Was ist eine Somatoforme Störung?

Wenn hinter körperlichen Symptomen die Psyche steckt

16.08.2016 Von Dr. Christine Amrhein

Wenn Menschen in früheren Zeiten an vielfältigen, unklaren körperlichen Beschwerden litten, bezeichnete man das oft als Hysterie – dieser Begriff taucht schon in frühen ägyptischen und griechischen Schriften auf. Hippokrates hatte zum Beispiel die Vorstellung, die Gebärmutter würde bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch Bewegungen machen, die verschiedene körperliche Beschwerden hervorrufen würden. Deshalb nahm man lange Zeit an, dass „Hysterie“ nur bei Frauen auftreten würde.

Dass man im Lauf des Lebens immer wieder einmal körperliche Missempfindungen erlebt, ist eigentlich normal: 80 Prozent der Bevölkerung berichten über vorübergehende körperliche Beschwerden ohne eine klare organische Ursache. Diese gehen aber meist von selbst wieder zurück und werden von den meisten Menschen nur wenig beachtet.

Auf der anderen Seite ist es auch nicht selten, dass jemand mit Beschwerden einen Arzt aufsucht, ohne dass sich eine organische Ursache finden lässt – Untersuchungen zeigen, dass das bei etwa zwanzig Prozent der Patienten der Fall ist.

Es gibt jedoch auch Menschen, die immer wieder unterschiedliche körperliche Beschwerden haben, ohne dass sich eine körperliche Ursache finden lässt. Diese Beschwerden werden in vielen Fällen chronisch und können die Lebensqualität deutlich beeinträchtigen. Dann spricht man auch von einer somatoformen Störung – das bedeutet, dass den Symptomen sehr wahrscheinlich psychische Ursachen zugrunde liegen.

Die Symptome einer somatoformen Störung können sehr vielfältig sein. Zu den häufigsten Beschwerden gehören Schmerzsymptome (zum Beispiel Kopfschmerzen, Brustschmerzen oder Rückenschmerzen), Müdigkeit und Erschöpfung. Oft wird auch über Magen-Darm-Beschwerden, Symptome des Herz-Kreislauf-Systems, sexuelle Störungen und Symptome, die das Nervensystem betreffen (zum Beispiel Schwindelgefühle) berichtet.

Wie hängen Psyche und vegetatives Nervensystem zusammen?

Das vegetative Nervensystem ist der Teil des Nervensystems, der automatische körperliche Vorgänge steuert – also Vorgänge, die man selbst nicht willentlich beeinflussen kann. Dies sind zum Beispiel Herzschlag und Blutdruck, Atmung, Verdauung, sexuelle Funktionen und die Ausschüttung von Hormonen.

Allerdings haben psychische Empfindungen und Gefühle durchaus einen Einfluss auf das vegetative Nervensystem. Zum Beispiel wird man bei einem Schreck blass und bekommt eine Gänsehaut, das Herz rast und der Atem geht schneller – und bei Ärger rötet sich die Haut und der Blutdruck steigt an. Das Gleiche gilt auch langfristig gesehen: Ist das psychische Gleichgewicht auf Dauer gestört und jemand leidet ständig unter Gefühlen von Angst, Ärger oder Stress, kann das das vegetative Nervensystem dauerhaft aus dem Gleichgewicht bringen.

Warum sind Somatoforme Störungen so schwierig zu behandeln?

Ein Problem bei somatoformen Störungen ist, dass sich die Symptome mit medizinischen Ansätzen nicht wirksam behandeln lassen. Deshalb dauert es für die Betroffenen oft sehr lang, bis sie tatsächlich effektive Hilfe bekommen. Auf der einen Seite werden oft unnötige diagnostische Eingriffe und Behandlungen durchgeführt – und diese können zur Aufrechterhaltung der Symptome beitragen. Auf der anderen Seite werden die Patienten von Ärzten oft nicht ernst genommen und als „schwer behandelbar“ angesehen.

Ärzten fällt es oft schwer, den Betroffenen die psychischen Ursachen ihrer Beschwerden zu vermitteln. Versichert der Arzt ihnen, dass sie völlig gesund seien, löst das bei den Patienten erst recht Sorgen aus, weil sie überzeugt sind, dass ihre Beschwerden eine körperliche Ursache haben müssen. Aber auch die Erläuterung, dass psychische Faktoren wie Angst oder Stress hinter den körperlichen Symptomen stecken könnten, wird von ihnen oft nicht akzeptiert. Viele Patienten fühlen sich von der ärztlichen Behandlung, die ihnen nicht weiterhilft, enttäuscht und wechseln deshalb immer wieder von einem Arzt zum anderen.

Durch ein geeignetes Gespräch lassen sich viele Betroffene aber dazu motivieren, sich psychologische Unterstützung zu suchen. Und mit einer angemessenen Behandlung kann den meisten auch effektiv geholfen werden. Diese besteht in erster Linie aus einer Psychotherapie: Hier lernen die Patienten, Zusammenhänge zwischen ihren körperlichen Beschwerden und Stress- und Belastungsfaktoren zu erkennen, mit ihren körperlichen Symptomen besser umzugehen und Belastungen in ihrem Leben (zum Beispiel in der Ehe oder im Beruf) zu verringern.