Suizid (Seite 6/9)
Statistiken Deutschland und Europa
Zahlen und Fakten zu Selbsttötungen und Suizidversuchen
Eine hundertprozentig exakte Ermittlung der tatsächlichen Zahlen für Suizide und Selbsttötungsversuche ist methodisch schwierig. Die in Statistiken und Studien erfassten Zahlen müssen daher als Näherungswerte angesehen werden:
Einige Suizide werden gar nicht erst als solche erkannt. Auch werden vereinzelt erkannte Suizide aus gesellschaftlichen, religiösen oder ökonomischen Gründen vertuscht. Häufig geht mit abnehmenden Suizidzahlen eine Zunahme der ungeklärten Todesfälle einher. In der Regel dürften also mehr Suizide vollendet werden, als in den „offiziellen“ Statistiken erfasst sind.
Unterschiedliche Forschungsansätze wie empirische Untersuchungen, Epidemiologische und klinische Studien oder die „Psychologische Autopsie“ können sich den Phänomenen Suizid und Suizidversuch nur in Teilaspekten und aus verschiedenen Blickwinkeln annähern.
Statistik Deutschland
Auch wenn die Anzahl der Selbsttötungen in Deutschland von 18.451 im Jahr 1980 auf 9.838 Suizidopfer im Jahr 2006 deutlich gesunken ist, konnte seit über 10 Jahren keine weitere Verringerung der Selbstmorde erreicht werden. Bereits im Jahr 2006 lag die Zahl erstmals unter 10.000 und schwankt seither pro Jahr um diese 10.000 Todesopfer durch Suizid. Das bedeutet eine Suizidrate von knapp 12 Suizidtoten je 100.000 Einwohner.
In Deutschland sterben jedes Jahr mit rund 10.000 mehr Menschen an Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen, Morde und Aids zusammen.
Rund 600 der Opfer sind Jugendliche und junge Erwachsene. Am häufigsten betroffen sind jedoch ältere Männer.
Zusätzlich werden jährlich mehr als 100.000 Suizidversuche unternommen. Am häufigsten versuchen jüngere Frauen eine Selbsttötung. Die Rate an Suizidversuchen ist bei Frauen generell höher als bei Männern. Männer hingegen begehen prozentual gesehen häufiger Selbstmord.
Jede dritte gerettete Person versucht erneut, sich das Leben zu nehmen.
Suizidraten in einzelnen Ländern Europas
In den einzelnen Ländern Europas gibt es hinsichtlich der Suizidrate große Unterschiede. Zu diesem Ergebnis kommt eine umfangreiche Studie von M.A. Kamat et al. auf Basis von OECD-Daten (Organisation for Economic Co-operation and Development).
Die Studie hat die Anzahl der Suizide in den europäischen Ländern im Zeitraum von 1995 bis 2008 untersucht. Im Detail zeigt die Studie, dass in europäischen Staaten mit der Umsetzung von landesbezogenen Präventionsprogrammen die Suizidraten seit den 1990er Jahren zurückgegangen sind.
Mit weniger als acht Suizid-Toten pro 100.000 Einwohnern weisen die südeuropäischen Länder und das Vereinigte Königreich die niedrigsten Suizidraten auf. Am höchsten war die Anzahl laut der Studie im betrachteten Zeitraum in den baltischen Staaten sowie in Mittel- und Osteuropa: In Litauen, Ungarn, Lettland und in Finnland waren es mehr als 18 Suizide pro 100.000 Einwohner.
Diese Studie zeigt einen positiven Zusammenhang zwischen der Verschreibung von Antidepressiva sowie stationärer Einweisung und dem Rückgang der Selbstmordrate.
Die Studie kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass eine wachsende Arbeitslosigkeit tatsächlich zu mehr Suiziden führt.
Vergleichende Studie der University of Warwick
Eine vergleichende Studie der University of Warwick aus dem Jahr 2011 führt die Daten zu Glück und Lebenszufriedenheit einerseits sowie andererseits den Suizidraten aller US-Bundesstaaten sowie anderer, hauptsächlich europäischer Staaten zusammen.
