Schlafstörungen (Seite 6/9)
Nachtangst (Pavor Nocturnus)
Heftig erregtes Aufschrecken in der Tiefschlafphase ohne wirkliches und bewusstes Aufwachen (Parasomnien)
Beim Pavor Nocturnus kommt es wiederholt zu Episoden, in denen der Betroffene aus dem Schlaf aufschreckt und dabei heftig erregt ist. Die Episoden treten meist im ersten Drittel der Nacht während des Tiefschlafes auf. Es kommt dabei zu einem teilweisen Erwachen aus dem Tiefschlaf.
Eine Episode beginnt oft damit, dass sich der Betroffene im Bett aufsetzt, schreit, die Augen weit aufreißt und einen Ausdruck starker Angst im Gesicht hat. Während der Phasen, die meist nur wenige Minuten dauern, bewegt sich der Schlafende heftig, wirkt verängstigt und zeigt deutliche Merkmale körperlicher Erregung wie schnelle Atmung, Schwitzen und schnellen Herzschlag. Dabei reagiert er nicht auf Reize von außen, also auch nicht auf die Versuche anderer Personen, ihn zu beruhigen. Nach dem Aufwachen besteht keine Erinnerung an die Ereignisse und auch nicht an Träume oder Eindrücke, die die starke Angst hervorgerufen haben könnten. Viele Kinder, die von Pavor Nocturnus betroffen sind, neigen phasenweise auch zum Schlafwandeln.
Häufigkeit und Verlauf
Von Pavor Nocturnus sind etwa ein bis sechs Prozent der Kinder betroffen. Bei Erwachsenen beträgt die Häufigkeit etwa ein Prozent. Die Störung tritt bei Jungen häufiger auf als bei Mädchen, bei Erwachsenen sind beide Geschlechter etwa gleich oft betroffen. Bei Kindern beginnt die Störung meist im Alter von vier bis zwölf Jahren und hört in der Regel im Jugendalter von selbst wieder auf. Sie ist hier nicht mit anderen psychischen Auffälligkeiten verbunden.
Bei einem Teil der Betroffenen beginnt die Störung erst im Erwachsenenalter. Hier tritt sie im Alter zwischen 20 und 30 Jahren am häufigsten auf. Bei Erwachsenen hält der Pavor Nocturnus meist über einen längeren Zeitraum und ist häufig mit anderen psychischen Störungen verbunden. So lässt sich Pavor Nocturnus bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), einer generalisierten Angststörung und bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen häufiger beobachten als bei Menschen ohne diese Störungen.
Ein Ehepaar wacht nachts auf, weil ihr dreijähriger Sohn panisch schreit. Als sie zu seinem Zimmer laufen, sitzt er mit weit aufgerissenen Augen im Bett, wimmert und bewegt sich unruhig hin und her. Als die Mutter versucht, ihn in den Arm zu nehmen und zu beruhigen, fängt er an, um sich zu schlagen, und scheint panische Angst zu haben. Die Mutter beobachtet, dass sein Herz schnell schlägt und sein Schlafanzug schweißnass ist. Sie redet weiter beruhigend auf ihr Kind ein, ohne dass dies irgendeine Wirkung hat. Nach etwa zehn Minuten wird der Junge wieder ruhiger und lässt sich auf sein Kissen zurücklegen, wo er bald tief und fest schlummert. Bis zum nächsten Morgen kommt es zu keinen weiteren Vorfällen.
Ursachen und Erklärungsmodelle
Ähnlich wie das Schlafwandeln tritt Pavor Nocturnus in manchen Familien gehäuft auf, so dass vermutlich genetische Faktoren bei der Erkrankung eine Rolle spielen. Auslöser von Pavor Nocturnus können, ebenfalls ähnlich wie beim Schlafwandeln, Schlafmangel, fieberhafte Erkrankungen und Stress sein. Auch Reifungsprozesse des Gehirns könnten bei der Störung eine Rolle spielen.
Behandlungsansätze und Selbsthilfemöglichkeiten
Meist ist bei Pavor Nocturnus keine spezielle Therapie notwendig. Ähnlich wie beim Schlafwandeln ist es sinnvoll, wenn die Betroffenen eine gute Schlafhygiene (siehe oben) einhalten, so dass es nicht zu einem Schlafdefizit kommt.
Wenn Kinder Pavor Nocturnus haben, ist es vor allem wichtig, dass die Eltern über die Störung informiert sind und wissen, wie sie damit umgehen können. So sollten sie ihr Kind während der Episoden nicht wecken, weil diese dann verwirrt und desorientiert sind. Es kann sinnvoll sein, auf das Kind beruhigend einzuwirken – gleichzeitig ist es wichtig zu wissen, dass die Kinder darauf wahrscheinlich nicht reagieren werden. Manche Kinder mit Pavor Nocturnus fürchten sich auch vor dem Einschlafen – dann können die Eltern während des Tages bzw. vor dem Einschlafen beruhigend auf sie einwirken.
Wenn die Störung länger anhält, raten einige Experten, den Betroffenen kurz vor dem Zeitpunkt zu wecken, zu dem der Pavor Nocturnus normalerweise auftritt. So kann das Schlafmuster unterbrochen werden, das zum Auftreten der Episoden führt.
Ist der Pavor Nocturnus mit starken Ängsten oder anderen psychischen Problemen am Tag verbunden, ist häufig eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll.
Ausschluss anderer Erkrankungen
Ähnlich wie beim Schlafwandeln können hinter dem auffälligen Verhalten in der Nacht auch kurze epileptische Anfälle (so genannte Petit-Mal-Anfälle) stecken. Daher sollte man die Vorkommnisse mit einem Arzt besprechen, der dann möglicherweise zu einer weiteren Abklärung raten wird. Bei einer Untersuchung im Schlaflabor können neben epileptischen Anfällen auch andere mögliche Erkrankungen im Schlaf erkannt bzw. ausgeschlossen werden. Ähnlich wie beim Schlafwandeln kann Pavor Nocturnus in Zusammenhang mit einem Restless-Legs-Syndrom (siehe unten) oder Atemstörungen im Schlaf (siehe unten) auftreten.
Medikamentöse Therapie
Eine medikamentöse Behandlung ist bei Pavor Nocturnus nur in sehr seltenen Fällen sinnvoll. Dann werden meist Benzodiazepine in niedriger Dosierung eingesetzt. Da hier die Gefahr einer Abhängigkeit besteht, sollten sie nur über einen kurzen Zeitraum (maximal vier Wochen) angewendet werden.