Seelische Verletzungen durch traumatische Ereignisse (Seite 4/7)

Wie entsteht eine PTBS?

Die Risiko- und Schutzfaktoren, die beeinflussen, ob eine PTBS entsteht und wie schwer sie ist, können schon vor dem Trauma (prätraumatische Faktoren), zum Zeitpunkt des Traumas (peritraumatische Faktoren) oder erst in der Zeit nach dem Trauma (posttraumatische Faktoren) auftreten.

Prätraumatische Faktoren

Ungünstige Einflüsse in der Kindheit und Jugend scheinen das Risiko für eine PTBS zu erhöhen. Dazu gehören häufige Konflikte in der Familie, wenig emotionale Unterstützung durch die Eltern, ein autoritäres Erziehungsverhalten der Eltern und wenig Freundschaften mit Gleichaltrigen. Auch psychische Erkrankungen der Eltern und frühere Traumatisierungen (zum Beispiel sexueller Missbrauch in der Kindheit) erhöhen das Risiko einer PTBS. Andere Risikofaktoren sind ein sehr junges oder höheres Alter zum Zeitpunkt des Traumas, ein geringer Bildungsgrad und schon bestehende psychische Erkrankungen. Darüber hinaus wird vermutet, dass manche Menschen genetisch bedingt ein erhöhtes Risiko haben, an einer PTBS zu erkranken. Als Schutzfaktoren haben sich dagegen eine gute Beziehung zu den Eltern und ein höherer sozialer und ökonomischer Status herausgestellt.

Allerdings haben Faktoren, die bereits vor dem Trauma bestanden haben, einen wesentlich geringeren Einfluss auf die Entwicklung einer PTBS als Faktoren, die das Trauma selbst und die Zeit nach dem Trauma betreffen.

Peritraumatische Faktoren

Ein Risikofaktor für die Entwicklung einer PTBS ist das Trauma selbst: Ist das traumatische Ereignis schwer ausgeprägt oder dauert über längere Zeit an, steigt das Risiko für eine PTBS. Außerdem haben Traumata, die von Menschen zugefügt wurden (zum Beispiel Folter, Vergewaltigung) meist schwerere psychische Auswirkungen als Traumata, die nicht durch menschlichen Einfluss entstehen (zum Beispiel Naturkatastrophen). Weiterhin ist das Risiko für eine PTBS erhöht, wenn während des traumatischen Ereignisses Dissoziationen, also Depersonalisation (das Gefühl, nicht man selbst zu sein) und Derealisation (ein Gefühl der „Unwirklichkeit“), aufgetreten sind. Günstig wirkt es sich dagegen aus, wenn jemand während des Traumas noch einen Handlungsspielraum für sich selbst sieht und wenn es ihm gelingt, sich während der Ereignisse nicht selbst aufzugeben.

Posttraumatische Faktoren

Das Risiko für eine PTBS steigt, wenn nach dem Trauma andere belastende Lebensereignisse (zum Beispiel Scheidung, Krankheit) oder weitere Traumata auftreten. Auch eine geringe soziale Unterstützung, etwa durch Freunde oder Familienangehörige, kann das Risiko erhöhen. Außerdem haben sich Vermeidungsverhalten und dysfunktionale (nicht hilfreiche) Gedanken als ungünstige Faktoren für die Bewältigung eines Traumas herausgestellt. Schutzfaktoren sind dagegen viel soziale Unterstützung, die Anerkennung als Opfer und die Fähigkeit, das traumatische Ereignis einzuordnen und ihm einen Sinn zu geben (Kohärenzsinn). Auch wenn jemand günstige Bewältigungsstrategien besitzt, wirkt sich das positiv auf die Verarbeitung des Traumas aus. Dazu gehören ein günstiger Umgang mit Stress, die Fähigkeit, über das Erlebte zu sprechen, die Bereitschaft, bei Problemen Unterstützung zu suchen und die Überzeugung, dass es Möglichkeiten gibt, Probleme im Leben zu lösen.

Modelle zur Entstehung der PTBS

Modell der Gedächtnisveränderungen

Studien deuten darauf hin, dass es nach einem Trauma zu einer Fehlfunktion des Hippocampus kommt – einer Hirnregion, die für Erinnerung und Gedächtnis zuständig ist. Dadurch werden verschiedene Sinneseindrücke, die mit dem Trauma zusammenhängen, nicht geordnet, sondern als einzelne „Gedächtnisbruchstücke“ gespeichert. Das sind vor allem bildhafte Eindrücke, aber auch Geräusche oder Gerüche. Man nimmt an, dass das Trauma aus diesem Grund nicht erfolgreich verarbeitet und in die übrigen Lebenserinnerungen eingeordnet werden kann. Bei einem Flashback werden dann nur Bruchstücke der Erinnerung in Form von intensiven Bildern oder Geräuschen abgerufen.

Neurobiologische Veränderungen

Bei traumatisierten Patienten lässt sich eine erhöhte Aktivität des hormonellen Stress-Systems und ein erniedrigter Spiegel des Stresshormons Cortisol beobachten. Die Betroffenen stehen praktisch ständig unter Stress, was zu Symptomen wie Schlafstörungen, ständig erhöhter Erregung oder starker Schreckhaftigkeit führen kann.

Lerntheoretische Erklärungen

Das Zwei-Faktoren-Modell von Mowrer geht davon aus, dass die traumatischen Erlebnisse zunächst mit neutralen Reizen assoziiert werden. Zum Beispiel werden nach einer Vergewaltigung Dunkelheit, eine leere Straße oder ein bestimmter Geruch mit dem Ereignis in Verbindung gebracht. Um ihre Angst zu verringern, vermeiden die Betroffenen Reize und Situationen, die sie mit dem Trauma verbinden. Das führt jedoch dazu, dass die Angst und die Symptome der PTBS langfristig aufrechterhalten werden.

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