Psychische Gesundheit fördern und erhalten (Seite 4/9)

Wie psychische Krankheiten entstehen

Da psychische Belastungen langfristig zu einer psychischen Störung führen können, ist es wichtig, Warnsignale bei sich und anderen rechtzeitig zu erkennen. Je früher Sie sich Unterstützung suchen, desto besser sind die Prognose und die Heilungschancen.

Anpassungsstörung: Schwierigkeiten mit Veränderungen

Wer mit den Veränderungen, die von außen an ihn herangetragen werden, nicht zurechtkommt, kann eine Anpassungsstörung entwickeln. Viele Menschen hatten schon Probleme, mit Lebensveränderungen zurechtzukommen. Nicht alle entwickeln eine Anpassungsstörung und nicht alle Menschen mit einer Anpassungsstörung entwickeln daraus eine schwerere Störung.

Eine Anpassungsstörung ist eine Reaktion auf ein einmaliges oder ein fortbestehendes belastendes Lebensereignis, die sich in negativen Veränderungen des Gemütszustandes oder auch in Störungen des Sozialverhaltens ausdrücken kann. Sie tritt auf, wenn sich Menschen einer neuen Lebenssituation nicht angemessen anpassen können, daher auch die Bezeichnung. Die Betroffenen erleben Zustände von Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigungen, ihre sozialen Beziehungen werden belastet und die Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt, was einen hohen Leidensdruck erzeugen kann.

Fast allen psychischen Erkrankungen gehen psychosoziale oder körperliche Belastungen voraus. Bei den Anpassungsstörungen stellen diese Belastungen sogar die Voraussetzung dafür dar, um diese Diagnose überhaupt stellen zu können.

Auslösende Stressoren können beispielsweise anhaltende private oder berufliche Konflikte sein, auch finanzielle Schwierigkeiten, belastende Ereignisse wie Krankheit oder Tod im eigenen Umfeld. Sogar Lebensereignisse wie eine Heirat oder die Geburt eines Kindes, die von vielen Menschen als positiv wahrgenommen werden, können eine Anpassungsstörung nach sich ziehen. Es ist aber nicht wichtig, wie die meisten anderen Menschen ein solches Ereignis einschätzen würden, sondern dass dem Betroffenen die nötigen Ressourcen fehlen, um angemessen damit umzugehen.

Eine Anpassungsstörung dauert meist nicht länger als sechs Monate an, außer bei der längeren depressiven Reaktion.

F43.2 Anpassungsstörungen

Wenn Extrembelastungen psychisch krank machen

Akute Belastungsreaktion

Ein schwerwiegendes Ereignis, zum Beispiel ein Unfall oder ein anderer Schicksalsschlag kann auch einen psychisch gesunden Menschen derart belasten, dass er kurzfristig eine vorübergehende akute Belastungsreaktion entwickeln kann. Umgangssprachlich wird diese Störung oft als Nervenzusammenbruch bezeichnet.

Meistens klingt diese Störung binnen Stunden oder Tagen wieder ab. Die Betroffenen erleiden häufig eine Art Betäubung mit einer gewissen Einengung ihres Bewusstseins, einer eingeschränkten Aufmerksamkeit und einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten. Sie können kurzfristig desorientiert, unruhig oder hyperaktiv sein und schaffen es meist nicht, das Erlebte in Worte zu fassen. Manche Betroffene haben auch eine vollständige Erinnerungslücke. Außerdem können körperliche Beschwerden wie Übelkeit und Kopfdruck hinzukommen.

Auftreten der Störung und ihr Schweregrad hängen von der individuellen Vulnerabilität und den zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen ab. Vegetative Zeichen panischer Angst wie Herzrasen, Schwitzen und Erröten treten zumeist auf. Die Symptome erscheinen meist innerhalb von Minuten nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder drei Tagen, oft innerhalb von Stunden zurück. Es kann auch eine teilweise oder vollständige Amnesie des auslösenden Ereignisses vorkommen. Amnesie bedeutet Gedächtnisverlust.

