Schmerzen ohne Warn- und Schutzfunktion (Seite 2/8)

Somatoforme Schmerzstörungen

Chronische Schmerzen werden nach ICD-10 zu den somatoformen Störungen gezählt

In der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) werden chronische Schmerzen, die zumindest teilweise psychische Ursachen haben, den somatoformen Störungen zugeordnet. Dabei lassen sich folgende Formen unterscheiden.

Welche Arten der somatoformen Schmerzstörung nach ICD-10 sind bekannt?

Anhaltende Schmerzstörung

Hier treten mindestens sechs Monate lang schwere und anhaltende Schmerzen auf, die vermutlich ganz oder teilweise psychische Ursachen haben. Sie führen zu bedeutsamem Leiden und Beeinträchtigungen im persönlichen, sozialen oder beruflichen Bereich. Es lassen sich zwei Arten der anhaltenden Schmerzstörung unterscheiden:

Anhaltende somatoforme Schmerzstörung

Hier bestehen anhaltende, schwere und belastende Schmerzen, die sich nicht durch eine körperliche Störung oder physiologische Prozesse erklären lassen. Die Schmerzen treten vor allem in Zusammenhang mit emotionalen Konflikten und psychischen Belastungen auf. Durch die Konflikte und Belastungen lässt sich erklären, warum die Schmerzen begonnen haben bzw. warum sie bestehen bleiben oder sich phasenweise verstärken. Meist wird wegen der Schmerzen viel persönliche und medizinische Unterstützung benötigt.

Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren

In diesem Fall leidet jemand unter Schmerzen, die sich durch eine körperliche Störung oder einen physiologischen Prozess erklären lassen und die in einer oder mehreren anatomischen Regionen des Körpers bestehen. Allerdings wird angenommen, dass psychische Faktoren bei der Aufrechterhaltung und der Schwere der Schmerzen und bei phasenweisen Verschlechterungen eine wichtige Rolle spielen.

Was versteht der ICD-10 unter chronischen Schmerzen als Begleitsymptome einer körperlichen Erkrankung?

Weiterhin werden in der ICD-10 „chronische unbeeinflussbare Schmerzen“ und „sonstige chronische Schmerzen“ unterschieden, die nicht unter die Kategorie der psychisch bedingten Störungen fallen.

Auch in der S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) werden chronische Schmerzen aufgeführt, die als Begleitsymptome einer körperlichen Erkrankung auftreten (wobei psychische Prozesse vermutlich eine weniger bedeutende Rolle spielen). Dabei wird unterschieden zwischen:

  1. üblichen Schmerzen, die im Rahmen der körperlichen Erkrankung zu erwarten sind
  2. außergewöhnlichen Schmerzen – das heißt Schmerzen, die sich zwar durch die körperliche Schädigung erklären lassen, aber länger anhaltend und intensiver sind, als man es aufgrund der Schädigung erwarten würde

Auch bei diesen Schmerzen kann eine multimodale Schmerztherapie sinnvoll sein, die neben körperlichen auch psychische und soziale Aspekte umfasst.

Frau F., 43 Jahre alt, Hausfrau und Mutter zweier Kinder, berichtet, dass sie vor etwa drei Jahren morgens aufgestanden sei und ein starkes Ziehen im Rücken gespürt habe. Der Schmerz verschlimmert sich in den folgenden Tagen und tritt nun fast ständig auf: Beim Sitzen und Liegen, aber auch beim Stehen und Gehen. Frau F. entschließt sich, zu einem Orthopäden zu gehen, der bei einer radiologischen Untersuchung einen Bandscheibenvorfall diagnostiziert. Auf Empfehlung des Arztes lässt Frau F. sich operieren – doch nach der OP halten die Schmerzen unverändert an.

Von nun an sind die Schmerzen ihr ständiger Begleiter. Frau F. geht regelmäßig zur Krankengymnastik und nimmt starke Schmerzmittel, ohne dass sich etwas verbessert. Deshalb sucht sie immer wieder verschiedene Ärzte auf, die ihr neben neuen Schmerzmitteln auch Behandlungen wie Akupunktur, Elektrotherapie und Biofeedback verordnen – aber auch dadurch ändert sich nichts. Mit der Zeit fällt es Frau F. immer schwerer, ihre Kinder und den Haushalt zu versorgen, so dass ihr Mann ihr immer mehr Arbeiten abnehmen muss. Ihr Leben ist nun vor allem von der Angst vor den Schmerzen bestimmt. Frau F. ist immer weniger aktiv, hat keine Freude mehr am Leben und verfällt immer mehr in eine depressive Stimmung.

Schließlich drängt ihr Mann sie, eine Schmerztherapie bei einem Psychotherapeuten zu beginnen. Dadurch kann Frau F. allmählich ihren Umgang mit den Schmerzen verändern. Sie lernt, dass ihre Angst vor den Schmerzen und ihr passives Verhalten die Schmerzen verstärkt haben. Mithilfe der Therapie gelingt es ihr, ihr Leben wieder aktiver zu gestalten. Dadurch lassen allmählich auch die Schmerzen nach, und Frau F. berichtet, dass sie nun auf ein erträgliches Maß zurückgegangen sind.