Psychosoziale Folgen von Jobverlust und Arbeitslosigkeit (Seite 2/7)

Gekündigt - überfordert - gestresst

Die psychosozialen Folgen von Erwerbslosigkeit

Die Hälfte aller in Deutschland registrierten Erwerbslosen sind Langzeitarbeitslose, sprich seit mindestens einem Jahr ohne Erwerbstätigkeit. Damit liegt die Bundesrepublik an der Spitze der Alt-EU-Länder. Die Forschungsergebnisse zu den Folgen von lang anhaltender Arbeitslosigkeit sind eindeutig. Sie hat insgesamt einen negativen Einfluss auf die Psyche und führt häufig zu

  • Depressionen
  • psychosomatischen Beschwerden
  • Störungen des Wohlbefindens

Aber auch die erste persönliche Konfrontation mit Arbeitslosigkeit ist psychisch sehr belastend und bedeutet für die meisten Betroffenen eine ernsthafte Krisenerfahrung: Viele Betroffene erhalten die Kündigung zwar nicht vollkommen überraschend. Trotzdem trifft sie diese einschneidende Erfahrung häufig unvorbereitet. Daher sind sie mit dieser neuen und unangenehmen Situation oft überfordert. Und das bedeutet puren Stress.

Vorher unauffällige Personen werden oft psychiatrisch auffällig. Es zeigen sich:

  • Niedergeschlagenheit, die sich in langsameren Bewegungen, einer langsameren Gehgeschwindigkeit sowie einem verringerten Interesse am Leben äußert
  • Psychosomatische Beschwerden in Form von Kopf- oder Rückenschmerzen und anderen körperlichen Beschwerden
  • Selbstmordgedanken
  • eine höhere Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden
  • eine allgemeine Schwächung des Immunsystems, die zu einer erhöhten allgemeinen Infektionsanfälligkeit führt
  • eine Reduzierung der mit dem Wohlbefinden in Arbeit einhergehenden längeren Lebenserwartung
  • eine Verstärkung negativer Gewohnheiten wie Tablettengebrauch oder Alkoholkonsum
  • eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Scheidung kommt, wenn es in der Ehe vor der Erwerbslosigkeit bereits kriselte

Die beschriebenen Effekte treten nicht zwangsläufig ein. Insbesondere bleiben sie (vorerst) aus, wenn die Betroffenen davon ausgehen, bald wieder eine Arbeitsstelle zu finden.

Dauer der Erwerbslosigkeit beeinflusst psychosoziale Folgen

Während die möglichen Auswirkungen in den ersten Monaten der Arbeitslosigkeit eher gering sind, treten die Effekte mit zunehmender Dauer der Nichtbeschäftigung immer stärker auf. Bei Langzeitarbeitslosigkeit zeigt sich sogar eine Verdoppelung der negativen Auswirkungen.

Zunächst hat es zwar einen positiven Effekt auf die psychische Gesundheit, wenn Arbeitslose hoffen, schnell wieder eine Arbeit zu finden. Dieser verkehrt sich aber ins Gegenteil, wenn die Arbeitslosigkeit länger anhält als erwartet. Arbeitslose, die große Hoffnungen auf eine schnelle Wiedereinstellung haben, werden durch sich wiederholende Ablehnung ihrer Bewerbungen noch mehr geschädigt als jene, die von vornherein eher geringe Hoffnungen auf eine Wiedereinstellung hatten.

In einem psychologischen Anpassungsprozess an eine momentan nicht zu ändernde Situation, verringert sich der zentrale Stellenwert der Erwerbsarbeit notgedrungen. Andrea M. hatte von Anfang an das Gefühl, keine vergleichbare Arbeit mehr zu finden. Mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit nahm bei ihr das Interesse an einer Arbeitsstelle immer weiter ab. Bei Andrea M. erwies es sich als positiv, dass sie es genießen konnte, mehr Zeit für ihre Familie zu haben und sich wieder mehr ihren Kindern und Freunden widmen zu können, zumal ihr Mann weiterhin Geld verdient.

Je länger die Erwerbslosigkeit andauert und je größer damit die finanziellen Probleme werden, desto gefährdeter ist die für den Wiedereinstieg wichtigste persönliche Ressource der Arbeitssuchenden: die psychische Gesundheit. Gelingt es nicht, die psychische Stabilität zu erhalten, geraten sie mit zunehmender Dauer tiefer in einen Teufelskreis, denn:

  • Es gelingt depressiven Personen in Bewerbungssituationen schlecht oder gar nicht, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten positiv darzustellen.
  • Labile Persönlichkeiten haben keine ausreichenden Ressourcen, um Misserfolge bei Bewerbungen ohne Schädigung des Selbstwertes zu bewältigen.

Finanzielle Mittel und empfundene Folgen der Erwerbslosigkeit

  • Die negativen Folgen der Arbeitslosigkeit werden eher abgefedert, wenn genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und je mehr arbeitsähnliche Verpflichtungen übernommen werden:

  • Menschen, denen es leichter fällt, eine andere (auch unbezahlte, ehrenamtliche), aber gesellschaftlich relevante oder persönlich als wichtig empfundene Rolle zu übernehmen, leiden erwiesenermaßen weniger.
  • Auch Arbeitslose, die gesetzeswidrig in die Schwarzarbeit gehen, sind durchschnittlich wohl gesünder als die gesetzestreuen.

Je weniger Geld Arbeitslosen zur Verfügung steht und je belastender dieser finanzielle Mangel empfunden wird, desto negativer sind die Wirkungen der Arbeitslosigkeit. Geldmangel führt zwar kurzfristig zu einer größeren Motivation und Aktivität bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Langfristig aber tragen finanzielle Schwierigkeiten dazu bei, die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit zu steigern. Eine schlechte finanzielle Lage ist oft das Bindeglied zu Depressivität und psychosomatischen Beschwerden.

Für Martin L. hatte seine Arbeit immer einen zentralen Stellenwert. Schon sehr früh wusste er, was er studieren und in welchem Berufsfeld er tätig sein wollte. Praktika, geringe Bezahlung, befristete Projektarbeiten über einen längeren Zeitraum minderten nie seine Begeisterung für genau diese Tätigkeit.

Obwohl er immer ein sehr aktiver Mensch mit zahlreichen Hobbys, viel sportlichem Ehrgeiz und einem großen Freundeskreis war, definierte er sich über seine Arbeit. Sein Selbstwertgefühl basierte auf seinen beruflichen Leistungen und Erfolgen.

Er litt sehr darunter, keine angemessene Arbeitsstelle zu finden, auch wenn er überdurchschnittlich motiviert an die Arbeitssuche ging und sich dem Erwartungsdruck der "Gesellschaft" entsprechend aktiv, qualifiziert und engagiert überregional bewarb. Sein ganzes Denken fokussierte er nur auf die gewünschte neue Anstellung. Mit der Zeit gab er seinem Umfeld kaum noch eine Chance, ihm Mut zu machen.