Gesund durch Krisen (Seite 2/6)

Welche Themen für Krisenstimmung sorgen

Verschiedene Bevölkerungsgruppen nennen unterschiedliche Gründe für Krisenstimmung

Doris Lessing schreibt in ihrer Autobiografie „Unter der Haut“, dass man sich in den 40er Jahren keinen Pessimismus hätte leisten könne, was auch die Songs von Cole Porter wie der Titelgeber dieses Buches widerspiegelten.

Geht es uns so schlecht, weil es uns jahrelang zu gut ging? Vielleicht fühlen sich diese Krisen nach den Jahrzehnten großen Wohlstands einfach nur schmerzhafter an? Es entstand in den 80er und 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein Wohlstand für eine relativ breite Masse wie noch nie zuvor in der Geschichte unseres Landes. Leiden wir vielleicht alle einfach auch darunter, uns an diesen Wohlstand gewöhnt zu haben?

„Die Menschen leiden mehr darunter, dass sich ständig etwas um sie herum verändert. Das eine verschwindet, das andere taucht auf und dazwischen erleben sie immer wieder die Momente der Krise, in welchen die Ungewissheit herrscht“, erklärt Schnetzer.

Welche Themen belasten junge Menschen?

Die Sorgen, die aktuell die meisten jungen Menschen umtreiben, sind nicht mehr durch die Corona-Pandemie geprägt. Sie ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Aber an ihre Stelle sind laut Trendstudie 2024 andere massive Sorgen getreten: Inflation (65%), Krieg in Europa und Nahost (60%), teurer/knapper Wohnraum (54%), Spaltung der Gesellschaft und Klimawandel (jeweils 49%), haben Schnetzer und seine Kollegen herausgefunden.

An erster Stelle des Sorgen-Rankings steht damit seit nunmehr zwei Jahren eine Verunsicherung aufgrund der finanziellen Situation. Auch der Blick in die Zukunft ist von einer starken Verunsicherung geprägt, wie die Angst vor Altersarmut (48%) und die Sorge um die Wohlstandsperspektive für junge Menschen (32%) zeigt. Die Angst vor einem Krieg in Europa ist weiterhin extrem hoch.

Viele junge Menschen haben das Gefühl, dass es mit dem Wohlstand nicht so weiter geht. Viele merken, dass sie sich bestimmte Dinge nicht mehr leisten können. Was auch die eigene Stimmung gegenüber Flüchtlingen kippen lässt, weil man sich fragt, wie viel man diesen Menschen überhaupt abgeben kann, wenn wir selbst nicht genug haben. Ein friedliches Zusammenleben ist demnach nur möglich, wenn alle genug haben.

Warum sind junge Menschen besonders betroffen?

Das Thema Stress und Belastung ist bei Jugendlichen besonders groß. Es ist ganz natürlich, dass die Jugendzeit generell eine stressigere und belastendere Lebensphase ist. Jugendliche stellen sich viele Lebensfragen, die verunsichern, zum Beispiel ob sie gut genug sind oder was passiert, wenn sie auf ein Mädchen oder einen Jungen zugehen und einen Korb bekommen.

Heute verfügen schon Grundschulkinder über ein eigenes Smartphone und sind ständig erreichbar. Der Begriff Fomo, fear of missing out, also die Angst, etwas zu verpassen zu können, beschreibt den Spannungszustand, in dem sich viele junge Menschen befinden, ganz deutlich.

Aber es geht nicht nur darum, selbst einmal etwas nicht sofort mitzubekommen, sondern auch die Erwartungen der anderen bedienen zu müssen. Das bedeutet in der Regel, schnell reagieren zu müssen.

Dazu kommt: „Wir vergleichen uns mit dem guten Leben anderer Menschen“, sagt der Trendforscher. „Junge Frauen schauen heute nicht mehr so einfach in den Spiegel und finden sich schön, sondern sie vergleichen sich mit den gefilterten Gesichtern, die sie auf den Social-Media-Kanälen sehen. Viele junge Menschen lassen sich von dem beeinflussen, was sie dort sehen und es geht ihnen nicht gut damit. Ich habe mit vielen jungen Menschen gesprochen. Einige haben gesagt, dass es ihnen wieder besser geht, seitdem sie Social-Media-Kanäle wie Instagram nicht mehr benutzen. Ihnen ging es davor faktisch auch gut, aber sie haben sich nicht gut gefühlt, weil es allen anderen scheinbar vergleichsweise besser ging. Das ist auch ein großer Unterschied zu früher. Früher hat man sich verglichen mit den Nachbarn, der Peergroup in der Umgebung, aber nicht immer mit dem, was global alles schöner und besser läuft.“

