Verzeihen (Seite 6/7)
Wie kann ich mir selbst vergeben?
Es ist genauso wichtig sich selbst wie anderen zu vergeben
Scham- und Schuldgefühle sind notwendig, damit man sich in eine Gesellschaft einfügen kann. Doch wie immer macht die Dosis das Gift. Meist gehen wir mit uns selbst sehr viel härter ins Gericht. Viele Menschen machen sich täglich Vorwürfe wegen Fehlern, Missgeschicken und vor allem, wenn sie nicht ihren eigenen Erwartungen entsprechen.
Gerade Menschen, die unter einem geringen Selbstwert leiden, entwickeln häufig zu starke Schuldgefühle. Selten stehen diese Gefühle in einem angemessenen Verhältnis zu der vorausgegangenen Tat.
Sich selbst nicht zu verzeihen hat dieselben negativen Konsequenzen wie anderen nicht verzeihen zu können. Die Unfähigkeit, sich selbst verzeihen zu können, ist ein Risikofaktor für Depression, Angst und ein geschwächtes Immunsystem, sagen Forscher.
Jeder Mensch macht Fehler. Das ist sogar sehr wichtig, denn ohne Fehler gibt es keine Entwicklung. Ein kleines Kind, das Laufen lernt, fällt sehr oft hin, bevor ihm die ersten Schritte gelingen. Genauso wichtig ist es, dass man aus den eigenen Fehlern lernt, sich selbst verzeiht und nach vorwärts weiterlebt.
Die drei Schritte der Selbstvergebung
Im Grunde geht man beim Selbstverzeihen drei Schritte: Wer sich objektiv schuldig gemacht hat, für den ist es wichtig, die Schuld anzuerkennen und die Verantwortung zu übernehmen. Der nächste Schritt ist, sich selbst zu erlauben, Fehler machen zu dürfen. Der letzte Schritt ist die Wiedergutmachung.
Sich selbst zu verzeihen, das bedeutet, das Vorgefallene zu akzeptieren und anzunehmen. Vor allem darf man sich selbst gegenüber Mitgefühl zeigen, gerade wenn man sich von sich selbst geschädigt fühlt.
Sich selbst dem zu stellen, was man getan hat oder was aufgrund des eigenen Unterlassens geschehen konnte, ist der erste Schritt zur Selbstvergebung. Dieser Schritt ist für die meisten leider auch der schwierigste. Es hat keinen Sinn, das eigene Verhalten zu entschuldigen oder zu rechtfertigen, das verzögert nur den heilsamen Prozess des Verzeihens.
Wer bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, der wird zunächst unangenehme Gefühle wie Schuld und Scham, aber auch Wut, Trauer und Ärger empfindet. Wer etwas falsch gemacht hat, darf sich zunächst auch schuldig fühlen. Denn ohne diese Schuldgefühle und Reue lernt man nicht dazu und ändert sein Verhalten oder seine Einstellung nicht.
In diesem Prozess ist es allerdings wichtig, zwischen Tat und Täter zu unterscheiden. Während Schuldgefühle im Hinblick auf das, was man getan hat, durchaus berechtigt sein können, dürfen sie allerdings nicht auf den ganzen Menschen übertragen werden. Wer seinen Selbstwert zu sehr über das, was er tut, definiert, läuft Gefahr Gefühle der Wertlosigkeit zu entwickeln, sobald er sich zu seinen Taten bekennt. Diese Gefühle können im schlimmsten Fall Auslöser für psychische Störungen, zum Beispiel eine Depression, sein. Fehler und Enttäuschungen gehören zum Leben, sie sind sozusagen wichtige Katalysatoren der menschlichen Entwicklungsgeschichte.
Eine Wiedergutmachung kann helfen, das durch den Fehler erschütterte Gleichgewicht wieder herzustellen. Auch wenn man selbst die Person ist, der man verzeihen möchte, kann ein Ritual der Wiedergutmachung wichtig sein.
Ritual der Selbstvergebung
Das könnte beispielsweise so aussehen, dass man sich die alte Überzeugung, die dazu geführt hat, sich selbst schwer verzeihen zu können bewusst wird und sie auf einem Stück Papier mit Tinte niederschreibt, zum Beispiel „ich allein bin Schuld daran“.
Anschließend lässt man die Schrift im Wasser oder Schnee verschwinden.
Auf einem zweiten Zettel steht die Verzeihensbotschaft etwa: Ich habe mein Bestes gegeben. Diesen zweiten Zettel darf man feierlicher gestalten, zum Beispiel verzieren und in eine kleine schöne Schachtel legen.
Das Ritual kann man ganz nach den eigenen Vorstellungen gestalten, am besten einfach und unkompliziert. Man kann zeichnen, Collagen gestalten oder eine Kerze anzünden. Wenn es sich um einen schwerwiegenden Konflikt handelt, kann es sinnvoll sein, ein solches Ritual innerhalb einer Psychotherapie oder Psychologischen Beratung zu entwickeln und durchzuführen.
Nachdem man sich verziehen hat, kann man sich konstruktiv fragen, was man aus der Sache gelernt hat oder auch wie die Erfahrung dabei helfen kann, gestärkter die nächsten Schritte zu gehen. Auch dafür kann man sich ein Symbol suchen.
Ob man selbst oder ein anderer der Verursacher der Kränkung war: Man kann sich und anderen Menschen umso großzügiger vergeben, je stabiler der eigene Selbstwert ist. Worauf dieser beruht und wie man ihn stärken kann, erfahren Sie in diesem Selbstwert-Artikel.
Über die Autorin: Angelika Völkel bietet "Therapie für Singles und Paare" in München und Starnberg an. Sie ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und systemische Einzel- und Paartherapeutin.