Transgenerationale Traumata (Seite 7/8)
Wie kann ein transgenerationales Trauma behandelt werden?

Aspekte bei der Diagnostik
Menschen, die an einem transgenerationalen Trauma leiden, wissen oft lange Zeit nicht, warum sie die verstörenden Bilder oder Träume erleben und was mit ihnen los ist. Wenn festgestellt wird, dass sie unter einer transgenerationalen Traumatisierung leiden, ist das für sie oft eine große Entlastung. Sie verstehen nun endlich, was mit ihnen los ist und können an dieser Stelle ansetzen, um die belastenden Eindrücke zu verarbeiten.
Bei der Diagnostik, die im Vorfeld einer Psychotherapie stattfindet, wird die Therapeutin oder der Therapeut nach psychischen Belastungen und Symptomen in Zusammenhang mit den beunruhigenden Bildern oder Träumen fragen. Dabei wird auch geprüft, ob es in der eigenen Lebensgeschichte traumatische Ereignisse gab, die die Symptome erklären könnten.
Nach Hinweisen in der Familiengeschichte suchen
Ist das nicht der Fall, muss nach Hinweisen für ein Trauma in der Familiengeschichte gesucht werden. Das könnten traumatische Erfahrungen der Eltern oder Großeltern sein, die die berichteten Symptome erklären könnten. Therapeut:innen sollten immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ein transgenerationales Trauma vorliegen könnte. Auf der anderen Seite sollten sie nicht vorschnell annehmen, dass ein transgenerationales Trauma vorliegt, weil die Eltern oder Großeltern ein kollektives Trauma, etwa den Zweiten Weltkrieg oder den Holocaust miterlebt haben.
Im Lauf der Therapie wird die Therapeutin oder der Therapeut versuchen, die Mechanismen, die zur Übertragung des Traumas beigetragen haben, genauer zu verstehen. Das können das Erziehungsverhalten und der Kommunikationsstil der Eltern oder der Umgang der Familie mit Geheimnissen sein.
In gängigen Diagnosesysteme wie der Internationalen und Statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD) gibt es bisher keine Diagnose „transgenerationale Traumatisierung“. Daher wird die Therapeutin oder der Therapeut eine Diagnose stellen, die zu den berichteten Symptomen passt, etwa eine Angststörung oder eine Posttraumatische Belastungsstörung.
Ansätze der Traumatherapie

Eine spezifische Therapie zur Behandlung einer transgenerationalen Traumatisierung gibt es bisher nicht. Allerdings gibt es etablierte, wirksame Ansätze der Traumatherapie, die auch bei einem transgenerationalen Trauma zum Einsatz kommen können.
Als besonders wirksam haben sich die EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, deutsch: Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen), die kognitive Verhaltenstherapie und die systemische Familientherapie erwiesen.
Ziel der Therapie ist es, dass die Betroffenen die psychischen Symptome, die mit den traumatischen Erfahrungen oder den verstörenden Bildern oder Träumen verbundenen sind, überwinden, und ihr Leben wieder selbstständig bewältigen können. Haben die Klient:innen selbst Traumata erlebt, werden diese vor den „vererbten“ Traumata ihrer Eltern oder Großeltern bearbeitet.
Am Anfang geht es zunächst darum, die Klient:innen psychisch zu stabilisieren. Anschließend sollen sie in der EMDR oder der kognitiven Verhaltenstherapie die belastenden Erlebnisse in ihrer Vorstellung erneut durchleben und sie auf diese Weise verarbeiten. Im Anschluss wird daran gearbeitet, die erschreckenden Erfahrungen und Bilder nach und nach zum Abschluss zu bringen und sie in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren.
Systemische Familientherapie
In der systemischen Familientherapie werden auch andere Mitglieder der Familie in die Therapie einbezogen. Wenn möglich, sollte die Person, von der das Trauma weitergegeben wurde, einbezogen werden. Durch die systemische Bearbeitung können Dynamiken in der Familie erkannt werden, die dazu beigetragen haben, dass das Trauma an die nachfolgende Generation übertragen wurde. So können die traumatischen Erfahrungen generationsübergreifend bearbeitet werden.
Für viele Betroffene ist es hilfreich, wenn sie einen Zusammenhang zwischen ihren Symptomen und den Traumata ihrer Eltern oder Großeltern herstellen können. So können sie den belastenden Eindrücken oder Träumen einen Sinn geben. Für manche Menschen ist es wichtig, herauszufinden, was ihre Eltern oder Großeltern tatsächlich erlebt haben.
Aber auch, wenn Klient:innen die traumatischen Erfahrungen ihrer Vorfahren nicht kennen, ist es hilfreich, wenn sie eine nachvollziehbare Erklärung für ihre Symptome finden. Denn das kann dazu beitragen, das Trauma zu bewältigen. Gleichzeitig kann es ihnen helfen, sich besser von den Traumata ihrer Vorfahren abzugrenzen, etwa, indem sie sich bewusst machen, dass sie nicht die Belastungen der vorangegangenen Generationen tragen oder deren Probleme lösen müssen.
Neben der Arbeit an Themen aus der Vergangenheit geht es immer auch darum, wie die aktuelle Lebenssituation verbessert werden kann. Dazu gehört zum Beispiel, das Selbstvertrauen der Klient:innen zu stärken, ihnen soziale Kompetenzen zu vermitteln und sie dabei zu unterstützen, die Beziehungen zu anderen Menschen zu verbessern.
Die Beziehung als wichtiger Wirkfaktor
Eine einfühlsame, vertrauensvolle Beziehung zwischen Therapeut:in und Klient:in ist insgesamt ein wichtiger Erfolgsfaktor der Therapie. Zugleich vermittelt sie Klient:innen mit einem (transgenerationalen) Trauma Sicherheit und erleichtert es ihnen, sich zu öffnen und über die belastenden Erfahrungen zu sprechen. Therapeut:innen sollten dabei behutsam vorgehen und diese Themen nicht zu früh in der Therapie ansprechen.
Ein günstiges Verhalten der Therapeutin oder des Therapeuten hilft dabei, dass Klient:inen positive Beziehungserfahrungen nachholen und so emotional nachreifen können.
Spezielle Therapieansätze für transgenerationale Traumata

