Prokrastination (Seite 3/5)
Wann ist Prokrastination behandlungsbedürftig?
Ab wann Aufschieben ein Problem darstellt, das behandelt werden sollte, lässt sich nicht grundsätzlich festlegen. Eine Schwelle dafür verläuft für jede Person dort, wo das Aufschieben zu Leiden und zu Beeinträchtigungen im Studium, Beruf oder anderen Lebensbereichen führt. In einer gründlichen Diagnostik werden deshalb die individuellen Faktoren analysiert, die das Aufschieben auslösen und aufrechterhalten, sowie die Bereiche, in denen Defizite bestehen. Neben Selbstbeobachtung werden auch standardisierte Fragebögen eingesetzt.
Anna Höcker, Margarita Engberding und Fred Rist sind Psycholog:innen, die an der Universität Münster zu Prokrastination forschen. In ihrem Ratgeber „Heute fange ich wirklich an!“ geben sie wichtige Hinweise, wann es wichtig wäre, psychologische oder psychotherapeutische Hilfe zu suchen. Wer sich in vielen Punkten der folgenden Liste, welche die drei Psycholog:innen erarbeitet haben, wiederfindet, der leidet höchstwahrscheinlich unter Prokrastination.
Sind Sie betroffen?
- Das Aufschieben führt zu psychischem Unbehagen: Ärger, Stress, Angst, Anspannung, innere Unruhe, Unzufriedenheit, Depressivität, Depression.
- Sie leiden unter körperlichen Beschwerden wie Schlafstörungen, Magenprobleme, Anspannung bis hin zu Muskelverspannung.
- Sie schieben wichtige Dinge immer wieder bis zuletzt auf und schaffen es trotzdem nicht, ihr Verhalten zu ändern, obwohl sie darunter leiden.
- Sie fürchten, dass Sie Ihre persönlichen Ziele wegen des Aufschiebens nicht erreichen.
- Sie ärgern sich aufgrund des Aufschiebens häufig über sich selbst, werten sich selbst ab oder fühlen sich als Versager.
- Sie schieben gewohnheitsmäßig auf, Sie tun immer wieder nicht das, was Sie tun möchten.
- Sie haben ständig ein schlechtes Gewissen.
- Sie können Arbeit und Freizeit nicht mehr trennen und können dadurch Ihre arbeitsfreie Zeit nicht mehr genießen.
- Das Aufschieben führt zu Leistungseinbußen, weil Sie zum Beispiel immer wieder wichtige Fristen verpassen, sich mit schlechten Noten zufriedengeben müssen oder aufgrund mangelnder Leistung nicht befördert werden, sich Ihr Studium extrem verlängert oder Sie aufgrund des Aufschiebens Ihre Ausbildung oder Ihr Studium nicht schaffen.
- Das Aufschieben wird zur Belastung zwischenmenschlicher Beziehungen, zum Beispiel wegen Ärger und Enttäuschung anderer über Ihre nicht eingehaltene Leistungsversprechen.
- Ihre Gedanken kreisen häufig um das Aufschieben.
- Das Aufschieben führt zu finanziellen Problemen, weil Sie Fristen nicht einhalten, Rechnungen nicht bezahlen, Abonnements nicht abbestellen, obwohl Sie sie nicht nutzen, oder als Selbständiger Ihre Projekte nicht bearbeiten, solange bis Ihre Kunden abspringen oder Rechnungen nicht oder zu spät stellen.
Wann sollten Sie aktiv werden?
Sie sollten auf jeden Fall aktiv werden, wenn Sie mehr als die Hälfte wichtiger Vorhaben aufschieben, viel Zeit damit vertrödeln und wenn es dadurch Probleme im Alltag oder Beruf gibt. Es gibt Handwerker, deren Betrieb bankrott zu gehen droht, weil sie das Schreiben der Rechnungen ständig aufschieben. Es gibt Lehrkräfte, die jeden Tag mit Bauchschmerzen in die Schule gehen, weil sie die Korrektur der Arbeiten vor sich herschieben.
Es gibt Studierende oder auch Doktoranden, die ihre Abschlüsse nicht erreichen. Manche recherchieren jahrelang, formulieren jedoch keine Arbeitsthese. Andere haben ihre Hausarbeit im Kopf, aber bringen keinen Satz zu Papier. Und das sind nur die Aufgaben mit Deadline. Sehr viele Menschen verwirklichen Ziele in ihrem Leben nicht, die ihnen eigentlich sehr wichtig sind – eine Ausbildung, ein Karriereschritt, eine Familiengründung, eine Reise – weil sie einfach nicht loslegen.
Pünktlich anfangen, realistisch planen
Konzentriert an einer Aufgabe zu bleiben, bedarf der Übung. Die Psycholog:innen Höcker, Engberding und Rist haben deshalb gemeinsam ein Anti-Prokrastinationsprogramm entwickelt.
Zwei wichtige Fähigkeiten stehen zunächst im Mittelpunkt dieses Programms: Pünktlich anfangen und realistisch planen. In zwei von fünf Sitzungen wird nur daran gearbeitet, wie man sich einen ganz konkreten Zeitpunkt setzt und ob man es tatsächlich geschafft hat, genau zu diesem Zeitpunkt zu beginnen. Realistisch planen zielt auf die Selbstüberschätzung ab. Denn viele glauben, man könnte Dinge in viel kürzerer Zeit schaffen und sind dann demotiviert, weil sie viel länger brauchen.
Vor dem Training beginnen die Klienten damit, dass sie erstmal eine Woche lang notieren, wie viel sie an jedem Tag gearbeitet haben. Eine bestimmte Trainingsvariante beginnt zum Beispiel damit, dass im Durchschnitt nur in dieser Zeit täglich konzentriert gearbeitet werden darf. Erst, wenn das gut funktioniert, setzt die Methode der Lernrestriktion an: Die Zeit des Arbeitens wird dann so eingeschränkt, dass der Betroffene gar nicht mehr aufschieben kann. Im Gegenteil, er muss sich zusätzliche Arbeitszeit verdienen. Je nachdem, wie konsequent und konzentriert die geplante Zeit für die Arbeit genutzt wurde, darf die Arbeitszeit schrittweise verlängert werden.