Selbstwertgefühl

Das subjektive Gefühl über den eigenen Wert

20.12.2021 Von Dr. Christine Amrhein

Julia, eine 23jährige Studentin, fühlt sich im Zusammensein mit anderen und in ihrem Studium oft unsicher. In den Kursen und in Gruppen mit anderen Studierenden verhält sie sich meist sehr zurückhaltend und versucht, nicht aufzufallen.

Sie verbringt viel Zeit alleine und arbeitet Zuhause viel für ihr Studium. Häufig gehen ihr Gedanken durch den Kopf wie: „Ich bin unattraktiv und langweilig.“ „ Ich kann mich nicht so gut ausdrücken wie die anderen. Die anderen sind schlauer und attraktiver als ich. “ Außerdem denkt sie oft: „Die anderen werden merken, dass ich unsicher bin. Ich werde mich blamieren und alle werden mich ablehnen.“ Vor Referaten und Prüfungen hat sie – trotz guter Vorbereitung – große Angst und hat schon mehrmals kurz vor solchen Terminen abgesagt.

In einer Beratung berichtet sie, dass ihre Eltern großen Wert darauf gelegt hätten, nach außen zu vermitteln, dass in ihrer Familie „alles in bester Ordnung“ sei. Zuhause hätten sie jedoch genau auf ihre Schulleistungen geachtet und häufig Dinge an ihr kritisiert.

Definition Selbstwertgefühl

Selbstwert ist die Bewertung, die man von sich selbst, seinen Eigenschaften und Fähigkeiten hat. Er ist eine relativ stabile persönliche Eigenschaft. Der Selbstwert wird davon beeinflusst, wie man sich selbst im Moment wahrnimmt und welches Bild man von sich in der Vergangenheit hat. Er wirkt sich auf die Gefühle und das Verhalten aus.

Selbstwertgefühl bezeichnet das
subjektive Gefühl des Werts der
eigenen Person.

Ähnliche Begriffe, die im Alltag verwendet werden, sind Selbstwertschätzung, Selbstachtung oder Selbstbewusstsein. Wenn jemand sich selbst mag und positiv einschätzt, spricht man von einem guten oder hohen Selbstwertgefühl. Einige Forscher betonen jedoch, dass es nicht auf ein hohes, sondern auf ein sicheres Selbstwertgefühl ankommt. Das bedeutet, dass sich jemand realistisch einschätzt und ein angemessenes Gefühl gegenüber seinem eigenen Wert hat. Außerdem ist ein sicheres Selbstwertgefühl über die Zeit relativ stabil und eher unabhängig von aktuellen Einflüssen, etwa Leistungen oder sozialer Anerkennung.
Mit Selbstvertrauen oder Selbstsicherheit ist die Einschätzung der eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten gemeint, es ist also ein Teilaspekt des Selbstwerts.

Selbstwert ist eine der drei Komponenten des Selbst

Das Selbstkonzept bezeichnet die kognitive (gedankliche) Komponente des Selbst, also das Gesamtbild, das jemand von sich selbst hat. Es umfasst das Wissen und die Überzeugungen über sich selbst, etwa über die eigenen Werte, Absichten, Gefühle oder Fähigkeiten. Typische Gedanken können zum Beispiel sein: „Ich bin gut in Naturwissenschaften, aber nicht besonders sportlich.“ (Fähigkeiten) oder „Umweltschutz ist mir wichtig, deshalb möchte ich mich in der Politik engagieren.“ (Werte, Absichten)

Selbstwertgefühl ist die gefühlsmäßige Komponente des Selbst

Die handlungsbezogene beziehungsweise motivationale Komponente des Selbst umfasst das Verhalten gegenüber sich selbst, zum Beispiel, wie gut jemand für sich selbst sorgt. Dazu gehört auch die Selbstwirksamkeitserwartung, also die Überzeugung, dass die eigenen Handlungen die gewünschten Konsequenzen haben werden. Sie ist eine wichtige Grundlage des eigenen Handelns.

Das Gesamtbild, das ein Mensch von sich selbst hat, bezeichnet man als globales Selbstkonzept. Es besteht aus spezifischeren Aspekten. So kann man zwischen einem leistungsabhängigen, sozialen, emotionalen und körperlichen Selbstwert unterscheiden. Jemand kann seinen Selbstwert aus subjektiv wahrgenommenen Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften, aus eigenen Leistungen und Erfolgen (etwa im Beruf, bei Freizeitaktivitäten), aus positiven sozialen Beziehungen (in Familie und Partnerschaft, im Freundes- oder im Kollegenkreis) oder aus dem eigenen Körperbild (Aussehen, Sportlichkeit) beziehen. Für jeden Menschen sind dabei verschiedene Bereiche unterschiedlich wichtig für den Selbstwert. Zudem kann der Selbstwert je nach Lebensbereich, Situation oder der Rolle, die man gerade einnimmt, unterschiedlich ausgeprägt sein.

Der soziale Selbstwert hängt auch davon ab, welchen Gruppen man sich zugehörig fühlt und wie man diese bewertet. So kann sich jemand seiner Familie, einer Schulklasse, einem Verein oder einer ethnischen Gruppe zugehörig fühlen. Bewertet man die Gruppen, denen man angehört, positiv, erhöht das den Selbstwert.

Wie kann das Selbstwertgefühl gemessen werden?

In psychologischen Konzepten wird nicht nur unterschieden, ob das Selbstwertgefühl hoch oder niedrig ist, sondern auch, ob es stabil oder instabil ist. Außerdem kann zwischen Selbstwert als Persönlichkeitseigenschaft (trait) oder als Zustand (state) und zwischen bewusstem (explizitem) und unbewusstem, eher gefühlsmäßigem (implizitem) Selbstwert unterschieden werden.

Selbstwert als Persönlichkeitsmerkmal wird meist mit standardisierten Selbstwert-Fragebögen erfasst. Der Selbstwert-Skala von Morris Rosenberg (Rosenberg Self Esteem Scale, RSES, 1965) wird in diesem Zusammenhang häufig verwendet. Mit der deutschen Fassung der Selbstwert-Skala von Rosenberg können Sie Ihren Selbstwert testen.

Um verschiedene Facetten des Selbstwerts zu erfassen, kann die Multidimensionale Selbstwertskala (MSWS) von Schütz und Sellin (2006) eingesetzt werden.

Um Selbstwert als Zustand (wie selbstsicher fühlt man sich im Moment) zu erfassen, wird die mehrdimensionale Selbstwertskala von Heatherton und Polivy (1991) eingesetzt.

Impliziter (also nicht bewusster) Selbstwert kann mit indirekten Verfahren wie dem Impliziten Assoziationstest (IAT) nach Greenwald, McGhee und Schwartz (1998) oder der Initial Preference Task (IPT) von Kitayama und Karasawa (1997) erfasst werden.