EMDR-Therapie

Schnelle und wirksame Psychotherapiemethode zur Behandlung von Traumata

19.10.2020 Von Angelika Völkel

Plötzlich war der Winter da. Als Elke H. mit ihrer Freundin von Wien nach München zurückfuhr, war die Fahrbahn binnen Stunden völlig verschneit. Sie nahm bewusst nicht die Autobahn, weil sie wusste, dass es sicherer wäre, auf der kleinen Landstraße zu fahren. Es ging auch gut vorwärts, bis sie plötzlich stark bremsen musste. Der Wagen kam ins Schleudern, schlitterte zwischen den Leitplanken hin und her, drehte sich viele Male, fuhr auf ein Haus zu und blieb wie durch ein Wunder stehen.
Seit diesem Erlebnis fährt Elke H. nur noch mit dem Auto, wenn die Fahrbahn absolut trocken ist. Schon bei Regen, hat sie große Angst beim Fahren. Die 52-Jährige hat einen kleinen Laden und ist darauf angewiesen, mit ihrem Auto täglich Waren zu transportieren. Ihre Geschäftspartnerin rät ihr schon lange, eine Therapie zu machen. Über ihren Hausarzt kommt sie an einen Psychotherapeuten, der EMDR anwendet. EMDR ist eine psychotherapeutische Methode zur Verarbeitung traumatischer Erlebnisse.

Täglich geschehen auf dieser Welt Unfälle, Gewalttaten oder Katastrophen. Menschen, die Opfer davon werden und über keine ausreichend starke psychische Widerstandskraft verfügen, erleiden meist ein Trauma. Es gibt verschiedene Therapieformen, ein Trauma zu heilen.

EMDR heilt Traumafolgestörungen besonders schnell und wirksam

Als Therapieform, die Traumafolgestörungen am schnellsten und wirksamsten heilt, gilt derzeit die EMDR. Eine Therapie mit EMDR benötigt nachweislich 40 Prozent weniger Behandlungsstunden als andere bewährte Verfahren. Die Wirksamkeit dieser Methode ist wissenschaftlich gut belegt. Der eigentliche Wirkmechanismus wurde bisher hingegen nicht definitiv geklärt.

Die vier Buchstaben stehen für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, was auf Deutsch Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung bedeutet. Das englische Wort reprocessing heißt Wiederaufarbeitung.

Ein Therapeut sollte unbedingt auch psychotherapeutisch in dem Störungsbild ausgebildet und erfahren sein, in dem er EMDR anwenden möchte.

Endlich die schrecklichen Erinnerungen loslassen

"Normale" nicht belastende Erlebnisse werden vom Gehirn in verarbeiteter Form im Gedächtnis abgespeichert. Ein traumatisches Erlebnis ist für den Betroffenen so überwältigend, dass er es nicht so schnell und geordnet verarbeiten kann wie andere Erlebnisse.

Die Erinnerungen an das traumatische Geschehen werden deshalb in einer Art Rohform abgespeichert. Diese Erinnerungen bestehen vor allem aus Sinneseindrücken, Körperempfindungen und Gefühlen. Geordnete Gedanken finden sich nur wenige darin. Außerdem wurden sie nicht vom Gehirn inhaltlich und zeitlich in ein Netzwerk von anderen Erinnerungen eingeordnet.

Elke H. bearbeitet mithilfe des Therapeuten ganz bestimmte Erinnerungen aus der Vergangenheit, die das Trauma ausgelöst haben. Während sie über das Ereignis, das das Trauma ausgelöst hat, spricht, wird sie gleichzeitig von dem Therapeuten mit geleiteten Augenbewegungen bilateral stimuliert, also angeregt.

Von bilateraler Stimulation spricht man, wenn der Patient zwei Reize gleichzeitig erlebt. Diese Stimulation ist auch mit anderen Reizen, zum Beispiel Handberührungen oder akustischen Reizen, möglich. Die US-amerikanische Psychologin Francine Shapiro hat EMDR auf Basis der schnellen Augenbewegungen zwischen 1987 und 1991 entwickelte. Später baute sie selbst andere Stimulationsweisen in die Methode ein und ergänzte sie auch um Ansätze der kognitiven Verhaltenstherapie.

Mit EMDR 40 Prozent weniger Behandlungsstunden

Elke H. erzählt von dem Hin- und Herschlittern zwischen den Leitplanken, dass sie immer wieder die tiefen Abgründe der Bergstraße sieht. Sie verfolgt währenddessen mit ihren Augen die zwei Finger des Therapeuten, die er schnell hin und her bewegt.

Diese geleiteten Augenbewegungen entsprechen genau den Augenbewegungen im REM-Schlaf, also der Phase, in der der Schlafende seine Augen ruckartig bewegt. In der REM-Schlafphase werden die Geschehnisse des Tages verarbeitet. Durch die rasche Augenbewegung werden beide Gehirnhälften intensiv stimuliert (bilaterale Stimulation). Blockierte oder nicht integrierte Erinnerungen an das Trauma werden so nachträglich verarbeitet. Damit lassen sie sich auch später noch in die Gesamterinnerungen einbetten und in die Lebenswirklichkeit einordnen.

Seit 1991 wird EMDR in der Traumatherapie in Deutschland angewendet. Viele Studien belegen ihre Wirksamkeit. 2006 hat der wissenschaftliche Beirat für Psychotherapie diese Methode als wissenschaftlich begründete Psychotherapiemethode anerkannt. Seit 2015 wird EMDR als Psychotherapiemethode von der gesetzlichen Krankenversicherung bei Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) bezahlt.

Bereits nach ein paar Sitzungen geht es Elke H. so gut, dass sie ein deutlich entspannteres Verhältnis zum Autofahren hat.

Seite 1/5