Freundschaft (Seite 4/7)
Seien Sie selbst ein Freund
Damit anhaltende Freundschaften und lebendige Freundeskreise gedeihen

Die meisten wünschen sich eine beste Freundin oder einen besten Freund, immerhin können 66 Prozent einen Menschen als solchen bezeichnen. Das fanden das SINUS-Institut und das Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov fin einer Studie heraus, ebenso dass in Deutschland jeder im Durchschnitt drei bis vier enge Freunde hat und zirka elf Personen zu seinem erweiterten Freundeskreis zählen.
Das Freundschaftsparadoxon
Wenn alle anderen scheinbar mehr Freunde haben
Wer sich übrigens selbst bedauert, weil er glaubt, dass alle um ihn herum mehr Freunde hätten, als er selbst, liegt gar nicht so falsch: Der Soziologe Scott Lauren Feld beobachtete im Jahr 1991 das Phänomen, dass die Freunde einer Person im Durchschnitt mehr Freunde haben, als eine Person im Durchschnitt Freunde hat.
Diese scheinbar widersprüchliche Aussage heißt Freundschaftsparadoxon und ist aber nur im Durchschnitt aller Personen richtig, da einzelne Personen auch mehr Freunde haben können, als die durchschnittliche Anzahl der Freunde, die ihre eigenen Freunde durchschnittlich haben. Vereinfacht gesagt ergibt sich das Paradoxon dadurch, dass Personen mit vielen Freunden häufiger als Freunde von Freunden auftauchen, als Personen mit wenigen Freunden. Während der vergangenen Pandemie beschäftigte sich die Forschung übrigens damit, um den Verlauf der Pandemie besser abschätzen zu können.
Freundeskreise haben oft zentrale menschliche Knotenpunkte
Die meisten Freundeskreise sind als Netzwerke mit zentralen Knotenpunkten aufgebaut. Wenn dann solche zentralen Menschen das eigene Leben verlassen, verliert man unter Umständen viele Verbindungen auf einmal, was dazu führen kann, dass man sich als weniger beliebt einschätzt als andere, obwohl man mit der Anzahl der eigenen Freundeskontakte im Durchschnitt liegt.
Wenn man dann außerdem wegen eines Partners, einer Ausbildung oder aufgrund eines Jobwechsels den Lebensmittelpunkt wechseln muss und plötzlich kein soziales Netzwerk vor Ort zur Verfügung steht oder man wegen der Trennung vom eigenen Partner nicht mehr uneingeschränkt Zugang zum alten Freundeskreis hat, kann es sein, dass man sich völlig allein fühlt.
Zu hohe oder falsche Erwartungen können Freundschaften belasten
Im Schlusssatz von Beethovens neunter Sinfonie singt der Chor auch einmal von einem „Freund geprüft im Tod“. Während im angloamerikanischen Kulturraum Freundschaft sehr viel mehr mit Spaß assoziiert wird, schwingt bei diesem Wort in Deutschland auch Schwere mit. Deutsche legen eher Wert auf tiefere Verbindungen als auf zahlreiche Bekanntschaften. Wenn eine Freundschaft einmal geschlossen ist, sollte sich daraus eine vertrauensvolle und loyale Beziehung entwickeln, so die Erwartung.
Treue bis zum Tod, Opfer bringen, immer zur Stelle sein, wenn man sie oder ihn braucht, das sind Vorstellungen, mit denen man Menschen allerdings auch in die Flucht schlagen kann. Während der Pandemie gab es sogar die fälschliche Vorstellung, dass die eigenen Freundschaften vor einer Corona-Infektion bewahren könnten.
Genau darin kann eine Schwierigkeit begraben liegen, wenn es mit den eigenen Freundschaften nicht so recht klappt: Die Erwartungen können zu hoch oder schlicht die falschen sein.
Was man selbst braucht, um gute Freundschaften führen zu können

Um mit anderen Menschen, eine Beziehung einzugehen, ist Vertrauen nötig. Freundschaften sind meist auch eine Möglichkeit, Dinge, die uns belasten und die man nicht mit jedem teilen möchte, zu besprechen.
