Pandemie und Psyche (Seite 3/8)

Psychotherapie im Corona-Lockdown

Niederschwellige und gut organisierte Unterstützung oft Mangelware

Auch wenn Mitarbeiter der Hotlines, zum Beispiel von der Telefonseelsorge oder der Rundumauskunft der gesetzlichen und privaten Krankenkassen, für die neue Situation geschult wurden, fehlt es an niederschwellig verfügbarer und gut organisierter Unterstützung für psychisch belastete oder kranke Menschen. Denn diesen Menschen fällt es ohnehin häufig schwer, für sich selbst zu sorgen.

Menschen mit bestehenden oder latenten Depressionen, Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Neigung zum Suizid sind nun viel verwundbarer als zuvor:

  • Angstpatienten beispielsweise erleben wegen des Lockdown eine stärkere Belastung. Aus Furcht vor Infektionen trauen sie sich unter Umständen nicht, zum Arzt oder zum Psychotherapeuten zu gehen. (Artikel Angststörungen)
  • Manche Menschen, die unter einer Depression leiden, haben sich zu Beginn des Lockdown vielleicht sogar entlastet gefühlt, weil sie sozusagen die Erlaubnis hatten, zuhause zu bleiben. Doch mit anhaltendem Lockdown wandelt sich dieses Empfinden und die meisten kämpfen mit dem Mangel an unterstützenden Strukturen. Eine Depression ist eine schwere Erkrankung. Wer davon betroffen ist, erlebt ohnehin alles als katastrophaler, die Gedanken kreisen vor allem um negative Themen. Wenn Sie unter einer Depression leiden, holen Sie sich schnell professionelle Hilfe bei Ihrem Haus- oder Facharzt. Warten Sie nicht, bis die Pandemie wieder vorbei ist. (Artikel Depressionen)
  • Auch für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen ist die Lage sehr bedrohlich. Einsamkeit, soziale Isolation und die bedrohliche Lage werden nun verstärkt mit dem Griff zu Alkohol (Artikel Alkoholsucht), dem Konsum von illegalen Substanzen (Artikel Drogensucht) oder dem tagelangen Abtauchen in virtuelle (Spiele-)Welten (Artikel Internetsucht) kompensiert.

Viele Klinikambulanzen fahren den Betrieb herunter und stationäre Behandlungen werden abgesagt oder frühzeitig beendet. In Kliniken, die auf die Behandlung von psychisch kranken Menschen spezialisiert sind, geht der Betrieb mit Anpassungen weiter. Teilweise werden aber zur Einhaltung von Abstandsregeln weniger Patienten zugelassen. Vielerorts gibt es wegen des Gebots der räumlichen Distanz auch weniger Hausbesuche.

Akutbehandlung und Entspannungsverfahren als Erste Hilfe

War die Suche nach einem Therapieplatz vor Corona schon ein steiniger Weg und die Warteliste lang, so hat sich die Lage nun nochmals deutlich verschärft. Sowohl die Fortsetzung einer bereits begonnenen als auch die Neuaufnahme einer Psychotherapie ist in Zeiten persönlicher Kontakteinschränkungen sehr schwierig geworden.

Die Corona-Krise trifft auch Menschen, die gesund und eigentlich belastbar sind. Depressionen und Angststörungen haben infolge der Pandemie zugenommen. Vor allem Angststörungen scheinen noch stärker aufzutreten: Viele Menschen leiden unter der Ungewissheit, welche Auswirkungen die Krise auf ihre persönliche wirtschaftliche Zukunft, etwa das Überleben ihrer Firma, haben wird.

Die Sorge um die eigene Gesundheit und die von Familienangehörigen und Freunden kann Gefühle von Verunsicherung und Angst, von Hilflosigkeit oder sogar Kontrollverlust hervorrufen, teilt das Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz mit. Diese Empfindungen und Reaktionen seien jedoch völlig normal und es sei sehr wichtig, sich frühzeitig und damit rechtzeitig, Hilfe und Unterstützung zu suchen.

Bei schwach ausgeprägten Symptomen können Entspannungsverfahren Abhilfe schaffen (Artikel Entspannungsverfahren). Die Krankenkassen bezuschussen auch Online-Kurse. Wichtig ist es jedoch, Kurse bei qualifizierten Trainern zu buchen. Denn mit Entspannungsverfahren oder Meditation kann man nicht nur einen positiven Einfluss auf das psychische Wohlbefinden nehmen, sondern es können auch Symptome verstärkt werden, zum Beispiel bei psychotischen oder depressiven Störungen. Ein gut ausgebildeter Trainer kann erkennen, ob der Teilnehmende vom Training profitiert oder ob er gegebenenfalls psychiatrische Hilfe aufsuchen sollte.

Wer sich von der aktuellen Situation stark belastet fühlt, kann eine psychotherapeutische Akutbehandlung in Anspruch nehmen. Diese Form der Psychotherapie dient vor allem dazu, mit akuten Krisen besser umgehen zu können. Der Betroffene kann damit relativ unkompliziert beginnen und braucht dafür keine Genehmigung von seiner Krankenkasse. Die bis zu zwölf Therapiestunden, die damit abgedeckt sind, können bereits so viel Unterstützung bieten, dass der Betroffene wieder stabiler und sicherer im Leben stehen kann.

