Gesund durch Krisen (Seite 3/6)
Gute Selbstfürsorge gegen Krisenstimmung
Unterschiedlichste Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Menschen nur an Krisen wachsen, wenn nicht von ihnen gefordert wurde, sofort weiterzumachen wie bisher, wenn ihnen Zeit gegeben wurde, sich an ihr neues Leben zu gewöhnen.
Allein in Deutschland waren im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie mehr als zwei Millionen Menschen in ihrer Existenz bedroht, ein ganzes Fünftel dieses Landes muss jetzt mit weniger Einkommen zurechtkommen als vor der Krise.
Was stärkt die Widerstandskraft?
Junge Menschen haben heute weniger Rückzugsraum, um durchatmen zu können. Wenn man früher die Tür schließen konnte, wird heute ununterbrochen beschallt, so empfinden es viele. Wer in der Schule gemobbt wird, muss das meist auch nachmittags in den sozialen Medien erleiden.
Rückzugsräume und Möglichkeiten des Abschaltens
Einfach einmal abschalten zu können, auch ganz konkret hinsichtlich des Smartphones, ist für jeden Menschen wichtig, besonders für die, die mit der aktuellen Krisenstimmung nicht zurechtkommen. „Das muss die Gesellschaft auch einfordern, zum Beispiel in Form eines Smartphone-Verbots an Schulen für Kinder und Jugendliche unter einem gewissen Alter, um damit zu signalisieren, dass das Leben weitergeht, wenn man nicht online ist, wenn man nicht ununterbrochen erreichbar ist,“ sagt Schnetzer.
Echte und stabile Beziehungen
Mehr echte Beziehungen eingehen: Es werden mittlerweile viele Freundschaften digital gepflegt. Es ist vielen Menschen nicht mehr richtig klar, wann ein Freund ein Freund ist. „Ich habe häufig bei generationenübergreifenden Vorträgen erfahren, dass heute wieder die Eltern die Ansprechpartner sind, wenn beispielsweise ein Jugendlicher Hilfe bei einem Umzug braucht oder wenn es ihm gesundheitlich schlecht geht“, so der Trendforscher.
Viele Beziehungen sind instabil geworden. Wer Hilfe braucht, dem stehen dann gar keine anderen Menschen zur Seite, denen er eine solche Belastung zumuten könnte. Das betrifft nicht die Menschen, die sozial gut eingebunden sind, zum Beispiel in Vereine. Das betrifft vor allem Menschen, die fast nur noch digital mit anderen vernetzt sind. Wenn jemand etwas likt, was man auf Facebook schreibt, dann ist das cool, aber das hilft nicht, wenn es einem schlecht geht.
Gegenseitige Unterstützung und gemeinsame Projekte
Es würde allen helfen, sich gegenseitig dabei zu unterstützen, sich im realen Leben mit anderen Menschen auszutauschen, gemeinsam etwas zu erleben und dadurch auch stabile Beziehungen, auf die man sich verlassen kann, wenn es einem einmal schlecht geht, aufzubauen. Wenn sich Generationen gemeinsam für ein Thema einsetzen und aktiv Gelegenheiten schaffen, in denen ein Wir entstehen kann.
Krise als Chance
Um Krisen als etwas Positives zu erfahren, müssen Menschen Lösungen gestalten dürfen, am besten gemeinsam mit anderen Menschen. Nicht umsonst stellt Selbstwirksamkeit eine wesentliche Säule eines gesunden Selbstwertgefühls dar. Gerade während der Corona-Pandemie kamen aber viele Menschen nicht damit klar, dass ihnen Lösungen vorgesetzt wurden, ohne dass sie auch Alternativen hätten wählen dürfen.
Wenn Menschen sich beteiligen können, dann können sie auch etwas bewirken. Einige Kommunen haben zwar immerhin einen Jugendrat aufgestellt, aber häufig haben die Jugendlichen dort nicht einmal ein Rederecht. Damit entsteht in den jungen Menschen das Gefühl, dass sie sowieso nichts bewirken können. Schülermitverwaltungen sind ein gutes Beispiel, wie junge Menschen eingebunden werden können.
