Seelische Verletzungen durch traumatische Ereignisse (Seite 2/7)

Die akute Belastungsreaktion (ABR)

Herr T., 36 Jahre alt, kommt drei Tage nach dem traumatischen Ereignis in eine psychotherapeutische Ambulanz. Er berichtet, dass er bei einer Klettertour mitansehen musste, wie einer seiner Bergkameraden mehrere Meter in die Tiefe stürzte. Bisher sei noch unklar, ob er querschnittsgelähmt sei. Am Abend nach dem Unfall sei es Herrn T. noch „den Umständen entsprechend“ gegangen.

Seit dem Tag danach aber habe er ständig das Bild des am Boden liegenden Kameraden vor Augen. Er könne sich auch nicht mehr genau erinnern, wie die Bergung abgelaufen sei und ob er dabei überhaupt geholfen habe. Seitdem habe er fast nicht mehr geschlafen. Seine Gedanken würden ständig um die Ereignisse kreisen, und er habe das Gefühl, völlig neben sich zu stehen. Er mache sich Vorwürfe, weil er der erfahrenste Bergsteiger in der Gruppe sei. Nun denke er ständig, er sei schuld an dem Unfall, weil er nicht besser aufgepasst habe. Er habe das Gefühl, sich nie mehr richtig am Leben freuen zu können.*)

Wie äußert sich eine akute Belastungsreaktion (ABR)?

Häufige Auslöser einer ABR sind körperliche oder psychische Gewalt, zum Beispiel Unfälle oder Gewalterfahrungen – aber auch Verlustsituationen, etwa der Tod eines Angehörigen. Sie beginnt unmittelbar nach dem belastenden Ereignis und dauert meist nur einige Stunden oder Tage, manchmal aber auch Wochen an.

Eine akute Belastungsreaktion kann als Reaktion auf eine extreme psychische oder körperliche Belastung auftreten. Sie gilt nicht als psychische Erkrankung, sondern als normale Reaktion auf eine außergewöhnlich belastende Erfahrung.

Dabei treten Symptome auf, die sich meist im Lauf der Zeit verändern. Zu Beginn sind die Betroffenen oft wie betäubt, sind in ihrer Aufmerksamkeit und ihrem Bewusstsein eingeschränkt und können neue Reize nicht verarbeiten. Außerdem erleben sie oft dissoziative Symptome, etwa das Gefühl, nicht sie selbst zu sein (Depersonalisation) oder das Gefühl, die Welt wie von fern zu erleben (Derealisation). Viele haben starke Gefühlsschwankungen, bei denen sich starke Trauer, Wut und ein Gefühl der Gleichgültigkeit abwechseln.

Charakteristisch sind auch körperliche Anzeichen von Stress oder starker Angst, wie Herzrasen, Schwitzen oder Übelkeit. In der folgenden Phase ziehen sich manche stark zurück, während andere sehr unruhig und ungewöhnlich aktiv sind. Es kann auch sein, dass sich die Betroffenen an die Zeit während und kurz nach dem Trauma nicht oder nur noch teilweise erinnern.

Nach einem Trauma muss das Ereignis auf irgendeine Weise psychisch verarbeitet werden. Dabei kann es sein, dass die Betroffenen die Geschehnisse in Form von Alpträumen oder intensiven, sich aufdrängenden Erinnerungen (Flashbacks) wiedererleben. Manche fangen an, Situationen oder Aktivitäten zu vermeiden, die sie mit dem Ereignis in Verbindung bringen. Es kann zu einer emotionalen Abstumpfung und eingeschränkten Empfindungsfähigkeit kommen, aber auch zu einer hohen körperlichen Erregung, die zu Schlafstörungen, Reizbarkeit oder erhöhter Schreckhaftigkeit führen kann.

Bei den meisten Menschen gehen die Symptome einer akuten Belastungsreaktion bald zurück und verschwinden schließlich ganz wieder. Bei einigen halten sie jedoch über längere Zeit an und können zu ausgeprägten psychischen Beeinträchtigungen führen. Bestehen die Symptome länger als einen Monat, können sie in eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) übergehen.

Wie häufig kommt eine akute Belastungsreaktion vor?

Eine akute Belastungsreaktion tritt bei sehr vielen Menschen auf, die ein Trauma erlebt haben. Da die Störung meist nur kurz andauert und nicht speziell behandelt wird ist, gibt es keine zuverlässigen Angaben zur Häufigkeit.