Selbstwertgefühl (Seite 2/7)

Theorien zum Selbstwert

Ansätze zur Erkärung des Selbstwert-Konzeptes

Die überwiegende Zahl der Theorien definiert Selbstwert als subjektives Wissen über die eigene Person und betrachtet das Selbstwertgefühl als die Bewertung dieses Wissens.

Es gilt als ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, das eigene Selbstwertgefühl zu schützen und zu stärken.

Theorie der sozialen Vergleiche

Die Theorie der sozialen Vergleiche von Leon Festinger nimmt an, dass der Selbstwert das Ergebnis sozialer Vergleiche ist. Er wird davon beeinflusst, mit welchen Personen oder Gruppen man sich vergleicht und welche Merkmale man dafür heranzieht:

Vergleicht sich jemand mit Personen oder Gruppen, die in einem bestimmten Merkmal (zum Beispiel den Schulleistungen) besser sind, verringert das den Selbstwert. Vergleicht er oder sie sich mit Personen oder Gruppen, die in diesem Merkmal schlechter abschneiden, erhöht das den Selbstwert.

Auch das Vergleichsmerkmal beeinflusst den Selbstwert: Als Beispiel: Jemand ist gut in Sport, aber nicht so gut in Physik. Vergleicht sie oder er sich mit anderen in Bezug auf das Merkmal „sportliche Leistungen“, wirkt sich das günstig auf das Selbstwertgefühl aus. Vergleicht sie oder er sich jedoch in puncto Physikleistungen mit anderen, ist das eher ungünstig für das Selbstwertgefühl.

Die Art der Vergleiche kann also schützend für den Selbstwert sein: Das ist der Fall, wenn jemand sich bewusst mit anderen Personen oder Gruppen vergleicht, die in einem Merkmal gleich gut oder schlechter abschneiden. Außerdem kann jemand Bereiche, in denen er oder sie im Vergleich zu anderen nicht so gut abschneidet, als irrelevant für den Selbstwert einstufen und stattdessen Vergleichsmerkmale wählen, in denen er oder sie gleich gut oder besser als andere abschneidet.

Attributionstheorie

Nach der Attributionstheorie von Heinz Heckhausen kann jemand bei der Bewertung von sich selbst unterschiedliche Attributionen, also Ursachenzuschreibungen verwenden, die den Selbstwert beeinflussen:

  • global versus spezifisch: Die Bewertung von sich selbst kann allgemein sein oder sich auf einen bestimmten Bereich, eine bestimmte Sache oder eine bestimmte Person beziehen. Zum Beispiel: „Ich kann überhaupt nichts“ (global) oder „Ich bin nicht gut in Musik“ (spezifisch).
  • intern versus extern: Jemand kann den Grund für einen Erfolg oder Misserfolg bei sich selbst oder in äußeren Ursachen sehen. Zum Beispiel: „Mein Vorschlag wurde nicht angenommen, weil ich ihn nicht überzeugend dargestellt habe.“ (intern) oder „Mein Vorschlag wurde nicht angenommen, weil die anderen heute mit anderen Themen beschäftigt waren.“ (extern)
  • stabil versus variabel: Einen Erfolg oder Misserfolg kann man auch auf überdauernde Eigenschaften oder auf momentane Umstände zurückführen. Zum Beispiel: „Ich bin in der Prüfung durchgefallen, weil ich es einfach nicht kann“ (stabil) oder „Ich bin durchgefallen, weil ich heute keinen guten Tag hatte“ (variabel).

Günstig für den Selbstwert ist es, wenn jemand Erfolge und positive Erfahrungen intern und stabil sowie Misserfolge und negative Erfahrungen eher extern und variabel attribuiert.

