Somatoform: Beschwerden ohne klare organische Ursachen (Seite 5/6)
Behandlung somatoformer Störungen
Der hilfreichste Behandlungsansatz für somatoforme Störungen ist eine Psychotherapie. Wichtig ist aber zunächst, dass der behandelnde Arzt die psychischen Hintergründe der körperlichen Beschwerden erkennt und ernst nimmt – statt dem Betroffenen zu versichern, dass er „nichts hat“. Im nächsten Schritt sollte er versuchen, den Patienten zu einer Psychotherapie zu motivieren und ihm den Sinn dieser Therapie deutlich zu machen. Bei leichterer Symptomatik ist meist eine ambulante Psychotherapie ausreichend, bei schwerer ausgeprägter Symptomatik kann die Behandlung auch stationär in einer psychosomatischen Klinik stattfinden.
Psychotherapeutische Ansätze
In der Psychotherapie geht es zunächst darum, ein gutes Vertrauensverhältnis zum Patienten herzustellen. Dabei werden seine Erklärungen für die Beschwerden akzeptiert und ernst genommen. Gleichzeitig wird der Therapeut aber auch versuchen, den Betroffenen über das Zusammenwirken von körperlichen und seelischen Prozessen zu informieren und ihm an Beispielen deutlich machen, dass auch psychische Prozesse wie Wahrnehmungen und Gefühle körperliche Vorgänge beeinflussen können (Psychoedukation). Dabei wird er darauf Wert legen, dass „psychisch bedingt“ nicht bedeutet, dass der Betroffene „verrückt“ oder „psychisch gestört“ ist. Auch beim Besprechen der Lebensgeschichte des Patienten können Zusammenhänge zwischen psychischen Belastungen und einer verstärkten körperlichen Symptomatik herausgearbeitet werden.
Es können verschiedene Therapieformen zum Einsatz kommen. Dabei hat sich eine Kombination aus kognitiv-verhaltenstherapeutischen und familientherapeutischen Methoden als besonders hilfreich erwiesen. Auch bei Kindern und Jugendlichen, die unter Somatisierungsstörungen leiden, wurden auf diese Weise gute Erfolge erzielt.
Kognitive Verhaltenstherapie
In einer kognitiven Verhaltenstherapie wird zunächst erfasst, welche Vorstellungen der Patient von der Entstehung seiner Beschwerden hat und ob er einen Zusammenhang mit anderen Faktoren sieht – zum Beispiel mit Spannungen in der Familie oder bei der Arbeit (subjektives Krankheitsmodell). Diese Informationen bilden dann die Grundlage, um mit ihm darüber zu sprechen und seine Vorstellungen allmählich zu verändern.
Therapeutenliste Verhaltenstherapie
Außerdem werden konkrete Ziele für die Therapie festgelegt. Diese können sich auf die Symptome selbst beziehen (zum Beispiel die Beschwerden besser selbst beeinflussen zu können, seltener zum Arzt gehen zu müssen), aber auch auf andere Lebensbereiche (zum Beispiel selbstbewusster zu werden, berufliche Belastungen zu verringern, wieder mehr mit der Familie zu unternehmen).
Ein wichtiges Ziel der Therapie ist, das Krankheitsmodell des Patienten allmählich zu verändern und zu erweitern, so dass er auch psychische Ursachen für seine Beschwerden akzeptieren kann. Dazu werden ihm Informationen über die Zusammenhänge zwischen körperlichen und psychischen Prozessen gegeben und an Beispielen verdeutlicht. So wird zum Beispiel anhand der „Zitronenübung“ gezeigt, dass allein die Vorstellung, eine Zitrone zu essen, vermehrten Speichelfluss auslösen kann. Auch Symptomtagebücher können dazu dienen, den Zusammenhang zwischen körperlichen Symptomen und psychischen Belastungen deutlich zu machen. Gleichzeitig erhält der Patient ausführliche Informationen darüber, wie psychotherapeutische Ansätze bei seinen körperlichen Beschwerden helfen können.
Oft haben die Betroffenen messbare Anzeichen einer erhöhten körperlichen Erregung – zum Beispiel eine erhöhte Herzrate oder eine starke Anspannung der Muskulatur. Solche Veränderungen können mithilfe von Biofeedback gemessen werden. Den Patienten kann so deutlich gemacht werden, wie unterschiedlich Herzschlag oder Muskelanspannung in verschiedenen Situationen sein können – zum Beispiel bei Entspannung und bei emotionalem Stress. Außerdem können sie auf diese Weise üben, ungünstige körperliche Reaktionen gezielt zu verändern (zum Beispiel ein ungünstiges Atemmuster zu verändern). Um die körperliche Anspannung zu vermindern, können auch andere Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelrelaxation (PMR) oder das Autogene Training eingesetzt werden.
Viele Betroffene sind der Ansicht, das Gesundsein bedeutet, überhaupt keine körperlichen Missempfindungen zu haben. Diese Vorstellung soll im Lauf der Therapie durch eine realistischere Vorstellung von Gesundsein ersetzt werden. Die Patienten lernen, bestimmte Missempfindungen (zum Beispiel Atemlosigkeit nach körperlicher Anstrengung) als normal zu akzeptieren. Darüber hinaus wird eine Konfrontation mit den körperlichen Missempfindungen angestrebt, bei der die Patienten möglichst viele Missempfindungen provozieren sollen. Ziel dabei ist, die verstärkte Wahrnehmung der Symptome und ihre Bewertung als etwas Bedrohliches zu vermindern.