„Das führt dazu, dass junge Menschen nicht zur Ruhe kommen“, erklärt Simon Schnetzer. „Über Social Media empfangen sie permanent Nachrichten und das viel direkter, weil sie selten in einen erklärenden Kontext eingebunden sind, sondern ungefiltert bei den jungen Menschen einströmen. Dadurch landet ununterbrochen etwas im Unterbewusstsein dieser Menschen, das ihnen signalisiert, dass diese Welt unsicher ist und die Krisen nicht zu bewältigen sind.“

Vor der Corona-Pandemie hat beispielsweise ein Student geplant, zwei Jahre später ein Auslandssemester zu absolvieren. Darauf arbeitete er dann entsprechend hin. Aufgrund der Pandemie wurden aber plötzlich ganze Zukunftspläne über den Haufen geworfen. Der Zeithorizont der Zukunftsplanung ist dramatisch kürzer geworden. Das hat natürlich eine große Auswirkung darauf, welche Entscheidungen man trifft.

Viele leben in einer Art Endzeitstimmung: „Ich spreche mit Klimaklebern, die sagen: Ich mache das nicht mehr, den Kampf haben wir schon verloren. Sie wünschen sich noch Kinder, glauben aber nicht, dass das Leben noch gut wird“, sagt Schnetzer.

Was allen Altersgruppen Unbehagen bereitet

Im Vergleich der Altersgruppen ergeben sich bemerkenswerte Übereinstimmungen in der Rangfolge dessen, welche Themen Sorgen bereiten. Sowohl für die jüngeren als auch für die mittleren und älteren Bevölkerungsgruppen zählen Inflation und der Krieg in Europa zu den Sorgen, die ihnen am meisten zu schaffen machen. Ganz am Ende der Liste steht bei allen die Sorge vor Konflikten zwischen den Generationen.

Dennoch gibt es deutliche Akzentverschiebungen, die auf unterschiedliche Lebensperspektiven der drei Altersgruppen hinweisen. Der Klimawandel belastet die jüngeren Befragten deutlich stärker als die älteren. Neben Inflation und Krieg nennen die unter 30-Jährigen ihn an dritter Stelle. In der mittleren Altersgruppe steht der Klimawandel an siebter, in der älteren an fünfter Stelle. Auch eine mögliche Wirtschaftskrise wird von der jüngeren und mittleren Gruppe deutlich stärker gefürchtet.

Umgekehrt verhält es sich bei der Sorge vor Altersarmut und dem Zusammenbruch des Rentensystems. Je älter die Befragten sind, desto stärker rücken diese Sorgen in den Vordergrund. Die Sorge vor Altersarmut steht bei der jüngeren Gruppe an fünfter, bei den älteren an zweiter Stelle. Die Zunahme von Flüchtlingsströmen wird in der älteren Bevölkerung ebenfalls sehr viel kritischer bewertet als in der jüngeren.

Wie wirken solche Krisen auf die Psyche?

Die Zufriedenheit mit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebenssituation wird stark durch Sorgen und Ängste bestimmt. Sie sind ein Indikator dafür, welche Themen die jungen Menschen mit Blick auf ihre persönliche Zukunft und ihr Umfeld bedrücken. Als vor zwei Jahren durch den russischen Angriff auf die Ukraine auch noch ein Krieg in Europa zu der Krise des Klimas und der gerade abklingenden Corona-Pandemie hinzukam, wurde der Begriff der Jugend im Krisenmodus geprägt.

Die Verunsicherung des alltäglichen Lebens machte eine feste Zukunftsplanung unmöglich und führte zu einer großen psychischen Belastung. Die im vorigen Abschnitt dokumentierte sinkende Zufriedenheit mit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebenssituation dürfte ein Ausdruck davon sein.

Ausweichhandlungen in Krisen

Wenn Menschen das Gefühl haben, Krisen nicht bewältigen zu können, dann kommt es zu Ausweichhandlungen. Mit der Aggression beispielsweise geht man dann nach außen und wälzt die Belastungen auf das Umfeld ab.

Eine andere Ausweichhandlung ist, das Ganze nach innen zu tragen, was zu Depressionen und Angststörungen führen kann. Eine dritte Variante ist das Betäuben, durch Alkohol, Drogen oder auch Spiele. All das hat bei jungen Menschen, aber auch bei vielen im fortgeschrittenen Alter zuletzt deutlich zugenommen.

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