Einige Therapeut:innen haben eigene Therapieansätze für transgenerationale Traumata entwickelt. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Ansätze aus dem Psychodrama
Beim Psychodrama wird häufig mit so genannten Lebenslinien (Timelines) gearbeitet, bei denen die Klient:innen wichtige Lebensstationen und -ereignisse als eine Linie im Raum darstellen. Bei der so genannten Mehrgenerationenperspektive werden in diese Lebenslinien auch Verwandte aus vorherigen Generationen einbezogen, die mit dem transgenerationalen Trauma in Zusammenhang stehen. Dadurch können generationsübergreifende Muster in der Familie sichtbar gemacht werden.
Eine andere Möglichkeit ist, dass Klient:innen einen Familienstammbaum zeichnen. Mithilfe von Pfeilen können darin Informationen darüber eingetragen werden, was zwischen den einzelnen Familienmitgliedern geschehen ist. Zugleich können wichtige Lebensereignisse oder traumatische Ereignisse eingetragen werden. Auf diese Weise können typische Verhaltensmuster und unbewusste Wiederholungen in der Familie aufgedeckt werden.
Daran können sich Rollenspiele anschließen, in denen die Klient:innen die Rollen verschiedener Familienmitglieder einnehmen. Dadurch können sie die eigene Familiengeschichte aus verschiedenen Perspektiven erfahren. Es können typische Ansichten und Werte in der Familie sichtbar werden oder auch Familiengeheimnisse aufgedeckt werden.
Weiterhin wird angestrebt, dass die Klient:innen einen Bezug zwischen dem Trauma ihrer Vorfahren und ihrer eigenen Lebensgeschichte herstellen können. Nach und nach sollen sie ihre verstörenden Erfahrungen in ein sinnvolles Ganzes der Familiengeschichte integrieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Therapie ist, dass die Klient:innen das Trauma ihrer Eltern oder Großeltern, das sie als ihr eigenes übernommen haben, symbolisch an diese zurückgeben und es so aus ihrem Leben „entfernen“. Auch dazu eignen sich Rollenspiele. Darin können die Klient:innen die verstörenden Eindrücke und das damit verbundene psychische Leiden symbolisch an den Verwandten zurückgeben, der das Trauma erlebt hat. Dabei können sie zugleich eine Lösung finden, die auch den betroffenen Verwandten „schützt“ – etwa, indem sie für diesen in ihrer Vorstellung einen „sicheren Ort“ schaffen, wo er vor den traumatischen Erlebnissen geschützt ist.
Ansatz von Katharina Drexler
Auch beim Ansatz der Psychotherapeutin Katharina Drexler, die sich seit über 20 Jahren mit transgenerationalen Traumata beschäftigt, haben therapeutische Rollenspiele eine wichtige Bedeutung.
In einem typischen Rollenspiel sollen sich die Klient:innen in die Person hineinversetzen, die das Trauma erlebt hat. Unter Anleitung der Therapeutin oder des Therapeuten sollen sie sich die traumatischen Erlebnisse im Detail vorstellen und sie auf diese Weise verarbeiten. Oft kennen die Klient:innen nur Teile der traumatischen Ereignisse, das spielt für das therapeutische Vorgehen jedoch keine Rolle.
Wenn es Gründe gibt, das übernommene Trauma noch nicht zu bearbeiten, kann die Tresor-Übung hilfreich sein. Dabei stellen sich die Betroffenen vor, dass sie die traumatischen Erlebnisse in einem Tresor ablegen und ihn fest verschließen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt bearbeiten zu können.
In der Rückgabe-Übung stellen sich die Klient:innen vor, ein Paket zu packen, in das sie alle belastenden Dinge legen, die sie von der traumatisierten Bezugsperson übernommen haben. Dieses geben sie in ihrer Vorstellung an die Bezugsperson zurück und stellen sich vor, was sie ihr sagen möchten. Diese Übung soll dazu beitragen, dass die Klient:innen sich symbolisch von den „fremden“ traumatischen Erlebnissen befreien und dadurch auch ihre psychische Belastung verringern.
Selbsthilfegruppen
Für Menschen mit einem transgenerationalen Trauma kann es hilfreich sein, sich zu öffnen und über ihre belastenden Erfahrungen zu sprechen. Viele empfinden es dabei als hilfreich, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Dazu kann eine Selbsthilfegruppe nützlich sein.