Abschied vom Vertrauten wagen
Viele Menschen überschätzen Ihre Möglichkeiten, äußere Geschehnisse kontrollieren zu können. Sie glauben, dass es von ihrem persönlichen Einsatz abhängt, drängende Probleme in den Griff zu bekommen. Statt Anstrengungen auf sich zu nehmen, die schon in der Vergangenheit nichts gebracht haben, wäre es sinnvoller, Abschied vom Vertrauten zu nehmen, neue Strategien zu entwickeln und neue Kompetenzen zu erarbeiten.
Was das Individuum in einer persönlichen Krise lernen kann, um die nötige Kreativität aufzubringen, die Krise zu überwinden, das gilt im Grunde auch für die ganze Gesellschaft: Auf dem Höhepunkt einer Krise ist man sehr eingeengt und zugleich labil, beschreibt die Psychoanalytikerin Verena Kast in ihrem Buch „Lebenskrisen werden Lebenschancen.“
Die Einengung bewirkt, dass man etwas tun muss, die Labilität, dass man offener wird. Weil man in diesem Zustand gar nicht anders kann, wird man sich auf etwas Neues einstellen und ist motivierter, das zu tun.
Positive Dinge unbedingt beibehalten
Ein Mensch in Krisenstimmung neigt dazu, positive Dinge derart zu vernachlässigen, dass es ihm auf diese Art und Weise auch ohne die krisenhafte Großwetterlage schlecht gehen würde. Sorgen Sie gut für sich. Treffen Sie Menschen, die Ihnen guttun. Gehen Sie weiterhin Ihren Hobbies nach.
Behalten Sie das Positive im Blick. Negative Gedanken können dazu beitragen, dass Sie eine schwierige Lage als noch schlimmer empfinden, als sie bereits ist.
Vermeiden Sie typische Denkfehler:
- Übergeneralisierung: Weil etwas Schlimmes passiert ist, wird auch in Zukunft etwas Schlimmes passieren.
- Emotionales Denken: Meine Schuldgefühle beweisen, dass ich selbst verantwortlich bin.
- Überhöhte Ansprüche: Ich muss stark sein und die Situation allein bewältigen
Übrigens: Ergebnisse von sieben Studien zeigen, dass Menschen, die gerade unglücklich oder unzufrieden sind, sich nicht motivieren können, etwas Gutes zu tun, wenn sie es sich vor dem inneren Auge vorstellen. Schlechte Laune geht mit einem bestimmten Gesichtsausdruck einher. Diese Mimik kann in Konflikt geraten mit dem Versuch, sich die angenehme Tätigkeit vorzustellen.
Die Krux: Man merkt dann nicht, dass es das bloße Nachdenken ist, das schwerfällt, sondern man glaubt, dass der Schwung fehlt, das Angenehme zu tun. Deshalb nicht lange überlegen, sondern einfach machen.
Eigentliche Bedürfnisse wahrnehmen
Vergegenwärtigen Sie sich, dass Sie Dinge wie die Weltpolitik oder Naturkatastrophen nicht kontrollieren können.
Je mehr man seine eigentlichen Bedürfnisse wahrnehmen kann, desto realistischer werden die Ansprüche, die man an das Leben stellt, schreibt der Psychotherapeut Andreas Knuf in seinem Buch „Widerstand zwecklos. Wie unser Leben leichter wird, wenn wir es annehmen, wie es ist.“
Gegenwärtig scheinen viele Menschen den Anspruch zu haben, dass das Leben so weitergehen muss, wie sie es während der vergangenen Jahrzehnte leben konnten: Sie möchten darauf vertrauen können, dass sie weiterhin die Autos fahren und die Technologien nutzen, die sie gewohnt sind, dass der Wohlstand weiterwächst, dass sie weiterhin regelmäßig verreisen können und vieles mehr.
Viele Ansprüche gehen aber an dem vorbei, was einem guttut. In einer individualisierten Gesellschaft gehen viele Menschen davon aus, dass es ihr persönliches Versagen ist, wenn etwas nicht gelingt, selbst wenn äußere Bedingungen in einem konkreten Fall eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Je mehr Menschen eine Kultur der Akzeptanz pflegen lernen, desto klarer und bescheidener werden sie, desto bewusster gehen sie mit sich, ihrem Umfeld und ihrer Umwelt um.