Wie in vielen anderen Bereichen des menschlichen Miteinanders spielt auch hinsichtlich Freundschaft der eigene Selbstwert eine große Rolle.
Selbstwert ist die Bewertung, die man von sich selbst, seinen Eigenschaften und Fähigkeiten hat. Der Selbstwert wird davon beeinflusst, wie man sich selbst im Moment wahrnimmt und welches Bild man von sich in der Vergangenheit hat. Er wirkt sich auf die Gefühle und das Verhalten aus. Auch wie man Chancen und Risiken im eigenen Leben wahrnimmt, hängt vom eigenen Selbstwert ab. Ein Mensch mit einem gesunden Selbstwert wird unbefangener auf andere Menschen zugehen und damit schneller neue Beziehungen eingehen können als jemand, der unnötig an sich zweifelt.
Je höher der eigene Selbstwert, desto wertschätzender geht man mit sich selbst, aber auch mit anderen Menschen um. Menschen mit einem hohen Selbstwertgefühl haben meistens realistischere und bodenständigere Vorstellungen von einer Freundschaft. Sie erwarten nicht zu viel vom Gegenüber, sind aber bereit, sich für andere einzusetzen.
Da der Selbstwert eine Art Dreh- und Angelpunkt der menschlichen Psyche darstellt, lohnt es sich daran zu arbeiten, gegebenenfalls mit einem Coach oder einem Psychotherapeuten.
Um Freundschaften eingehen zu können, ist es wichtig, anderen Menschen Vertrauen entgegen zu bringen. Wer sich schwer damit tut, anderen Menschen zu vertrauen, hat es meist in der Kindheit nicht gelernt oder im Laufe seines Lebens Enttäuschungen erlebt. Diese belastenden Erfahrungen kann man im Rahmen einer Psychotherapie verarbeiten und lernen, wieder Vertrauen aufzubauen.
Wie man Freundschaften pflegt
Wer sich nach Freunden sehnt, der sollte sich zuerst selbst wie ein Freund verhalten. Andere in ihren Bedürfnissen, in ihren Sorgen und Nöten wahrzunehmen, das ist wichtig.
Genauso gehört dazu, die Stärken, Leistungen und Erfolge der potenziellen Freunde wertzuschätzen, aber auch einfach Anerkennung dafür auszudrücken, dass sie so sind wie sie sind. Nur wer seine Freundschaften als echte Beziehungen begreift, wird bereit sein, an ihnen so ernsthaft zu arbeiten, wie an einer Liebesbeziehung.
Melden Sie sich regelmäßig bei Ihren Freunden, auch wenn Sie wenig Zeit haben. So bleiben Sie im Leben der anderen präsent und es signalisiert den anderen, dass sie wichtig für Ihr Leben sind.
Übrigens: Freundschaften sind häufig nicht so belastbar wie eine Ehe oder die eigene Familie. Denn während Menschen Konflikte innerhalb der Familie manchmal einfach ertragen, um den Zusammenhalt zu schützen, werden Unstimmigkeiten innerhalb von Freundschaften durchaus strenger beurteilt.
Die Wissenschaft und schlechte Erfahrungen zeigen: Eine negative Interaktion mit einem Freund kann die ganze Freundschaft zerstören. Das liegt daran, dass das menschliche Gehirn darauf programmiert ist, die Umgebung nach Gefahren abzuscannen. Wer eine ungute Situation mit einem Freund erlebt hat, sollte deshalb proaktiv nachhaken und die Situation offen ansprechen, damit beide den Konflikt entsprechend einordnen und hinter sich lassen können.
Vergleichen Sie sich nicht mit anderen: Nicht die Größe des Freundeskreises ist entscheidend, sondern dass Sie mit Menschen zusammen sind, die zu Ihnen passen. Und um das zu erkennen, ist es notwendig, auf sich selbst zu achten: Welche Bedürfnisse habe ich? Was brauche ich, um mich in einer Freundschaft wohlzufühlen?