Ketamin bei Depressionen, Ängsten und Traumata

Die durch die Gabe von Ketamin ausgelöste vorübergehend verbesserte Neuroplastizität des Gehirns ermöglicht in vielen Fällen das Aufbrechen von festsitzenden destruktiven Denkmustern und erleichtert das Erlernen neuer konstruktiver Gedanken. Dieser grundlegende Wirkmechanismus ist bei der Behandlung von schweren Depressionen, Angstzuständen und nach traumatischen Erlebnissen häufig sehr nützlich.

Ketamin bei schweren Depressionen

Für viele Menschen, die unter einer schweren Depression leiden, kann Ketamin ein wirksames Medikament sein. In vielen Fällen bewirken Antidepressiva, dass sich der Antrieb vor der Stimmungsaufhellung einstellt. Das kann problematisch sein, weil die Gefahr besteht, dass sich Patient:innen genau dann etwas antun. Denn in dieser Phase der Behandlung, fühlen sie sich in aller Regel weiterhin schlecht, aber endlich handlungsfähig. Bei Behandlungen mit Ketamin kommt es vor, dass Gedanken an Selbstmord schon nach der ersten Sitzung verfliegen oder die Patient:innen relativ schnell eine Stimmungsaufhellung erleben. Ketamin ist derzeit die einzig bekannte antisuizidale Substanz.

Die Stimmungsaufhellung hält jedoch nicht unbedingt dauerhaft an. Manchmal sind mehrere Behandlungszyklen notwendig und auch dann besteht die Möglichkeit, dass die gedrückte Stimmung wiederkehrt. Doch durch die Ketamin-Behandlung können häufig Patient:innen, die als austherapiert gelten, zum ersten Mal erleben, dass sie sich wirklich besser fühlen können. Das allein kann sie schon dazu motivieren, Mut zu schöpfen und sich weiterhin behandeln zu lassen.

Intravenös verabreichtes Ketamin wirkt im Gegensatz zu anderen Antidepressiva sofort. Der Effekt tritt meist bereits während der ersten Infusion auf und erzielt gewöhnlich sein Maximum am folgenden Tag. Allerdings hält die Wirkung unterschiedlich lang an: Manchmal nur wenige Tage, oft Wochen, in seltenen Fällen sogar Monate oder Jahre. Deshalb sind meist mehrere Infusionen erforderlich. Im Idealfall werden die Infusionen mit anderen Verfahren wie Psychotherapie, Hypnose oder Magnetstimulation kombiniert.

Gerade bei schwereren Depressionen ist die Lernfähigkeit herabgesetzt, was für eine Psychotherapie hinderlich ist. Weil Ketamin die Neuroplastizität verbessert, können sich auch Menschen mit einer Depression intensiver auf eine Psychotherapie einlassen.

Ketamin hat einen gänzlich anderen Wirkmechanismus als Antidepressiva. Es blockiert die sogenannten NMDA-Rezeptoren im Gehirn. Neben der Wirkung am NMDA-Rezeptor wirkt Ketamin auch über eine Hemmung der Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahme.

Ketamin darf zur Behandlung von Depressionen allerdings nur eingesetzt werden, wenn Patient:innen unter einer schweren Depression leiden und weder Psychotherapie noch Medikamente oder Elektrokonvulsionstherapie das Leiden lindern konnten, die Patient:innen also gemeinhin als austherapiert eingestuft werden.

