Perfektionismus (Seite 6/7)
Exkurs: Perfektionismus und „Generation Burnout“
Viele von Perfektionismus betroffene Menschen empfinden ihr eigenes Leben als sehr anstrengend und kräftezehrend. Die hohen Standards zu erreichen und aufrechtzuerhalten, kostet viel Zeit und Energie. Zugleich bedeutet ihnen die Erreichung von Zielen, die andere nicht geschafft haben, sehr viel. Jedoch hält die Zufriedenheit über das Erreichte nicht lange an und es muss erneut Großartiges erreicht oder der hohe Standard zumindest gehalten werden. Dieses Verhalten ist schon Teil von dysfunktionalem Perfektionismus.
Klinischer Perfektionismus ist häufig auch gekennzeichnet vom Symptom Depression. In unserer Gesellschaft zieht sich mittlerweile durch alle Altersstufen eine deutliche Zunahme an Depressionen und Burn-out-Erkrankungen. Dies belegt der im Februar 2023 erschienene Report der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH). Er verzeichnet einen Anstieg der Krankschreibungen aufgrund von psychischen Problemen, insbesondere Depressionen und Burn-out, um 16 Prozent gegenüber dem Niveau im Jahr 2019 vor der Pandemie. Eine Politikerin spricht sogar von der „Generation Burn-out“.
Es sind mehr Frauen (66%) als Männer (34%) von psychischer Überbelastung betroffen, was vor allem auf die schwer herbeizuführende Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zurückgeführt wird. Die Männer fühlen sich auch durch Existenzängste, ausgelöst durch Inflation oder Kriege (Ukraine und mittlerweile Naher Osten), bedroht.
Gerade hoch ausgebildete Frauen landen häufig in einer totalen Erschöpfung, weil sie die perfekte Mutter, Deko-Künstlerin, leistungsstarke Berufstätige, coole Freundin und perfekte Partnerin sein wollen.
Zunehmend geraten auch Männer unter Druck, weil sie in der Kleinfamilie ihren verschiedenen Rollen gerecht werden möchten: Neben dem beruflichen Erfolg, wollen sie ein präsenter Vater und ein liebender Partner sein.
Auch die hohen gesellschaftlichen Standards führen dazu, dass funktionaler Perfektionismus, der positive Seiten und Lebensfreude hervorruft, zu dysfunktionalem Perfektionismus, der alle überfordert, umkippen kann.
Die seit Jahren von Fachkräftemangel und Überstunden geprägte Arbeitsrealität erhöht die Belastung von berufstätigen Menschen weiter. Darüber hinaus zeichnen sich postmoderne Gesellschaften durch stark gestiegene Anforderungen an berufliche Mobilität und Flexibilität sowie eine zunehmende Auflösung von Großfamilien oder Dorfgemeinschaften aus. In einer fremden Stadt oder gar einem fremden Land auf sich alleine gestellt, erfahren Eltern deutlich seltener Entlastung bei Kinderbetreuung und Kindererziehung.
Sich dieser Bündelung von steter Überforderung nicht mehr aus eigener Kraft entziehen zu können, kann ein wichtiger Ausdruck von dysfunktionalem Perfektionismus sein. Eine solche Situation kann letztendlich zu Depressionen führen, wenn man sich ihr zu lange aussetzt.