Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit (Seite 5/8)

Mit richtiger Therapie zu alkoholfreiem Leben

Wege zurück zu Unabhängigkeit und Selbstbestimmung

Die meisten Fachleute gehen davon aus, dass bei einer Alkoholabhängigkeit das Therapieziel dauerhafte Abstinenz sinnvoll ist. Nur wenn jemand seit relativ kurzer Zeit Alkohol in der Weise trinkt, dass von einem Missbrauch gesprochen werden kann, ist als Therapieziel ein gesundheitlich und sozial angemessenes Trinkverhalten möglich, also kein vollständiger Verzicht auf Alkohol.

Die Behandlung einer Alkoholsucht findet meist in vier Phasen statt:

In der ersten Phase oder Vorbereitungsphase geht es darum, die Therapie vorzubereiten und vor allem auch eine Motivation aufzubauen, die eine Therapie überhaupt erst ermöglicht. Dies geschieht oft durch Haus- oder Fachärzte, Suchtberatungsstellen, psychosoziale Beratungsstellen und Psychologen beziehungsweise Psychotherapeuten.

In der zweiten Phase, der Entzugs- oder Entgiftungsphase findet der körperliche Alkoholentzug statt. Diese Phase dauert etwa drei bis sieben Tage. Währenddessen treten oft starke körperliche Entzugserscheinungen auf, so dass der Entzug meist stationär und mit Unterstützung von Medikamenten durchgeführt wird. In leichteren Fällen kann er aber auch ambulant, zum Beispiel mit regelmäßiger Betreuung durch einen niedergelassenen Facharzt, durchgeführt werden.

In der anschließenden Entwöhnungs- und Rehabilitationsphase geht es darum, den Betroffenen durch umfassende Maßnahmen körperlich, psychisch und sozial zu stabilisieren. Dabei arbeiten meist Psychotherapeuten, Sozialtherapeuten und medizinische Fachkräfte eng zusammen. Die Maßnahmen können sehr unterschiedlich aussehen und richten sich nach der Schwere der Abhängigkeit und der Motivation des Patienten. So kann die Behandlung entweder stationär, teilstationär, etwa in einer Tagesklinik oder ambulant, zum Beispiel in Suchtberatungsstätten oder in einer ambulanten Psychotherapie durchgeführt werden.

In der Phase der Nachsorge geht es darum, die Behandlungserfolge zu stabilisieren oder die langfristige Versorgung des Patienten sicherzustellen. Für viele Betroffene ist der regelmäßige Besuch einer Selbsthilfegruppe sehr wichtig, um langfristig abstinent zu bleiben. Denn der Austausch mit Menschen, die mit gleichen oder ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, kann erfahrungsgemäß helfen, besser mit der eigenen Situation umzugehen. Die Nachsorge kann aber auch darin bestehen, weiter an einer Psychotherapie teilzunehmen oder über längere Zeit die Beratungstermine einer Suchtberatungsstelle zu besuchen. Bei schweren Formen der Alkoholabhängigkeit kann es notwendig sein, dass die Patienten langfristig stationär betreut werden, zum Beispiel in einem sozialtherapeutischen Heim.

Bei Patienten mit einem riskanten oder schädlichen Umgang mit Alkohol entfällt die Phase des Entzugs. Die Phasen der Entwöhnung und Nachsorge finden in der Regel ambulant statt, meist in Form einer Psychotherapie oder regelmäßiger Einzel- oder Gruppengespräche in einer Suchtberatungsstelle.

Kontrolliertes Trinken

Untersuchungen haben gezeigt, dass ein kleiner Teil der Alkoholabhängigen, das sind zirka acht Prozent, zu kontrolliertem Trinken in der Lage ist. Allerdings ist unklar, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen und daher auch, welche Patienten dazu fähig sind und welche nicht. Zumindest einige therapeutische Einrichtungen bieten im Rahmen einer Therapie die Möglichkeit zum kontrollierten Trinken an. Die Betroffenen müssen dabei die Vorgaben genau einhalten: So wird zum Beispiel die Trinkmenge pro Woche festgelegt und der Patient muss an mindestens zwei Tagen pro Woche abstinent sein. Gelingt das den Betroffenen über einen gewissen Zeitraum jedoch nicht, sollte als Therapieziel ebenfalls eine vollständige Abstinenz angestrebt werden.