Ketamin bei Angst- und Zwangsstörungen

Ketamin hat sich auch als Behandlungsmöglichkeit für Angststörungen etabliert, da es einen positiven Einfluss auf Stimmung und Angstzustände nehmen kann. Studien haben gezeigt, dass Ketamininfusionen die Angstsymptome innerhalb weniger Stunden nach der Behandlung verringern können, wobei die Wirkung über Wochen oder sogar Monate anhalten kann.
Bei der Behandlung von Angstzuständen wird Ketamin mit Psychotherapie kombiniert, vor allem mit kognitiver Verhaltenstherapie und Expositionstraining. Neurostimulationsmethoden wie die repetitive transkranielle Magnetstimulation (TMS) und Neurfeedback können einen umfassenden Behandlungsansatz bieten. Bei der TMS werden Magnetfelder eingesetzt, um bestimmte Hirnregionen zu stimulieren, die an der Stimmungsregulierung beteiligt sind, während beim Neurofeedback die Betroffenen lernen, ihre Hirnaktivität zu regulieren und die Emotionsregulation zu verbessern.
In der Behandlung von Zwangsstörungen wird die Ketamintherapie häufig ebenfalls psychotherapeutisch mit Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und Hypnose unterstützt. Wenn die Ketamininfusionen zusätzlich mit intensiver Psychotherapie kombiniert werden, kann dies häufig sogar eine dauerhafte Medikamentenbehandlung ersetzen.
Die Wirksamkeit dieser Art der Therapie wird auch bei Zwangsstörungen durch viele Studien bestätigt. Bei den meisten Patienten führt die Ketaminbehandlung zu einem deutlichen Rückgang oder sogar zum Verschwinden der Symptome der Zwangsstörung. Die Wirkung kann nach einer einmaligen Infusion sogar über mehrere Wochen anhalten.
Eine Ketamintherapie bei Zwangsstörungen wird häufig mit einer repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) unterstützt. Bei einer rTMS-Behandlung werden die für das Entstehen der Zwangssymptome verantwortlichen Bereiche des Gehirns durch starke Magnetwellen in ihrer Aktivität reguliert.
Auch transkranielle Gleichstromstimulation und Neurofeedback können hilfreich bei der Therapie von Zwangsstörungen sein.

Unterstützung bei Posttraumatischer Belastungsstörung

Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Posttraumatische Belastungsstörungen mit einer Ketamintherapie behandelt werden. Dabei spielt die Einbindung in ein psychotherapeutisches Setting allerdings eine große Rolle. Die Infusionstherapie kann gegebenenfalls mit EMDR, mit Hypnose, Neurofeedback, rTMS und Expositionstraining in virtueller Realität kombiniert werden.

Ansatz gegen Alkoholsucht

Britische Wissenschaftler um Ravi K. Das am University College London fanden heraus, dass Ketamin Menschen, die zu viel Alkohol trinken, dabei helfen könnte, ihren Konsum zu reduzieren.
Die Wissenschaftler testeten die Wirkung von Ketamin an 90 Frauen und Männern zwischen Ende zwanzig und Mitte dreißig mit einem kritischen Alkoholkonsum: Die Männer nahmen pro Woche mehr als zehn Liter alkoholische Getränke zu sich, vorzugsweise Bier, die Frauen mehr als siebeneinhalb Liter. Da die Alkoholtoleranz von Frauen geringer ist als die von Männern können diese unterschiedlichen Mengen als ähnlich in Wirkung und Folge betrachtet werden.
Einem Teil von ihnen legten die Wissenschaftler Bilder von Bier vor, um die Lust auf das Getränk zu wecken. Das geschieht über die Erinnerung an die mit dem Konsum verbundenen positiven Gefühle. Die Teilnehmer:innen erhielten im Anschluss jedoch kein Bier, sondern eine Infusion Ketamin. Alle berichteten in den folgenden zehn Tagen, dass ihr Verlangen, Bier zu trinken, deutlich gesunken sei. Sie hatten weniger Lust darauf, tranken weniger und wenn, dann hatten sie weniger Genuss dabei. Dieser Effekt blieb während einer neun Monate währenden Phase der Nachbeobachtung erhalten.
Die Forscher schließen aus ihren Ergebnissen, dass die Gabe von Ketamin ein Ansatz sein könnte, um Alkoholsucht zu bekämpfen.