Sechs Säulen des Selbstwertgefühls

Der Psychologe Nathaniel Branden unterscheidet sechs Faktoren, die zu einem gesunden Selbstwertgefühl beitragen. Er nennt sie die sechs Säulen des Selbstwertgefühls:

  1. Säule: Ein bewusstes Leben führen. Dazu gehört, sein eigenes Verhalten zu beobachten und sich zu fragen, ob es sinnvoll ist und ob man etwas ändern sollte. Auch Achtsamkeitsübungen können zu einem bewussteren Leben beitragen.
  2. Säule: Sich selbst lieben, annehmen und wertschätzen. Damit ist gemeint, sich mit seinen Fehlern anzunehmen und sich selbst nicht ständig zu kritisieren. Außerdem sollte man sich nicht dauernd mit anderen vergleichen oder versuchen, anderen zu gefallen, sondern eigene Maßstäbe setzen.
  3. Säule: Eigenverantwortlich leben. Dazu gehört, die Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen und nicht andere dafür verantwortlich zu machen.
  4. Säule: Sich selbstsicher behaupten können: Das umfasst zum Beispiel, seine Meinung zu sagen, Kritik zu üben oder auch nein sagen zu können.
  5. Säule: Ein zielgerichtetes Leben führen: Dazu gehört, sich selbst Ziele zu setzen und zu versuchen, diese in die Tat umzusetzen.
  6. Säule: Persönliche Integrität: Darunter versteht Branden, dass jemand sich selbst treu ist, seine eigenen Werte kennt und danach lebt.

Modell der vier Säulen des Selbstwerts

Das Modell von Friederike Potreck-Rose und Gitta Jacob zeigt vier wichtige Bereiche des Selbstwerts auf, die bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt sein können. Ist einer der Bereiche weniger gut ausgebildet oder wird durch bestimmte Ereignisse geschwächt, kann der Selbstwert aus dem Gleichgewicht geraten. An jedem der vier Bereiche können therapeutische Maßnahmen zur Verbesserung des Selbstwerts ausgerichtet werden.

  1. Selbstakzeptanz: Darunter versteht man die Achtung, Selbstliebe und Wertschätzung, die jemand sich selbst – unabhängig von den eigenen Fähigkeiten, Leistungen und sozialen Erfolgen entgegenbringt. Dazu gehört auch, negative Aspekte des Selbst zu akzeptieren.
  2. Selbstvertrauen: Eine positive Einstellung gegenüber den eigenen Fähigkeiten und Leistungen umfasst auch, die eigenen Grenzen zu kennen, also zu wissen, wann es sich lohnt, etwas erreichen zu wollen und durchzuhalten und wann es besser ist, etwas aufzugeben oder etwas gar nicht erst zu versuchen.
  3. Soziale Kompetenz: Das ist die subjektive Einschätzung, mit anderen Menschen umgehen zu können, Nähe und Distanz regulieren und auch schwierige soziale Situationen meistern zu können.
  4. Soziales Netz: Das bedeutet das Eingebundensein in positive soziale Beziehungen, etwa in eine zufriedenstellende Partnerschaft oder gute Familienbeziehungen und verlässliche Freundschaften. Dazu gehört auch das Gefühl, für andere wichtig zu sein und sich auf sie verlassen zu können, aber auch, selbst zuverlässig zu sein.

Konzept des Selbstmitgefühls

Das Konzept des Selbstmitgefühls der Psychologin Kristin Neff ist von der östlichen Philosophie beeinflusst. Aus ihrer Sicht ist es wichtig, Selbstmitgefühl als stabile persönliche Gewohnheit zu entwickeln, um so den Selbstwert zu stärken. Selbstmitgefühl umfasst drei Aspekte:

  • Freundlichkeit mit sich selbst: Ein freundlicher, akzeptierender Umgang mit sich selbst, vor allem in schwierigen und belastenden Lebenssituationen. Dazu gehört auch, sich selbst Fehler zu vergeben und eigene Grenzen zu akzeptieren.
  • Ein Gefühl der Verbundenheit mit allen Menschen. Das beschreibt die Haltung, dass alle Menschen Mitgefühl verdienen und dass Nicht-Perfekt-Sein, Versagen und Leiden zum Leben gehören.
  • Eine von Achtsamkeit geprägte Grundhaltung.

Studien haben deutlich gemacht, dass ein hohes Maß an Selbstmitgefühl mit einem stabilen Selbstwertgefühl, emotionalem Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit und Optimismus einhergeht. Es kann negative Gefühle in Bezug auf sich selbst, Angst, Depression und Grübeln verringern. Insbesondere in widrigen Umständen und schwierigen Situationen kann Selbstmitgefühl dazu beitragen, ein positives Selbstwertgefühl aufrecht zu erhalten.