Chancen einer Therapie

Den meisten Betroffenen gelingt es nur mithilfe einer Therapie, ihre Alkoholsucht zu überwinden. Doch selbst nach erfolgreicher Therapie werden nach einer stationären Therapie etwa 50 Prozent der Patienten mit einer Alkoholsucht im Lauf von ein bis zwei Jahren wieder rückfällig, nach einer ambulanten Therapie sind es 60 Prozent.

Wer an einer Alkoholabhängigkeit leidet, sollte sich bewusst machen, dass seine Erkrankung nicht wirklich geheilt werden kann. Selbst wenn jemand sehr lange Zeit abstinent gelebt hat, kann es auch nach Jahren oder Jahrzehnten wieder zu einem Rückfall kommen. Das bedeutet, dass die Betroffenen eine hohe Motivation aufbringen und sich ständig darum bemühen müssen, abstinent zu leben.

Psychotherapeutische Behandlung

In der Psychotherapie können psychoanalytische, tiefenpsychologische, verhaltenstherapeutische und paar- und familientherapeutische Ansätze eingesetzt werden.

Seit dem Jahr 2011 ist es nicht mehr notwendig, dass ein Patient abstinent sein muss, um eine ambulante Psychotherapie beginnen zu können. Es muss jedoch nach den ersten zehn Behandlungsstunden nachgewiesen werden, dass der Patient es geschafft hat, abstinent zu sein. Dazu müssen objektive Daten vorgelegt werden, das sind meist Laborwerte aus einer ärztlichen Untersuchung.

Ein wichtiges Element in der Psychotherapie ist es, die Motivation zur Veränderung des Trinkverhaltens gezielt zu fördern. Dies ist vor allem am Anfang der Therapie, aber auch während der gesamten Behandlung wichtig, weil die Patienten oft zwischen dem Wunsch nach einer Veränderung und dem Drang, doch weiter zu trinken, hin- und hergerissen sind.

Außerdem kann es in der Therapie immer wieder zu Krisen und kleineren oder größeren Rückfällen kommen, nach denen die Patienten erneut motiviert werden müssen, ihren Alkoholkonsum wirklich dauerhaft zu verändern. Deshalb wird in der Therapie oft die motivierende Gesprächsführung nach William R. Miller und Stephen Rollnick eingesetzt. Dabei drückt der Therapeut gegenüber dem Patienten Empathie aus, das heißt, er zeigt dem Patienten, dass er ihn und seine Einstellungen zum Alkoholkonsum versteht.

Gleichzeitig versucht er aber auch, gemeinsam mit dem Patienten Widersprüche zwischen dessen Trinkverhalten und dessen wichtigen Zielen und Werten aufzudecken und ihn so zu Veränderungen zu motivieren, Miller und Rollnick sprechen in diesem Zusammenhang von Entwickeln von Diskrepanz. So könnte der Patient mit Unterstützung des Therapeuten beispielsweise herausarbeiten, dass er das Trinken und das gesellige Zusammensein mit Freunden zwar genießt, gleichzeitig aber starke Reue empfindet, wenn er deshalb seine Frau und seine Kinder vernachlässigt.

Darüber hinaus betont der Therapeut immer wieder, dass der Patient selbst entscheiden muss, was er verändern will und er äußert Verständnis für dessen Befürchtungen, Bedenken und Schwierigkeiten, nach Miller und Rollnick bedeutet das Widerstand aufnehmen.

Schließlich versucht der Therapeut auch, die Selbstwirksamkeitserwartung des Patienten zu fördern. Das heißt, er macht dem Patienten immer wieder deutlich, dass eine Veränderung möglich ist und er die Fähigkeiten besitzt, sein Trinkverhalten zu verändern.

