Medikamentenmissbrauch und Medikamentenabhängigkeit (Seite 3/4)

Diagnose und Therapie

Missbrauch und Abhängigkeit von Medikamenten bleiben oft unentdeckt

Zunächst ist es wichtig, einen Missbrauch oder eine Abhängigkeit von Medikamenten überhaupt zu erkennen, da Ärzte dies häufig nicht bemerken und dies auch den Patienten oft selbst nicht bewusst ist.

Ärzte sollten daher gezielt nachfragen, ob die Patienten Medikamente einnehmen, um ihre Stimmung oder ihr Allgemeinbefinden zu verbessern, besser zu schlafen oder Schmerzen zu lindern. Weiterhin sollten sie fragen, ob der Patient schon einmal versucht hat, das Medikament wegzulassen und dabei eine Verschlechterung der Beschwerden festgestellt hat. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass eine Abhängigkeit entstanden ist. Eine Niedrigdosis-Abhängigkeit ist oft besonders schwer zu erkennen – daher sollte der Arzt hier genau nachfragen.

Hellhörig werden sollten Ärzte, wenn ein Patient immer wieder nach einem Rezept für ein bestimmtes Medikament verlangt oder die Dosis im Lauf der Zeit immer mehr steigert. Bei anhaltenden Schmerzen ohne nachweisbare organische Ursache sollten sie prüfen, ob möglicherweise ein Schmerzmittelmissbrauch vorliegt. Wichtig ist außerdem eine sorgfältige Diagnostik, bei der abgeklärt wird, ob ein Medikamentenmissbrauch oder eine -abhängigkeit vorliegt. Außerdem wird hier geprüft, ob weitere psychische Erkrankungen bestehen, die möglicherweise der Grund für die Einnahme der Medikamente waren oder die zur Entstehung einer Abhängigkeit beigetragen haben.

Die diagnostischen Kriterien für eine Medikamentenabhängigkeit sind im Wesentlichen die gleichen wie bei anderen Formen von Missbrauch und Abhängigkeit (Definition von Sucht und Abhängigkeit). Allerdings kommt es bei einer Medikamentenabhängigkeit nicht unbedingt zur Vernachlässigung von Verpflichtungen, Aktivitäten oder sozialen Kontakten. Auch eine ständige Steigerung der Dosis, um die gleiche Wirkung zu erzielen, muss nicht unbedingt auftreten. Dies ist insbesondere bei einer Niedrigdosis-Abhängigkeit der Fall.

Vorbeugung einer Medikamentenabhängigkeit

Damit Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit gar nicht erst entstehen, sollten die Patienten über die mögliche abhängigkeitserzeugende Wirkung der genannten Medikamente aufgeklärt werden. Auf diese Weise können sie eine informierte Entscheidung darüber treffen, ob, wie lange und in welcher Dosis sie das fragliche Medikament nehmen möchten.

Ärzte sollten Medikamente mit einem Abhängigkeitspotential verantwortungsvoll und mit besonderer Vorsicht verordnen. Dabei gilt, dass sie diese nur bei einer klaren Indikation (einem klaren Grund für die Verschreibung), in der niedrigstmöglichen Dosierung, über einen möglichst kurzen Zeitraum und in kleinen Packungsgrößen verschreiben sollten. Patienten mit Suchtproblemen in der Vorgeschichte sollten solche Medikamente generell nicht verordnet werden.

Behandlung einer Medikamentenabhängigkeit

Eine Beratung oder Therapie soll dem Patienten einen dauerhaften Ausstieg aus der langfristigen, problematischen Medikamenteneinnahme ermöglichen. Ähnlich wie bei der Therapie von Alkohol- oder Drogenabhängigkeit umfasst die Therapie zum einen den Entzug der Substanz, zum anderen psychosoziale Maßnahme wie Beratung, Psychotherapie oder eine stationäre Entzugsbehandlung. Oft kann die gleichzeitige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein. Dabei kann auch der Hausarzt bereits erste Schritte zur Therapie einleiten, indem er die problematische Medikamenteneinnahme anspricht und versucht, den Patienten zu Veränderungen bzw. zu einer Behandlung der Abhängigkeit zu motivieren.