In der Untersuchung konnte folgender Zusammenhang statistisch signifikant nachgewiesen werden: in den westlichen Ländern mit den glücklichsten und den US-Bundesstaaten mit den zufriedensten Einwohnern begehen relativ gesehen die meisten Menschen Suizid.
In der Studie konnte gezeigt werden, dass beispielsweise in den westlichen Staaten (Datenstand 2002) Dänemark, Kanada, Irland, Island und die Schweiz die Länder, in denen die Menschen sehr zufrieden sind, gleichzeitig die Suizidrate am höchsten ist.
Demgegenüber zeigt die vergleichende Analyse der Daten aus allen US-Bundesstaaten, dass obwohl in Utah die zufriedensten Menschen leben, der Staat die neunthöchste Suizidrate aller US-Bundesstaaten aufweist. Dagegen ist der Bundesstaat New York nur auf Rang 45 der Zufriedenheit, hat aber die niedrigste Suizidrate des Staatenbundes. Verglichen wurden in der Studie unter anderem die durchschnittliche Zufriedenheit der Menschen nach dem World Values Survey und die Suizidraten nach Angaben der WHO. Demnach haben Länder, in denen eine hohe Lebenszufriedenheit herrscht, mit höheren Suizidraten zu kämpfen. Ein Einfluss von harten Wintern, religiösem oder kulturellem Hintergrund konnte dabei nicht nachgewiesen werden.
Die Studie weist darauf hin, dass eine vertiefte Beschäftigung mit dem nachgewiesenen Paradoxon noch aussteht. Diesen scheinbaren Widerspruch versuchen Wissenschaftler in erster Linie wie folgt zu erklären: In den untersuchten Ländern hätten die Menschen häufig die Tendenz, sich mit anderen im gleichen Umfeld zu vergleichen: Es sei leichter zu ertragen, wenn die anderen im eigenen Umfeld sich ähnlich unwohl fühlen und unzufrieden seien. Geht es allen anderen jedoch deutlich besser, fühlen sich die Betroffenen schnell ausgegrenzt.
Frühsommergipfel
Die meisten Suizide werden im späten Frühjahr sowie im Frühsommer und nicht etwa im Herbst oder Winter begangen. Diese neue Erkenntnis deckte eine Studie auf, die die Daten von 20 OECD-Ländern über einen Zeitraum von vier bis 24 Jahren vergleicht: Auf der Nordhalbkugel ist die Suizidrate in den Monaten Mai und Juni am größten, auf der südlichen Hemisphäre hingegen im Dezember.
Einige Untersuchungen sprechen daher in diesem Zusammenhang von dem sogenannten Frühsommergipfel. Die möglichen Gründe für diese Frühsommergipfel sind in der Forschung noch umstritten. Die Erklärungsansätze zielen zum Teil auf einen möglichen Zusammenhang mit der höheren Sonnenscheindauer, da im Mai und Juni die Tage mit der längsten Sonnenscheindauer liegen.
Ein weiterer unter Wissenschaftlern diskutierter Erklärungsansatz beruht auf dem Wissen, dass viele Suizidgefährdete unter Depressionen leiden. Im Herbst und Winter ist das Wetter trist, grau und kalt. Bei vielen Menschen löst es einen kleinen Winterblues aus. Daher fühlen sich viele Depressive nicht mehr so anders, ausgegrenzt und einsam.
Im Frühjahr jedoch, wenn die Sonne häufiger und länger scheint, die Temperaturen steigen und die meisten wieder fröhlich nach draußen strömen, fühlen sich depressive Menschen, auf deren Stimmung und Wohlbefinden sich der Frühling nicht positiv auswirkt, wieder vermehrt ausgeschlossen.
Ursächliche Zusammenhänge von Selbstmordrate und Wetter- sowie Klimafaktoren konnten bisher jedoch nicht wissenschaftlich fundiert nachgewiesen werden.