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Psychotherapie ist es, einen Rückfall in die alten Trinkgewohnheiten zu verhindern. Deshalb wird der Therapeut gemeinsam mit dem Patienten die Hintergründe seines Trinkens analysieren und mögliche Auslöser für Rückfälle deutlich machen. Gleichzeitig lernt der Patient, Risikosituationen, die ein erneutes Trinken auslösen könnten, zu bewältigen. Dabei wird meist zunächst vereinbart, solche Auslöser so weit wie möglich zu vermeiden, zum Beispiel indem der Patient sich von Orten, an denen Alkohol getrunken wird, fernhält. Im weiteren Verlauf kann er jedoch lernen, mit den Auslösern des Alkoholkonsums anders umzugehen als früher. So übt er zum Beispiel, die Einladung zu einem Bier abzulehnen und stattdessen ein anderes Getränk zu bestellen.

Nicht zuletzt wird in der Therapie auch erarbeitet, wie der Patient reagieren kann, wenn es zu einem Ausrutscher kommt, wenn er also trotz der Therapie Alkohol getrunken hat und er dadurch trotzdem nicht wieder in sein altes Trinkverhalten zurückfällt. Gleichzeitig werden in der Therapie auch andere psychische Störungen, zum Beispiel depressive Störung oder Angststörungen, die das problematische Trinkverhalten ausgelöst haben oder als Folge davon entstanden sind, behandelt.

Kognitive Verhaltenstherapie

Zentrale Aspekte einer Verhaltenstherapie sind die motivierende Gesprächsführung und Maßnahmen zur Vorbeugung von Rückfällen. Dabei wird der Therapeut zunächst gemeinsam mit dem Patienten Ziele für die Therapie erarbeiten und anschließend konkrete Schritte durchführen, um diese Ziele zu erreichen. So werden zum Beispiel die Auslöser für den hohen Alkoholkonsum herausgearbeitet.

Außerdem werden die Vor- und Nachteile des bisherigen Alkoholkonsums erarbeitet und den Vor- und Nachteilen einer Abstinenz beziehungsweise eines moderaten Alkoholkonsums gegenübergestellt.

Hat der Patient sich für die Abstinenz beziehungsweise für einen kontrollierten Alkoholkonsum entschieden, übt er, innere Auslöser für einen möglichen Alkoholkonsum rechtzeitig zu erkennen und anders als bisher auf sie zu reagieren. Dafür er erlernt er neue und funktionale Strategien zur Stressbewältigung und ein alternatives Verhalten zum Alkoholkonsum. Wenn jemand das starke Verlangen nach Alkohol spürt, könnte er zum Beispiel stattdessen joggen gehen oder eine Vertrauensperson anrufen, um sich auszusprechen.

In einem Expositions- und Ablehnungstraining übt der Patient, sich Situationen zu stellen, in denen Alkohol eine Rolle spielt. Er lernt, mit der Versuchung umzugehen, erneut Alkohol zu trinken und Angebote beziehungsweise Einladungen zum Trinken sozial angemessen abzulehnen.

Außerdem können die Auslöser für Alkoholkonsum auch „gelöscht“ werden. Dafür wird der Patient zunächst in der Therapiestunde und später in realen Situationen mit den Auslösern, zum Beispiel dem Geruch von Bier oder dem Öffnen einer Bierflasche konfrontiert, bis sie in ihm kein Verlangen nach Alkohol mehr auslösen.

Psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Therapie

Diese Therapiekonzepte gehen davon aus, dass unbewusste Konflikte und Defizite bei bestimmten psychischen Funktionen, so genannte strukturelle Defizite, die Ursachen für psychische Erkrankungen sind. Es wird angenommen, dass ein problematisches Trinkverhalten häufig nach traumatischen Erlebnissen oder als Abwehr gegen eine Depression auftritt. In der Therapie wird versucht, die strukturellen Defizite zu verringern und die Konflikte, die hinter dem Alkoholproblem stehen, aufzudecken und zu lösen.