Bei einem leichter ausgeprägten Medikamentenmissbrauch kann eine Beratung in einer ambulanten Suchtberatungsstelle ausreichend sein, damit der Patient die Probleme in den Griff bekommt. Bei einer stärker ausgeprägten Abhängigkeit oder wenn die Sucht in Zusammenhang mit weiteren psychischen Erkrankungen steht, ist es günstig, den Patienten zu einer Psychotherapie zu motivieren. Haben chronische Schmerzen zu einem Missbrauch bzw. einer Abhängigkeit von Schmerzmitteln geführt, sollte eine angemessene, multimodale Schmerztherapie durchgeführt werden.

Bei einer schweren Abhängigkeit und der Einnahme hoher Medikamentendosen, bei gleichzeitiger Abhängigkeit von Benzodiazepinen und Alkohol oder bei Abhängigkeit von mehreren Substanzen ist in der Regel eine stationäre Behandlung sinnvoll. Ein Entzug sollte möglichst zeitnah durchgeführt werden, wenn die Medikamenteneinnahme zu starken körperlichen oder psychischen Nebenwirkungen führt, etwa Kopfschmerzen oder anderen Schmerzen, Gedächtnisstörungen, Depressionen, Stimmungsveränderungen oder Muskelschwäche.

Ansprechen des Medikamentenmissbrauchs und Motivation des Patienten zur Behandlung

Hat ein Arzt den Eindruck, dass eine Medikamentenabhängigkeit vorliegt, sollte er dies offen und ohne Vorwürfe mit dem Patienten besprechen und dabei Verständnis für die Beschwerden und Probleme zeigen, die zur Einnahme bzw. zum Missbrauch der Medikamente geführt haben.

So hat sich gezeigt, dass schon das Ansprechen der problematischen Medikamenteneinnahme bei vielen Patienten zu positiven Veränderungen führt.

Weiterhin kann der Arzt dem Patienten anbieten, das Problem gemeinsam anzugehen und ihn gleichzeitig zu einer weitergehenden Behandlung motivieren. So kann er den Patienten über weiterführende Hilfseinrichtungen wie Suchtberatungsstellen, Psychotherapeuten, Suchtkliniken und Selbsthilfegruppen informieren und ihn ggf. dorthin vermitteln.

Ist ein Patient nicht motiviert, seine Medikamenteneinnahme zu verändern, sollte ihm zumindest nahegelegt werden, die Dosis allmählich zu reduzieren.

Entzug

Beim Entzug ist es wichtig, dass die Dosis der Medikamente über mehrere Wochen oder Monate schrittweise reduziert wird. Die Substanzen sollten auf keinen Fall abrupt abgesetzt werden, weil es sonst zu starken und möglicherweise gefährlichen Nebenwirkungen kommen kann. Bei Benzodiazepinen sollten außerdem kurz wirksame durch lang oder mittellang wirkende Substanzen ersetzt werden.

Wenn Entzugssymptome auftreten, können diese durch entsprechende Medikamente gelindert werden.

Suchtberatung und Psychotherapie

In einer Beratung oder Psychotherapie geht es zunächst darum, dass der Patient ein Verständnis dafür entwickelt, dass seine Medikamenteneinnahme problematisch ist.
Gleichzeitig werden mit ihm die Vor- und Nachteile eines Entzugs erarbeitet. Dabei wird er auch über mögliche Entzugserscheinungen beim Absetzen des Medikaments aufgeklärt.
Weiterhin erfährt er aber auch, welche Möglichkeiten es gibt, die körperlichen und psychischen Beschwerden, die zur Medikamenteneinnahme geführt haben, auf andere Art zu bewältigen. Auf diese Weise soll der Patient die Motivation entwickeln, das Medikament allmählich abzusetzen und seine Abhängigkeit mithilfe einer Behandlung zu bewältigen.

In einer Psychotherapie werden zudem die Ursachen der Medikamenteneinnahme erarbeitet und nach alternativen Lösungen gesucht – etwa, um Schlafstörungen, Ängste oder Schmerzen zu bewältigen, ohne auf suchterzeugende Medikamente zurückzugreifen.
So können bei Schlafstörungen Maßnahmen der Schlafhygiene und Entspannungstechniken eingesetzt werden. Regelmäßige körperliche Aktivität kann dazu beitragen, besser mit dem Entzug und den körperlichen Beschwerden umzugehen.

Weiterhin werden in einer Psychotherapie auch Strategien vermittelt, um insgesamt mit psychischen Belastungen besser umgehen zu können und das Selbstwertgefühl gestärkt.

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