Aus Angst vor Symptomen meiden viele Patienten körperliche Anstrengung und Sport. Um dieses Schonverhalten abzubauen, werden sie ermutigt, allmählich wieder körperlich aktiv zu werden und mehr Fitness aufzubauen. Dies kann zu einer deutlichen Verbesserung der Beschwerden beitragen.
Außerdem wird den Betroffenen allmählich klar gemacht, dass auch das ständige Bedürfnis, eine Ursache für die Symptome zu finden, die Erkrankung aufrechterhalten kann. Die Patienten lernen, dieses Verhalten allmählich zu verändern, indem sie „verdächtige“ Körperregionen seltener abtasten und nur noch dann zum Arzt gehen, wenn dies wirklich notwendig ist.
Daneben geht es in der Therapie auch darum, andere Lebensbereiche zu verändern, die mit den körperlichen Symptomen in Zusammenhang stehen. So können die Patienten in einem Emotionstraining lernen, ihre Gefühle besser wahrzunehmen und zuzulassen. In einem Stressbewältigungstraining üben sie, besser mit Stress und Belastungen umzugehen, und in einem sozialen Kompetenztraining lernen sie, Wünsche und Bedürfnisse angemessener zu äußern, „Nein“ zu sagen und Beziehungen aktiver zu gestalten. Durch diese Fähigkeiten sind die Betroffenen auch weniger darauf angewiesen, körperliche Symptome „vorzuschieben“, um etwas Bestimmtes zu erreichen (zum Beispiel eine Forderung abzulehnen). Die verschiedenen Übungen können auch dazu beitragen, den Therapieerfolg langfristig aufrechtzuerhalten und die Lebensqualität der Patienten deutlich zu verbessern.
Paar- und Familientherapie
Da die körperlichen Symptome oft in Zusammenhang mit schwierigen Beziehungen und zwischenmenschlichen Konflikten stehen, ist es sinnvoll, den Partner, die Familie oder andere Bezugspersonen in die Therapie einzubeziehen. Auf diese Weise können Konflikte langfristig verändert und die Bezugspersonen zu einer konstruktiven Mitarbeit in der Therapie motiviert werden. Zum Beispiel kommt es oft vor, dass Angehörige das Schonverhalten des Patienten unbewusst unterstützen, indem sie ihm wichtige Aufgaben abnehmen. In der Therapie werden sie über diese Zusammenhänge aufgeklärt und angeregt, den Patienten stattdessen zu sportlichen oder anderen gemeinsamen Aktivitäten zu motivieren.
Bei Kindern und Jugendlichen, die unter Somatisierungs-Störungen leiden (zum Beispiel Bauschmerzen vor belastenden Situationen in der Schule), ist es besonders wichtig, die Familie in die Therapie mit einzubeziehen. Oft verstärken die Eltern die Symptome indirekt, weil sie selbst unter somatoformen Beschwerden leiden oder weil sie ihr Kind bei körperlichen Symptomen bereitwillig krankschreiben. Dann ist es wichtig, den Eltern diese Zusammenhänge bewusst zu machen und ihnen zu zeigen, wie sie ihr Kind bei der Bewältigung der körperlichen Symptome unterstützen könne
Psychoanalytische und tiefenpsychologische Therapie
Auch tiefenpsychologische und psychoanalytische Therapieansätze können bei somatoformen Störungen hilfreich sein. Hier geht es vor allem darum, seelische Konflikte, mögliche Traumatisierungen oder familiäre Belastungen aus der Vergangenheit aufzuarbeiten, die hinter der Störung stecken können. Man geht davon aus, dass solche belastenden Ereignisse bis in die Gegenwart nachwirken können und so zur Entstehung und Aufrechterhaltung der körperlichen Beschwerden beitragen können.
Weitere Therapieansätze
Oft werden die beschriebenen Psychotherapie-Ansätze mit weiteren Therapieformen kombiniert – zum Beispiel mit einer Bewegungs-, Gestaltungs- oder Musiktherapie oder mit einem Gesundheitstraining. Hier soll ein veränderter Umgang mit dem eigenen Körper und ein besserer Umgang mit der Erkrankung erreicht werden. So lernen die Patienten in einer körperbezogenen Therapie zum Beispiel, ihren Körper wieder positiver zu erleben und ihn nicht nur mit Krankheitssymptomen in Verbindung zu bringen.
Therapie mit Psychopharmaka und anderen Medikamenten
Psychopharmaka werden bei somatoformen Störungen meist nur als sinnvoll angesehen, wenn gleichzeitig Symptome einer anderen psychischen Erkrankung auftreten – zum Beispiel einer Depression oder Angststörung. Dabei können sich vor allem Antidepressiva positiv auf die Symptome der somatoformen Störung auswirken. Psychopharmaka sollten immer nur in Kombination mit einer Psychotherapie verwendet werden, weil sie allein kaum einen dauerhaften Effekt haben.
Bei einer anhaltenden Schmerzstörung ist es in manchen Fällen sinnvoll, neben einer Psychotherapie auch Schmerzmittel einzusetzen. Dabei eignen sich vor allem Schmerz- und Entzündungshemmer (Schmerzmittel der Stufe 1, die weniger Nebenwirkungen haben) – auf Opioide, die deutlich stärker wirken, sollte möglichst verzichtet werden. Die Schmerzmittel sollten zudem nicht nur gelegentlich, sondern nach einem regelmäßigen, mit dem Arzt abgestimmten Schema eingenommen werden.