Neue gesetzlich geregelte Möglichkeiten für Psychotherapie

Mit der Verschärfung der Kontaktbeschränkungen während der COVID-19-Pandemie stieg auch die Zahl der Anfragen nach psychotherapeutischer Beratung und Betreuung. Zum einen handelt es sich bei den Suchenden um Neupatienten, zum anderen um diejenigen, die ihre Therapie eigentlich schon abgeschlossen hatten. Die schon vor dem Lockdown zu niedrigen Behandlungskapazitäten und die immer länger werdenden Wartelisten erhöhen den Druck sowohl auf die Wartenden als auch auf die Therapeut*innen, die die zunehmende Nachfrage nicht bedienen können.

Videosprechstunden

Um während dieser außergewöhnlichen Situation möglichst vielen Menschen einen Zugang zur Psychotherapie zu ermöglichen, hoben die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) die Begrenzungen für Videosprechstunden zum 01.04.2020 vorerst auf. Die Quotierung der Behandlungsfälle sowie des Stundenkontingents der einzelnen Therapien auf jeweils 20 Prozent ist seit Beginn des ersten Quartals 2020 ausgesetzt und hat nach wie vor Bestand (Stand: Februar 2021). Viele Psychotherapeuten bedienen sich nun einer Mischung aus Präsenztherapie und Videotelefonie. (Bereich Videosprechstunde bei der KBV)

Therapiesitzungen im Online-Format sind vielleicht nicht für alle Patient*innen und Therapeut*innen ein zufriedenstellender Ersatz für eine Psychotherapie, die eigentlich in der Praxis stattfinden könnte. Sie stellen aber einen Weg dar, die Gespräche mit der eigenen Psychotherapeutin, dem eigenen Psychotherapeuten fortsetzen oder überhaupt erstmalig psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen zu können. (Artikel Online-Therapie)

Viele Psychotherapeut*innen berichten, dass die Sitzungen einen stützenden Charakter hätten und sie versuchten, die Betroffenen bei der Bewältigung von Krisen und Ängsten vor allem zu stabilisieren. Natürlich können sie die Befindlichkeit ihrer Klient*innen über ein Online-Tool nicht so gut einschätzen, wie sie es sonst in einer Präsenzstunde könnten. Daher achten die meisten darauf, bei bestimmten Fragen bewusst nicht in die Tiefe zu gehen und auch Traumata nicht aktiv zu bearbeiten.

Ältere und alte Patient*innen verfügen nicht immer über die erforderliche Ausstattung, zum Beispiel einen Computer mit Kamera und Mikrofon oder über eine ausreichend stabile Internetverbindung. Ihnen steht es aber immer noch frei, eine Psychotherapeutin, einen Psychotherapeuten in der Praxis aufzusuchen oder die Therapie ausnahmsweise telefonisch weiterzuführen. Denn wenn die Hygienemaßnahmen, zum Beispiel Händewaschen oder Desinfizieren nach Betreten der Praxis und das Einhalten von Abstandsregeln, eingehalten werden, ist die Behandlung vor Ort grundsätzlich immer noch möglich.

Das gilt auch für Gruppentherapien, die zurzeit meist in reduzierter Form und unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregelungen weiterhin durchgeführt werden.

Therapeutensuche

Versäumnisse der Politik verstärken Versorgungsengpässe

Gerade in dieser Krise zeigt sich, dass auch im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung seitens der Regierung bestehende Gesetze oder Regelungen endlich überarbeitet werden müssen. Viele Patienten warten Monate auf eine psychotherapeutische Behandlung.

Viele junge Psychotherapeut*innen bekommen keinen Kassensitz

Dabei gäbe es ausreichend gut ausgebildete Psychotherapeut*innen. Die können aber oft wegen Vorgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen die Behandlung nicht übernehmen. Wie viele Psychotherapeutinnen welche Region braucht, wurde vor gut 20 Jahren in der Bedarfsplanung für ganz Deutschland festgelegt und seitdem mit komplizierten Berechnungen anhand der aktuellen Bevölkerungszahlen weitergeschrieben. Doch dieses Berechnungssystem der Kassenärztlichen Vereinigungen stimmt längst nicht mehr mit dem realen Bedarf überein.

Überprüfungen für Heilpraktiker*innen fallen aus

Die Kosten für eine Behandlung bei Heilpraktiker*innen für Psychotherapie werden zwar nur unter ganz bestimmten Umständen von der gesetzlichen Krankenkasse finanziert und meist auch nur zum Teil. Aber diese Berufsgruppe könnte gerade jetzt helfen, die großen Lücken in der psychotherapeutischen Versorgung zu schließen. Doch aufgrund von Corona sind seit dem Lockdown in praktisch allen Bundesländern die Überprüfungen zum Heilpraktiker und zum Heilpraktiker für Psychotherapie ausgefallen. Das bedeutet, dass die meisten Bewerber*innen erst frühestens im nächsten Jahr zur Überprüfung zugelassen sind und erst dann den Hilfesuchenden eine Behandlung anbieten dürfen.