Entspannungszustand im medizinischen Sinne

Der Wechsel von Anspannung und Entspannung gehört zum Leben wie das Ein- und Ausatmen. Ist einer dieser Pole davon gestört, dann geraten Körper und Psyche ins Ungleichgewicht.

Während bei Anspannung Stresshormone ausgeschüttet werden, werden bei der Entspannung sozusagen ihre Gegenspieler produziert. Diese Botenstoffe wie Endorphine (Glückshormone) und GABA (γ-Aminobuttersäure, welche im Körper Beruhigung auslöst) stimmen den Menschen positiv und ermöglichen ihm, sich zu entspannen.

Im Entspannungszustand senkt sich durch die tiefere, bewusstere Atmung der Puls. Dadurch sinkt der Blutdruck, die Muskeln entspannen sich und lassen den Sauerstoff im Blut besser durch den Körper fließen.

Je entspannter ein Mensch ist, desto schneller schläft er ein und der Schlaf ist auch tiefer. Die Verdauung funktioniert besser, das Nervensystem ist stärker, der Körper kann sich besser regenerieren. Je tiefer die Grundentspannung eines Menschen ist, desto besser und gelassener kann er mit den Anforderungen des Lebens umgehen. Somit ist er körperlich und psychisch widerstandsfähiger.

Messbare körperliche Veränderungen

Nach der Arbeit eine Runde laufen oder ein Schaumbad nehmen, mit dem Partner tanzen oder mit Freunden wandern gehen, ist wichtig. Denn dies macht uns Freude und baut erste Spannung ab. Wirkliche Entspannung im medizinischen Sinne geht jedoch immer mit körperlichen Veränderungen einher, die mit medizinischen Methoden eindeutig messbar sind.

Vom Entspannungszustand spricht man im medizinischen Sinne erst, wenn die Spannung der Muskeln (neuromuskuläre Tonus) abnimmt und sich dadurch ein Gefühl der Schwere einstellt.

Außerdem weiten sich die Blutgefäße so, dass Blut aus dem Inneren des Körpers in die Arme und Beine gelangen. Herz- und Atemfrequenz verlangsamen sich, die elektrische Aktivität des Gehirns verändert sich ähnlich wie beim Durchgangsstadium während des Einschlafvorgangs.

Außerdem nimmt die Hautfeuchtigkeit ab. Hormonelle Veränderungen treten auf, so senkt sich etwa der Cortisol-Spiegel, auch die körpereigene Abwehrfähigkeit) verändert sich und führt zur Erhöhung der Anzahl natürlicher Killerzellen.

Die Blutzucker- und Cholesterinwerte werden niedriger. Die Anspannung nimmt ab, das bedeutet, dass die Aktivität des Sympathikus abnimmt und gleichzeitig Entspannung zunimmt und damit die Aktivität des Parasympathikus. Entspannung ist also ein Zustand, in dem sowohl der Körper als auch die Psyche wenig aktiv sind.

Entspannungszustand kann fast jeder selbst erzeugen

All diese Veränderungen sind mit medizinischen Methoden eindeutig messbar. Das Elektromyogramm misst die muskulären Veränderungen, das Elektroenzephalogramm, welche Veränderungen im Bereich des zentralen Nervensystems stattfinden. Dass der Körper weniger des Stresshormons Cortisol produziert, sieht man im Blutbild. Ebenso zeigen ein gesunkener Blutzuckerspiegel und niedrigerer Cholesterinwert eine Entspannung an.

Die meisten Menschen sind imstande, diesen Entspannungszustand selbst zu erzeugen, nachdem sie standardisierte selbstaktive körpernahe Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelentspannung oder das autogene Training erlernt haben.

Im Zustand tiefer Entspannung erlebt der Mensch grundsätzlich Freude und Vertrauen, das schließt Angst, Wut oder Niedergeschlagenheit aus.

Joseph Wolpe nutzte dieses Prinzip für seine psychotherapeutische Arbeit. Er entwickelte auf Basis der progressiven Muskelentspannung die Systematische Desensibilisierung. Wolpe ließ seine Patienten zunächst dieses Entspannungsverfahren erlernen. Sobald sie den Entspannungszustand jederzeit abrufen konnten, konfrontierte er sie stufenweise mit ihren Ängsten, bis sie schließlich damit umgehen konnten oder ganz frei davon wurden.