Transgenerationale Traumata (Seite 3/8)

Biologische Faktoren

Veränderte Stressverarbeitung und epigenetische Weitergabe

In der epigenetischen Forschung wird untersucht, wie Umwelteinflüsse, etwa längere Hungerphasen, Medikamente, Drogen oder auch psychische Einflüsse, die Gene verändern können, so dass diese an- oder abgeschaltet werden. Das kann dazu führen, dass bestimmte genetische Informationen abgelesen werden und andere nicht. Diese Veränderungen können möglicherweise an die Nachkommen weitergegeben werden.

In kontrollierten Studien mit Ratten konnte gezeigt werden, dass epigenetische Veränderungen durch starken Stress auch an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Bei Menschen ist es schwerer, solche Zusammenhänge nachzuweisen. Denn bei ihnen lassen sich keine streng kontrollierten Studien durchführen und es ist schwierig, den Einfluss genetischer und epigenetischer Faktoren und den Einfluss psychologischer und sozialer Aspekte, etwa dem Erziehungsverhalten der Eltern und dem Umfeld, in dem die Kinder aufwachsen , voneinander zu trennen.

Trauma kann Gene verändern

Untersuchungen mit traumatisierten Menschen haben gezeigt, dass der extreme Stress durch das Trauma Gene so verändern kann, dass bestimmte genetische Informationen nicht oder nicht korrekt abgelesen werden – es kommt also zu epigenetischen Veränderungen. Das kann dazu führen, dass die Betroffenen sensibler auf Bedrohungen reagieren und bei Belastungen schnell zu starkem Stress neigen. Dadurch haben sie ein erhöhtes Risiko, psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln.

Ein Trauma hat auch Auswirkungen auf die Botenstoffe im Gehirn, die so genannten Neurotransmitter, und die Aktivität in verschiedenen Gehirnregionen. So führt der starke Stress durch das Trauma zunächst zu erhöhten Werten des Stresshormons Cortisol. Bei länger anhaltendem Stress sind die Cortisolwerte dagegen erniedrigt. Diese Werte gehen mit einem erhöhten Risiko für eine Posttraumatische Belastungsstörung einher.

Eine Untersuchung mit Frauen, die nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelten, zeigte, dass sie niedrige Cortisol-Werte und für ein Trauma typische Veränderungen im Gehirn hatten. Auch ihre Kinder, die nach dem Ereignis gezeugt wurden, hatten niedrige Cortisol-Werte und ähnliche Veränderungen im Gehirn wie ihre Mütter. Diese Veränderungen könnten auf epigenetischem Weg weitergegeben worden sein.

Gehirn von Betroffenen schüttet weniger Bindungshormon aus

Weitere Studien haben gezeigt, dass Mütter, die ein Trauma erlebt haben, eine veränderte hormonelle Stressachse haben und in ihrem Gehirn weniger Oxytocin – auch als Bindungshormon bekannt – ausgeschüttet wird. Auch bei ihren Kindern wurden ähnliche Veränderungen festgestellt, was auf eine epigenetische Weitergabe hinweist.

Zudem konnte gezeigt werden, dass Kinder von Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung ähnliche epigenetische Veränderungen aufweisen wie ihre Eltern – nämlich in Genen, die mit Angst und der Reaktion auf Stress zusammenhängen, insbesondere dem FKBP5-Gen. Weitere Untersuchungen legen nahe, dass Veränderungen in diesen Genen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen, etwa einer Posttraumatischen Belastungsstörung zusammenhängen.

Liebevolles Umfeld kann Genetik positiv beeinflussen

Umgekehrt könnte ein positives Umfeld, in dem die Eltern sich liebevoll und einfühlsam verhalten und auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen, zu günstigen epigenetischen Veränderungen beitragen, die an die nächste Generation weitergegeben werden könnten.

Dass konkrete, belastende Bilder oder Träume bei einem transgenerationalen Trauma epigenetisch weitergegeben werden, halten Experten dagegen für eher unwahrscheinlich. Diese entstehen vermutlich eher durch Erzählungen, bruchstückhafte Informationen oder Andeutungen, die jemand im Lauf der Zeit in der Familie mitbekommt.

Insgesamt ist weitere Forschung notwendig, um epigenetische Einflüsse bei der Weitergabe von Traumata über Generationen hinweg genauer zu verstehen. Dazu sind große, langfristig angelegte Studien wichtig, in denen die Zusammenhänge über mehrere Generationen untersucht werden.

Genetische Merkmale

Manche Menschen sind durch ihre genetischen Merkmale anfälliger – in der Fachsprache: vulnerabler – für psychische Erkrankungen als andere. Zum Beispiel reagieren sie auf belastende Ereignisse eher mit starkem Stress oder Angst oder haben eine stärkere Neigung, eine Depression oder eine andere psychische Erkrankung zu entwickeln als andere Menschen. Diese psychische Vulnerabilität kann an die Nachkommen weitervererbt werden.