Somatoform: Beschwerden ohne klare organische Ursachen (Seite 2/6)
Somatoforme Störung: Definition und Symptome
Nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) ist eine somatoforme Störung dadurch charakterisiert, dass immer wieder körperliche Symptome auftreten. Obwohl in medizinischen Untersuchungen wiederholt keine organische Ursache gefunden werden kann, fordern die Betroffenen immer wieder neue medizinische Untersuchungen, um die Ursachen abzuklären.
Es kann auch sein, dass tatsächlich eine körperliche Störung vorliegt – diese erklärt dann aber nicht das Ausmaß und die Art der Symptome und das damit verbundene Leiden des Patienten.
Darüber hinaus gibt es auch Menschen mit einer somatoformen Störung, die nicht wiederholt Ärzte aufsuchen, sondern im Gegenteil die Auseinandersetzung mit den körperlichen Symptomen und den Kontakt mit medizinischen Informationen vermeiden.
Frau T., 37 Jahre alt, kommt zu einem Vorgespräch für eine geplante Psychotherapie in einer psychosomatischen Klinik. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet als Krankenschwester im Schichtdienst. Sie berichtet von wechselnden körperlichen Symptomen, die schon seit vielen Jahren bestehen. Dabei hat sie zu unterschiedlichen Zeiten Verkrampfungen und Schmerzen im Brust- und Schulterbereich, Herzschmerzen und Herzrhythmusstörungen, Ohnmachtsanfälle, Lähmungsgefühle im linken Arm, Hörstörungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Erbrechen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr erlebt. Wegen der unterschiedlichen Symptome war sie unzählige Male bei Ärzten und wurde mehrmals stationär im Krankenhaus behandelt. All dies habe jedoch nie zu einer Besserung und nie zu einer Aufklärung der Ursachen geführt.
Auffällig ist, dass sich die Patientin im Gespräch um Lockerheit und Unbekümmertheit bemüht und scheinbar unbeteiligt über schwerwiegende Beschwerden berichtet. Zum Beispiel erzählt sie, dass sie vor einigen Monaten starke Brustschmerzen hatte und überzeugt war, einen Herzanfall zu haben. Sachlich und scheinbar ungerührt berichtet sie, dass die Hausärztin sie in dieser Situation wieder nach Hause geschickt habe. Ein anderer Arzt habe einmal geäußert: „Der müsste man mal ordentlich in den Hintern treten.“ Dabei zeigt Frau T. jedoch keine negativen Gefühle wie Kränkung, Wut oder Trauer – stattdessen nimmt sie die Ärzte eher in Schutz.
Aus ihrer Vergangenheit berichtet Frau T., dass sie als ältestes Kind schon früh Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister übernehmen musste. Ihre Mutter lag ständig erschöpft oder krank im Bett und hatte nicht die Kraft, sich um sie und ihre Geschwister zu kümmern. Ihr Stiefvater schlug sie häufig und missbrauchte sie jahrelang sexuell. Wenn sie selbst mal krank gewesen sei, habe sich dagegen niemand um sie gekümmert – dabei habe sie sich gerade dann besonders nach Liebe und Zuwendung gesehnt.
Aus Sicht der Psychotherapeutin können die Traumatisierung durch den Vater und die fehlende emotionale Nähe der Mutter dazu beigetragen haben, dass eine somatoforme Störung entstanden ist. Dabei kann die körperliche Symptomatik als ein (unbewusster) Versuch angesehen werden, die ersehnte Zuwendung doch noch zu bekommen – nämlich von Ärzten und anderen Behandlern. Gleichzeitig wiederholt sich in ihrer Beziehung zu den Ärzten unbewusst die Problematik aus der Kindheit: Auch von ihnen wird Frau T. vernachlässigt oder „aggressiv“ behandelt.*)
Was sind die typischen Symptome somatoformer Störungen?
Wie schon beschrieben können die Symptome ganz unterschiedliche Organe oder Teile des Körpers betreffen. Dabei treten am häufigsten Symptome auf, die auch bei einer starken Erregung des vegetativen Nervensystems vorkommen. Typische Symptome sind:
- beim Herz-Kreislauf-System: Druckgefühl oder Stiche in der Herzgegend, Engegefühl in der Brust, Herzklopfen
- bei der Atmung: Engegefühl in der Brust, Schwierigkeiten beim Atmen, Luftnot
- im Magen-Darm-Trakt: Übelkeit, Bauchschmerzen, Völlegefühl, Blähungen, Durchfall
- im Bereich der Gynäkologie: chronische Schmerzen im Unterbauch, unangenehme Empfindungen im oder um den Genitalbereich
- im Bereich der Blase und Niere: häufiges oder schmerzhaftes Wasserlassen, Schwierigkeiten beim Wasserlassen, Schmerzen im Unterbauch
- im Bereich der Haut: Klagen über Farbveränderungen der Haut, Taubheitsgefühle, Jucken oder Kribbeln bestimmter Hautbereiche
- bezogen auf Gehirn und Nervensystem: Schwindelgefühle, Punkte vor den Augen, vorübergehende Taubheit oder Blindheit
- Schmerzsymptome: anhaltende oder immer wiederkehrende Schmerzen, zum Beispiel Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Bauchschmerzen oder Gelenkschmerzen