In manchen Fällen kann diese akute Belastungsreaktion in eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), eine schwere psychische Erkrankung, übergehen. Im Rahmen der Erstversorgung sollte deshalb eine kurzfristige Krisenintervention erfolgen. Auch anschließend kann eine psychologische Begleitung notwendig und wichtig sein, um der Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung entgegenzuwirken. Bei guter Versorgung ist die Prognose günstig, dass die Belastungsreaktion innerhalb von höchstens vier Wochen abklingt.

Posttraumatische Belastungsstörung

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entsteht als eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes. Die Ereignisse, die die Traumatisierung auslösen, können von längerer oder kürzerer Dauer sein, zum Beispiel ein schwerer Unfall, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriegshandlungen. Die Betroffenen empfinden währenddessen Gefühle von Angst, Schutzlosigkeit und Hilflosigkeit oder Kontrollverlust.

Typisch für die PTBS sind die sogenannten Symptome des Wiedererlebens, die sich den Betroffenen tagsüber in Form von Erinnerungen an das Trauma, Tagträumen oder Flashbacks, nachts in Angstträumen aufdrängen. Als Flashbacks werden unwillkürliche, vorübergehende Erinnerungen bezeichnet, die plötzlich nach einem Schlüsselreiz, also einem Trigger, erneut durchlebt werden müssen. Als Gegenstück dazu können die Vermeidungssymptome, die meistens parallel zu den Symptomen des Wiedererlebens auftreten, bezeichnet werden. Das sind emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit der Umgebung und anderen Menschen gegenüber.

Außerdem werden bestimmte Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten, bewusst vermieden. Manchmal können wichtige Aspekte des traumatischen Erlebnisses nicht mehr oder nicht mehr vollständig erinnert werden. Häufig kommt ein Zustand vegetativer Übererregtheit dazu, der sich in Form von Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhter Wachsamkeit oder ausgeprägter Schreckhaftigkeit zeigen kann.

Die Störung entsteht als eine mögliche Folge auf das traumatische Ereignis. Solche auslösenden Erlebnisse können nahezu jeden Menschen in tiefe Verzweiflung stürzen, worin ein Unterschied zur Anpassungsstörung besteht, die durch Belastungsfaktoren jeglichen Schweregrades ausgelöst werden kann. Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung können auch durch traumatische Ereignisse verursacht werden, die andere Menschen, etwa nahe Angehörige durchlebt haben.
Angst und Depression treten oft im Zusammenhang mit diesen Symptomen auf, auch Suizidgedanken. Diese Störung kann wenige Wochen bis Monate nach dem traumatischen Ereignis eintreten. Der Krankheitsverlauf ist unterschiedlich, in den meisten Fällen kann die Störung überwunden werden. Manchmal nimmt die PTBS einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.
Der neurobiologische Prozess, der bei einer PTBS im Gehirn abläuft, konnte noch nicht ausreichend erforscht werden.

Es ist wichtig, dass Betroffene rechtzeitig psychiatrisch untersucht und psychotherapeutisch behandelt werden. Meist können die Betroffenen ambulant behandelt werden. Ein Klinikaufenthalt kann jedoch wichtig sein, wenn Patient:innen zusätzlich zur PTBS unter schweren depressiven Symptomen, einer akuten psychotischen Störung leiden oder sie gefährdet sind, sich selbst etwas anzutun.

Die Behandlung besteht in erster Linie aus einer traumafokussierenden Psychotherapie, je nach Bedarf mit medikamentöser Unterstützung. Ziel ist es, dem Betroffenen im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans dabei zu helfen, Kontrolle über seine ungewollt auftretenden Erinnerungen zu bekommen und Begleitsymptome wie Angst, Depressivität, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen abzubauen. Der Betroffene soll dabei unterstützt werden, dass er das Trauma als Teil seiner Lebensgeschichte integrieren kann und sein Leben insgesamt wieder so selbstständig und zufriedenstellend wie vor dem Ereignis führen kann.

Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung

Wenn es gut läuft, verfügen viele Menschen über genügend Ressourcen, um den Anforderungen, die das Leben stellt, gerecht zu werden. Strömt allerdings zu viel auf jemanden ein und kann er die Belastungen nicht mehr ausgleichen, können psychische Störungen entstehen.

Eine andauernde Persönlichkeitsänderung kann beispielsweise entstehen, wenn jemand eine Belastung katastrophalen Ausmaßes erlebt. Die Belastung muss dabei so extrem sein, dass die meisten Menschen es nicht schaffen würden, damit zurechtzukommen. Der Betroffene zeigt eine feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt, er zieht sich sozial zurück, er fühlt sich leer oder hoffnungslos, er empfindet ein chronisches Gefühl der Entfremdung und der Anspannung, so als sei er ständig bedroht.

Persönlichkeitsänderungen können auch entstehen, wenn jemand andauernd lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt ist, zum Beispiel als Geisel oder wenn jemand Katastrophen miterleben muss, gefoltert wird oder sich in andauernder Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr befindet.

Andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer Krankheit

Eine andauernde Persönlichkeitsänderung kann auch entstehen, wenn jemand eine schwere psychische Krankheit erlitten hat. Die Betroffenen sind hochgradig abhängig und entwickeln anderen gegenüber eine besondere Anspruchs- und Erwartungshaltung. Sie sind der Überzeugung, durch die Krankheit verändert oder stigmatisiert worden zu sein. Das macht sie unfähig, enge und vertrauensvolle persönliche Beziehungen aufzunehmen und beizubehalten. Außerdem zeigen die Betroffenen Passivität, verminderte Interessen und Vernachlässigung von Freizeitbeschäftigungen. Sie beschweren sich ständig über ihr Kranksein.

F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung

Belastende Persönlichkeitsstile

Jeder Mensch hat einen individuellen Charakter. Die Persönlichkeitsmerkmale sind bei jedem anders ausgeprägt. Sind Charaktermerkmale, Denk- oder Verhaltensweisen jedoch extrem ausgeprägt, dann spricht man von Persönlichkeitsstil. Dazu kommt, dass eine Person diese Merkmale in jeder Situation einsetzt. Persönlichkeitsstile sind die weniger ausgeprägte Form einer Persönlichkeitsstörung. Persönlichkeitsmerkmale sagen etwas darüber aus, wie das Denkmuster, die Wahrnehmung, die Reaktion und das langfristige stabile Verhalten der Person ist. Manche Menschen sind zum Beispiel meist launisch und ziehen sich zurück. Andere neigen dazu, aus sich herauszugehen und sozial zu sein.

Die verschiedenen Persönlichkeitsstile sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich deutlich vom Durchschnitt abheben und auffallen. Im Gegensatz zu einer Persönlichkeitsstörung leiden die Betroffenen aber nicht darunter. Ein Persönlichkeitsstil ist eine Verhaltensneigung, die ungewöhnlich ausgeprägt ist.

Bei einer Persönlichkeitsstörung dagegen hat der Betroffene deutliche Probleme im Alltag, eckt bei anderen an, findet schwer Freunde oder erlebt Ablehnung. Bei einem Stil ist die Besonderheit im Verhalten nicht so extrem ausgeprägt, sodass diese Probleme nicht in dem Ausmaß entstehen.

Auch wenn sich die Störung oft schon im Kindes- und Jugendalter ausbildet, wird die Diagnose Persönlichkeitsstörung im Regelfall erst ab einem Alter von 16 Jahren gestellt. Denn Kinder und Jugendliche durchlaufen in ihrer Entwicklung noch starke Veränderungen.
Ein belastender Persönlichkeitsstil stellt zwar noch keine Diagnose dar. Psychologische Beratung oder Psychotherapie kann den Betroffenen aber dabei unterstützen, den eigenen Blick auf das Leben und das damit verbundene Verhaltensrepertoire zu erweitern. Wer besser mit sich und seinen Mitmenschen umgehen und Probleme bewältigen kann, wird psychisch deutlich stabiler.

Bereich Persönlichkeitsstörungen