Entspannungs­verfahren

Progressive Muskelentspannung und autogenes Training

22.04.2020 Von Angelika Völkel

Am Abend müde aufs Sofa zu sinken, nachdem Arbeitstag und Haushalt geschafft sind, kennt jeder. Eltern wissen um die Erschöpfung, die eintritt, wenn die Kinder endlich im Bett sind. Unsere Leistungsgesellschaft mit oft hohen Anforderungen in Beruf oder Ausbildung, aber auch zu große Erwartungen von Familie oder Partner sowie tiefsitzende Prägungen aus der Kindheit können uns chronisch unter Stress setzen. Wege aus der totalen Überforderung gibt es in der therapeutischen Begleitung und mittels medizinischer Entspannungsverfahren, deren Wirksamkeit wissenschaftlich bewiesen ist.

Angst, Aggression und Wut gehören neben Freude und Interesse zu den fünf Grundaffekten. Das sind vorübergehende Gemütserregungen, ausgelöst durch äußere Anlässe oder innere psychische Vorgänge. Mit standardisierten Entspannungsverfahren kann fast jeder Mensch lernen, seine Affekte zu regulieren. Dadurch empfindet man körperlich und psychisch weniger Stress und wird insgesamt stabiler.

Entspannung schnell erlernbar

Selbstaktive standardisierte Entspannungsverfahren sind einfach zu erlernen. Dazu gehören die progressive Muskelentspannung nach Edmund Jacobson, häufig auch progressive Muskelrelaxation genannt, oder das autogene Training nach Johannes Schultz. Beide Verfahren haben eine sehr hohe medizinische Wirksamkeit. Menschen, die diese Verfahren über eine längere Zeit ausüben, können den Entspannungszustand meist in Sekundenschnelle und in fast jeder Situation selbst auslösen.

Der deutsche Nervenarzt Schultz entdeckte in der Auseinandersetzung mit der Hypnose, dass der Mensch durch Selbstkonzentration einen tiefen Entspannungszustand herbeiführen kann. Dieser kann es dem Patienten ermöglichen, Affekte selbst zu regulieren und damit psychisch gesünder zu werden.

Wirksamkeit durch viele Studien belegt

Die medizinische Wirksamkeit von progressiver Muskelentspannung und autogenem Training wurde durch sehr viele Studien belegt. Jacobson und Schultz stellten ihre Arbeiten jeweils selbst in einen wissenschaftlichen Diskurs. Es konnte längst nachgewiesen werden, dass leichte und mittelgradige Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, Schlafstörungen, chronische Schmerzen oder psychosomatische Erkrankungen dank dieser Verfahren deutlich gelindert werden können.

Standardisierte Entspannungsverfahren sind bewährte Coping Skills, die helfen, besser durchs Leben zu kommen. „Coping Skills“ sind Fähigkeiten, mit schwierigen Lebenssituationen konstruktiver umzugehen. Dies zeigt eine aktuelle Studie (im randomisiert-kontrollierten Verfahren), die Masoomeh Noruzi Zamenjani und seine Mitarbeiter im Jahr 2019 an der Iraner „Arak University of Medical Science“ bei 80 an Krebs erkrankten Menschen durchführten. Die Patienten, die für die Dauer von zwei Monaten täglich zusätzlich zur Routine-Behandlung 30 Minuten lang progressive Muskelentspannung praktizierten, steigerten signifikant ihren Selbstwert. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe, die nur die gewohnte Routine-Pflege erhielten, entwickelten dagegen einen signifikanten Rückgang ihres Selbstwerts. Dies hatte negativen Einfluss auf den Krankheitsverlauf.