Einsamkeit (Seite 3/7)

Was führt zu Einsamkeit?

Einsamkeit entsteht aus vielen Gründen und auf unterschiedlichen Ebenen

Für die meisten Menschen ist das Gefühl von Einsamkeit etwas, das phasenweise vorkommt und das zum Leben dazugehört. Gelegentliche Einsamkeit ist ganz normal. Studien belegen, dass jedoch etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung stabil einsam sind, also fast über ihren gesamten Lebenslauf hinweg.

Einschneidende Lebensereignisse können zu Einsamkeit führen

Während der Lockdowns der Corona-Pandemie haben sich viele Menschen einsam gefühlt, besonders auch solche, die sonst nicht darunter leiden. Während einer Quarantäne die Erfahrung zu machen, nicht mehr selbst darüber bestimmen zu dürfen, wen man trifft, kann eine sehr bedrohliche Erfahrung sein. Nicht umsonst stieg die Zahl der psychischen Erkrankungen an. Betroffene fühlten sich während des Lockdowns deutlich stärker isoliert als andere und waren einem höheren Stressrisiko ausgesetzt.

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann kann eine Welt zusammenbrechen und es eine Herausforderung darstellen, ohne ihn weiterzuleben. Andere Lebensveränderungen wie Umzug, Arbeitsplatzwechsel oder auch Arbeitsplatzverlust können Menschen die sichere Umgebung und gewohnte Begegnungen nehmen.

Im hohen und sehr hohen Alter fühlen sich viele Menschen einsam, weil sie nicht mehr so ins Leben integriert werden, wie es gesund für sie wäre. Vor allem in Pflegeheimen machen sie dann oft die Erfahrung, dass viele Menschen ihrer Umgebung nicht mehr imstande sind, sich auszutauschen, weil sie mental oder körperlich zu eingeschränkt sind.

Problematische Verhaltensweisen können Einsamkeit begünstigen

Aber nicht nur einzelne Vorfälle oder Erlebnisse können zu Vereinsamung führen. Walter Möbius und Christian Försch sind gemeinsam in ihrem Buch „7 Wege aus der Einsamkeit und zu einem neuen Miteinander“ der Frage nachgegangen, wie Einsamkeit entsteht und auch, wie man wieder aus ihr hinausfindet. Sie konnten sieben problematische Verhaltensweisen oder Reaktionsweisen, die einsam machen, identifizieren.

  1. Stress: Menschen, die ständig unter Druck stehen und sich gestresst fühlen, verlieren mit der Zeit den Kontakt zu sich selbst, zu ihrem Gefühlsleben. Sie entfernen sich von ihrer Umgebung und nehmen nicht mehr wahr, wie es ihnen selbst und den anderen Menschen geht. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Stress durch zu viel oder zu wenig Arbeit entsteht, denn auch Menschen, die arbeitslos geworden sind, können aufgrund der veränderten Situation unter Druck stehen. Ehrgeiz kann im Zusammenspiel mit Perfektionismus und Pflichtgefühl dazu führen, zu lange zu viel Stress zu akzeptieren.
  2. Krankheit: Häufig pflegen einsame Menschen einen ungesunden Lebensstil, sie konsumieren zu viele Genussmittel und bewegen sich zu wenig. Es sind nicht wenige Menschen, die zu Drogen, Medikamenten oder Alkohol greifen, weil sie sich einsam fühlen. Anfangs mag ein Glas Wein oder ein Joint den Schmerz der Einsamkeit tatsächlich etwas beschwichtigen, doch wer die eigenen Gefühle oder Befindlichkeiten herunterspült, verliert den Kontakt zu sich selbst. Eine Abhängigkeit führt zu viel größerer Einsamkeit, als die, die man erlitt, bevor man zu den Suchtmitteln gegriffen hat, sie führt zu Isolation, aus der man schwer wieder hinausfindet.
    Kranke Menschen ziehen sich häufig zurück. Vor allem bei schweren und unklaren Diagnosen und einer unzureichenden Therapie drehen sich Betroffene häufig sehr um sich selbst. Weil eine angemessene ärztliche Betreuung fehlt, fühlen sie sich alleingelassen und sie ziehen sich mehr und mehr von ihrem privaten Umfeld zurück, auch weil Angehörige oder Freunde sich irgendwann überfordert fühlen.
  3. Isolation: Einzelhaft oder Krankheiten wie das Locked-in-Syndrom oder bestimmte Formen der Autismus-Spektrum-Störung können Menschen in eine extreme Isolation führen. Als Folge eines Schlaganfalls kann das Locked-in-Syndrom auftreten. Es handelt sich dabei um eine vollständige Lähmung. Das Bewusstsein und die geistige Funktion sind nicht beeinträchtigt. Aber die Betroffenen können sich nicht mehr ausdrücken oder mit anderen angemessen kommunizieren, deshalb auch der Begriff des Locked-in, also Eingeschlossenseins. Isolation kann sogar in den Wahn führen.
  4. Ausgrenzung: Aus einer Gruppe, aus der Gemeinschaft ausgegrenzt zu werden, verursacht sehr großen Stress. Kinder, die in der Schule gemobbt werden, Menschen, die bewusst von ihren Kolleg:innen ignoriert werden, erleiden eine große Einsamkeit.
  5. Ungesunde Partnerschaften: Menschen, die in einer Partnerschaft nicht die nötigen Grenzen setzen können, die sich benutzen lassen, die sich die Verantwortung für Missstände übertragen lassen, laufen Gefahr zu vereinsamen. Der Partner gesteht ihnen die ihnen gebührende Anerkennung nicht zu, versucht sie, kleinzumachen und in eine Abhängigkeit zu bringen.
  6. Entwurzelung: Menschen, die ihre gewohnte Umgebung verlieren, weil sie ihre Arbeit verloren haben, weil sie von ihrem Partner verlassen wurden oder weil sie ihre Heimat verlassen mussten, sind gefährdet zu vereinsamen. Wer plötzlich aus seinem gewohnten Leben gerissen wird, verliert Halt und Orientierung. Keiner Gemeinschaft mehr anzugehören und die Menschen in seiner Umgebung nicht mehr zu verstehen, löst extremen Stress aus.
  7. Der Blick auf Unwesentliches: Menschen, die den Bezug zum größeren Ganzen verlieren, die keinen Sinn im Leben finden und kaum noch Dankbarkeit empfinden können, laufen Gefahr zu vereinsamen. Denn jeder Mensch ist auf etwas Größeres hin geordnet, auch wenn er sich nicht konfessionell gebunden fühlt.

