Pandemie und Psyche (Seite 4/8)

Kinder und Jugendliche im Lockdown

Kontaktbeschränkungen gefährden das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen

Mit der Schließung von Kindergärten, Schulen oder Betreuungseinrichtungen werden die sozialen Kontakte von Kindern und Jugendlichen massiv reduziert. Gerade für Kinder spielen Schulkameraden oder Freunde eine wesentliche Rolle. Damit sei der rein virologische Blick auf die Pandemie nicht ausreichend, um das psychische Wohlbefinden dieser Personengruppen langfristig zu gewährleisten, berichtet etwa der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

Kinder können die gültigen Abstandsregeln viel schlechter als Erwachsene erfassen und verstehen. Auch Kontaktbeschränkungen sind für ihren entwicklungspsychologischen Prozess absolut unnatürlich. Ein fehlender Tagesrhythmus ohne Präsenzunterricht und Nachmittagsaktivitäten außer Haus erschwert es ihnen zusätzlich, ihren Aufgaben im Alltag nachzukommen.

Die aktuellen Schulschließungen sorgen in Familien für verstärkten Druck. Etwa 90 Prozent der Eltern sind wegen der Auswirkungen der Krise besorgt. Fast jedes zweite Elternteil ist oft oder sehr oft gestresst. In jeder vierten Familie gibt es Streit. Insgesamt sind die Mütter mehr belastet als die Väter. Vor allem jüngere Schüler*innen leiden unter dem ausschließlichen Lernen zu Hause. Das zeigt die bundesweite Befragung Homeschooling in Corona-Zeiten der DAK-Gesundheit.

Kinder aus sozial schwachen Familien leiden besonders

Auch bei psychisch gesunden Kindern und Jugendlichen hinterlässt die Corona-Krise deutliche Spuren. Die COPSY-Längsschnittstudie des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) belegt, dass fast jedes dritte Kind seit Ausbruch der Pandemie psychische Auffälligkeiten zeigt.

Psychotherapeut*innen berichten, dass eine Zunahme im gesamten Störungsspektrum zu beobachten sei. Bei Jungs seien vor allem aggressives und autoaggressives Verhalten erkennbar, bei Mädchen die Tendenz zu Essstörungen. In allen Altersgruppen nähmen Angststörungen zu. Die Angst, möglicherweise Großeltern mit tödlicher Folge anstecken zu können oder sogar an deren Erkrankung oder Tod Schuld zu sein, belastet viele junge Menschen zusätzlich.

Die eigene Familie ist in Zeiten der Corona-Maßnahmen eine wichtige Ressource für Kinder und Jugendliche. Je besser die Familie mit der belastenden Situation umgeht, desto stabiler sind die Kinder. Experten raten daher, Kindern eine gewisse Lockerheit im Umgang mit der Situation zu vermitteln und ihnen, so gut es geht, eine funktionierende Alltagsstruktur aufzubauen und Perspektiven aufzuzeigen.

Der Balanceakt, den viele Eltern gerade zwischen Familie, Beruf und Homeschooling vollführen müssten, gehe vor allem zulasten von Kindern aus sozial schwachen Familien oder mit Migrationshintergrund. Fehlender Rückzugsraum erhöhe das Konfliktpotenzial und führe zu gestressten Eltern, deren Verhalten sich wiederum auf ihre Kinder übertrage. Haben Eltern Angst vor dem Virus, überträgt sich das auf ihre Kinder. Je jünger sie sind, desto stärker übernehmen sie diese Emotionen, ohne ihnen etwas entgegensetzen zu können.

Verstärkt Burnout-Symptome bei Lehrkräften

Lehrer*innen sind durch die anhaltende Corona-Krise massiv belastet. Viele müssen durchschnittlich fast einen Arbeitstag pro Woche zusätzlich arbeiten. Jede vierte Lehrkraft ist regelmäßig emotional erschöpft und zeigt Burnout-Symptome, wie aus der aktuellen Sonderanalyse „Lehrergesundheit in der Corona-Pandemie“, die im Auftrag der DAK-Gesundheit vom Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) in Kiel erstellt wurde, hervorgeht.

Positive Beispiele für den Umgang mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie

In solch herausfordernden Zeiten können kreative Lösungen einen wichtigen Beitrag zu etwas Normalität leisten und Familien unterstützen.

Mensamobil, Bruchsal in Baden-Württemberg

Um Kindern ein Stück Normalität in den Alltag zurückzubringen, startete die Stadt im Januar 2021 das Mensamobil. Eltern können für ihre Kinder, die normalerweise ganztags in den Kindergarten oder die Schule gehen, ein warmes Essen bestellen. Wenn die Kinder Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) haben, ist das Essen sogar kostenfrei. Die Schulsozialarbeitenden bringen nicht nur das Gericht, das vorher auf der Speisekarte ausgewählt werden konnte, sondern nehmen sich auch etwas Zeit für ein Gespräch mit den Kindern und Jugendlichen.

Ausweichräume für die Grundschule Altenmünster im Landkreis Augsburg

Ein weiteres positives Beispiel für einen lösungsorientierten Umgang mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie zum Wohl der Kinder ist die Grundschule der Gemeinde Altenmünster im Landkreis Augsburg. Oft fehlt der nötige Platz, um in Schulen die geforderten Abstandsregeln einzuhalten. Die Gemeinde Altenmünster hat deshalb Ausweichräume, zum Beispiel in Vereinsheimen, organisiert, damit alle 180 Grundschüler der Gemeinde täglich im Präsenzunterricht unterrichtet werden können.

Soforthilfe für Kinder und Jugendliche

Wenn sich ein Kind in kurzer Zeit stark verändert, sollte therapeutischer Rat eingeholt werden. Wenn sich beispielsweise ein Kind, das sonst eher fröhlich gestimmt ist, zwei bis drei Wochen niedergeschlagen zeigt, dann ist es wichtig, sich Hilfe zu holen:

  • Nummer gegen Kummer: Telefonische Unterstützung für Kinder und Jugendliche gibt es unter der „Nummer gegen Kummer“ 116 111 (es ist keine Vorwahl nötig), montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr, anonym und kostenlos in ganz Deutschland
    https://www.nummergegenkummer.de/kinder-und-jugendberatung/
  • JugendNotmail: In der vertraulichen und kostenlosen Online-Beratung JugendNotmail können Jugendliche ganz offen ihre Sorgen, Gedanken und Gefühle mitteilen. Gerade in dieser angespannten Zeit des Lockdown kann das ein wichtiger Schritt sein, sich Hilfe und Unterstützung bei wohlmeinenden neutralen Personen zu holen: https://jugendnotmail.de
  • Elterntelefon: Mütter und Väter können unter der kostenfreien Telefonnummer 0800-111 0 550 über ihre Sorgen und Nöte bezüglich ihres Kindes, aber auch über ihre eigenen Belastungen sprechen, immer montags und mittwochs von 9 bis 11 Uhr und dienstags und donnerstags von 17 bis 19 Uhr und immer anonym.
    https://www.nummergegenkummer.de/elternberatung/
  • Auf therapie.de finden Sie auch auf Kinder und Jugendliche spezialisierte Therapeut*innen Therapeutenliste Kinder und Jugendliche