zur "Kostenerstattung nach §13 Abs. 3 SGB V" der Psychotherapeutenkammer NRW.

Um auf therapie.de eingetragene Psychotherapeuten, die über das Kostenerstattungsverfahren abrechnen, zu finden, wählen Sie bitte in der Psychotherapeutensuche von therapie.de im Dropdown-Menü "Abrechnung" den Punkt "GKV im Kostenerstattungsverfahren" aus.

Ist eine Kostenerstattung auch bei Heilpraktikerleistungen möglich?

Einzelne Ausnahmen in Regionen mit besonders großem Psychotherapeuten-Mangel möglich

In Regionen mit besonders ausgeprägtem Mangel an approbierten psychologischen PsychotherapeutInnen und daraus resultierenden unzumutbar langen Wartezeiten, bekannt sind bis zu 12 Monate, sind die gesetzlichen Krankenkassen in der Praxis dazu übergegangen in einzelnen Ausnahmefällen auch die Kosten für psychotherapeutische Behandlungen durch Heilpraktiker für Psychotherapie per Kostenerstattung zu übernehmen.

Auch hierzu empfehlen wir den gesetzlich versicherten Hilfesuchenden, die in Regionen mit derart langen Wartezeiten bei approbierten Psychologischen Psychotherapeuten einen Therapieplatz suchen, dringend, sich vorab bei ihrer Krankenkasse nach den genauen Bedingungen für eine Kostenerstattung bei einer Heilpraktiker-Behandlung zu erkundigen.