Wer unabhängig von seiner aktuellen Situation dauerhaft nicht ausreichend für ein gutes Sozialleben sorgen kann, trägt die Ursachen meist in sich. Eine Psychotherapie kann dabei helfen, sich anderen Menschen mehr zu öffnen, stabilere Beziehungen zu führen und insgesamt mehr am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Gemeinschaft ist lebensnotwendig und jeder sollte sich dessen bewusst sein, dass ihm ein soziales Leben zusteht. Zärtlichkeiten, Umarmungen, intensive Gespräche, selbst wenn sie nur am Telefon stattfinden, setzen Oxytocin frei. Dieses Hormon ist ein wichtiger Gegenspieler der Stresshormone. Oxytocin wird auch Kuschelhormon genannt. Es wird bei Frauen zur Einleitung der Geburtswehen und beim Stillen freigesetzt und stärkt emotionale Bindungen.

Ist Einsamkeit eine Krankheit oder anerzogen?

Es gibt keine erbliche Vorbelastung für Einsamkeit, aber bestimmte soziale Muster in der Familie machen ihre Entstehung wahrscheinlicher. Wenn Eltern nicht vorleben können, wie Beziehungen gelingen, dann haben es auch ihre Kinder schwerer, dies zu erlernen. Laden die Eltern selten Besuch ein, gehen selbst zu wenig unter die Leute oder sprechen nicht einmal mit den Nachbarn, werden Kinder zu wenig auf ein gutes Sozialleben vorbereitet.

Kindheit und Jugend sind entscheidend für das Risiko, irgendwann zu vereinsamen. Untersuchungen aus Waisenhäusern in den 1960er Jahren zeigten, dass mangelnde Zuneigung und Aufmerksamkeit Kinder erst zu lautem Weinen veranlasst und sie dann nach wiederholtem Ignorieren lethargisch und verhaltensgestört werden lässt.

Menschen, die emotional sehr labil sind, gelten als unzufrieden mit ihrem Leben. Beim Neurotizismus-Persönlichkeitsfragebogen erzielen sie in der Regel hohe Werte. Sie können nicht gut mit Stress umgehen und erleben negative Erfahrungen intensiver als andere. Leider scheint sich dies alles im Lauf der Zeit zu verstärken, ergab nun eine Auswertung von Längsschnittdaten des sozio-ökonomischen Panels.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die emotionale Labilität zunimmt, also nicht, wie manche Forschende bislang annahmen, eine ausgeprägte Unzufriedenheit auf sie zurückwirkt oder sie gar verstärkt.

Macht ein bestimmter Bindungsstil einsam?

Man dachte lange, dass der in der Kindheit in Beziehung zu den Eltern erworbene Bindungsstil zum einen bis ins Erwachsenenalter erhalten bleibe und sich zum anderen auf andere Beziehungen als die zu den Eltern, zum Beispiel auf den Partner, übertragen würde. Wer als Kind unsicher an seine Mutter gebunden war, wäre demnach als 50-Jähriger unsicher an seine Partnerin gebunden.

Neuere Studien widerlegen jedoch, dass ein solcher Automatismus existiere. In einer umfassenden Metaanalyse untersuchten Psychologinnen rund um Martin Pinquart, Professor für Psychologie an der Universität Marburg, die Stabilität von Bindungsstilen. Sie betrachteten die Entwicklung von Kleinkindern bis zu jungen Erwachsenen. Kurzfristig war die Bindungsart tatsächlich vergleichsweise konstant, doch je mehr Zeit verging, desto stärker veränderte sie sich. Nach 15 Jahren fanden die Forscher keine Stabilität mehr. Man kann also als 13-Jähriger unsicher-ängstlich an seine Eltern gebunden sein und als 28-Jähriger sicher an seine Partnerin.
Die zweite Annahme, dass man so wie an die Eltern auch an andere Menschen gebunden sei, entkräftete Jens Asendorpf. Der Persönlichkeitspsychologe befragte Frauen und Männer nach ihrem Bindungsstil zu verschiedenen Bezugspersonen, also zu Eltern, Gleichaltrigen oder Partnern. Es zeigte sich, dass die Beziehungen sehr unterschiedlich sein können. Man kann unsicher an seinen Vater gebunden sein und sicher an seinen Freund. Vielleicht doch nicht so verwunderlich, wenn man bedenkt, dass an einer Beziehung zwei Persönlichkeiten, die ihr Verhältnis gemeinsam entwickeln, beteiligt sind.

Mit jeder neuen Beziehung wird der Bindungsstil auf Grundlage der vorhandenen Erfahrungen neu ausgehandelt. Ein vermeidender Mensch könnte etwa mit einem sicher gebundenen Freund erfahren haben, wie entlastend es ist, seine Schwächen nicht zu verstecken und sich mehr und mehr preiszugeben. Doch dafür bedarf es der Reflexion, sich zu öffnen und eine gewisse Verletzlichkeit zuzulassen.