Paar- und Familientherapie verbessert Beziehungen

Wenn jemand Probleme mit Alkohol hat, wirkt sich dies immer auch auf die Beziehungen zu nahestehenden Menschen, zum Beispiel Ehepartner, Kinder oder Eltern aus. Gleichzeitig entwickeln viele Familienmitglieder durch die ständigen Belastungen oft selbst psychische Probleme. Deshalb ist es bei jeder Therapieform sinnvoll, auch die Angehörigen mit einzubeziehen.

Eine Paar- oder Familientherapie kann helfen, die Beziehungen zwischen dem Patienten und seinen wichtigen Bezugspersonen zu verbessern und zu stabilisieren.

Ein typisches Problem bei alkoholbezogenen Störungen ist, dass manche Familienmitglieder den Patienten unbewusst in seiner Abhängigkeit unterstützen. Das nennt man co-abhängiges Verhalten. So nehmen viele Angehörige dem Betroffenen Aufgaben ab, die er nicht mehr bewältigen kann, oder schützen ihn vor negativen Konsequenzen des Alkoholkonsums, zum Beispiel indem sie ihn beim Arbeitgeber krank melden. Oft kommt es so weit, dass sich das Leben der Angehörigen weitgehend nach den Bedürfnissen des Patienten ausrichtet. Dadurch tragen sie jedoch indirekt dazu bei, dass der Betroffene weiterhin abhängig bleibt. Eine Paar- und Familientherapie oder eine entsprechende Beratung kann in diesen Fällen dazu beitragen, dass die Angehörigen alternative, hilfreichere Verhaltensweisen im Umgang mit dem Patienten erlernen.

Medikamente lindern Entzugsbeschwerden

Die Behandlung mit Medikamenten spielt vor allem in der Phase des Entzugs eine Rolle. Bei mittleren bis schweren Entzugserscheinungen wird häufig das Medikament Clomethiazol, ein Beruhigungsmittel, das im Rahmen des Alkoholentzugs eingesetzt wird. Es ist in Deutschland unter dem Handelsnamen Distraneurin® bekannt. Es wird ebenfalls bei Gefahr eines Delirs oder von Krampfanfällen gegeben.

Daneben werden auch beruhigende Antidepressiva, niedrig- bis mittelpotente Neuroleptika und Benzodiazepine (Beruhigungsmittel) eingesetzt, um psychische Entzugssymptome zu lindern. Bei schweren Entzugserscheinungen wie Wahnvorstellungen und Halluzinationen oder einem Delir wird meist ein hochpotentes Neuroleptikum, oft Haloperidol gegeben. In der Zeit nach dem Entzug werden zum Teil Medikamente verabreicht, die das starke Verlangen nach Alkohol, also das Craving vermindern können. Dazu gehören vor allem Acamprosat und Naltrexon, die sich in Studien als wirksame Mittel gegen Craving erwiesen haben. Allerdings wirkt Acamprosat nur bei einem Teil der Patienten, bei Naltrexon ist die Datenlage bisher noch begrenzt.

Ein weiteres, jedoch umstrittenes Medikament, das bei der Alkoholentwöhnung eingesetzt wird, ist Disulfiram. Es führt beim Konsum von Alkohol zu Unverträglichkeitsreaktionen wie Kopfschmerzen und Übelkeit und das selbst bei geringen Mengen. Auf diese Weise soll es verhindern, dass die Betroffenen erneut zum Alkohol greifen. Disulfiram wird jedoch eher selten verwendet.

Für detaillierte Informationen zu den einzelnen Medikamenten siehe Artikel „Psychopharmaka“

Unterstützung in Selbsthilfegruppen

Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker können helfen, den Therapieerfolg beziehungsweise eine Abstinenz langfristig aufrecht zu erhalten. Deshalb wird vielen Patienten geraten, gegen Ende oder im Anschluss an eine Therapie langfristig an einer Selbsthilfegruppe teilzunehmen.

In diesen Selbsthilfegruppen haben die Betroffenen die Möglichkeit, über ihre persönliche Situation, Probleme im Umgang mit Alkohol und andere persönliche Schwierigkeiten zu sprechen. Für Angehörige von Alkoholkranken gibt es spezielle Gruppen und es gibt solche, an denen Betroffene und Angehörige gemeinsam teilnehmen können.