Schlafstörungen (Seite 2/9)
Nichtorganische Insomnie
Dyssomnien: Vorwiegend psychisch bedingte Schlafstörungen nach ICD-10
Menschen mit einer nichtorganischen Insomnie haben Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen oder berichten über einen nicht erholsamen Schlaf. Die Betroffenen liegen abends lange wach und / oder wachen in der Nacht oder am frühen Morgen auf und haben dann Schwierigkeiten, wieder in den Schlaf zurückzukehren. Dadurch fühlen sie sich tagsüber häufig müde, wenig erholt und wenig leistungsfähig.
Um die Diagnose zu stellen, dürfen die Probleme nicht im Rahmen einer anderen Schlafstörung (z. B. einer Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus oder einer Schlafapnoe) oder einer anderen psychischen Störung (z. B. einer Depression oder einer Angststörung) auftreten. Weiterhin muss ausgeschlossen sein, dass die Probleme durch eine körperliche Erkrankung oder durch Medikamente oder andere Substanzen (z. B. Alkohol oder Drogen) zustande kommen. In der Praxis treten die Ein- und Durchschlafstörungen jedoch häufig zusammen mit anderen psychischen oder körperlichen Erkrankungen auf, so dass die Abgrenzung oft schwierig ist.
Bei einer seltenen Sonderform der nichtorganischen Insomnie klagen die Betroffenen über Schlaflosigkeit, obwohl sie tatsächlich (z. B. nachgewiesen durch eine Untersuchung im Schlaflabor) ausreichend lang und tief schlafen. Hier liegt eine Fehlwahrnehmung des Schlafzustandes vor. Den Betroffenen helfen oft ähnliche Behandlungsansätze wie bei der normalen nichtorganischen Insomnie.
Ein 46jähriger Mann berichtet, dass er abends zwar gut einschläft, in der Nacht aber oft aufwacht und dann lange nicht mehr einschlafen kann. In dieser Zeit beschäftigen ihn oft Sorgen, die mit seiner Arbeit als selbständiger Unternehmer, aber auch mit Konflikten in der Ehe zu tun haben. Morgens steht er relativ spät auf, schläft in den Morgenstunden aber unruhig, weil er sich durch Lärm im Haus gestört fühlt. Abends trinkt der 46-Jährige oft noch ein Glas Wein, weil er meint, dass er so besser abschalten kann. Er berichtet, in manchen Nächten nur etwa drei Stunden, in anderen Nächten vier bis fünf Stunden zu schlafen. Seine Gedanken kreisen häufig darum, dass er wegen des Schlafmangels nicht leistungsfähig genug ist und dass er bei der Arbeit Dinge vergessen oder Fehler machen könnte.
Häufigkeit und Verlauf
Studien zufolge sind zwischen zehn und 30 Prozent der Bevölkerung zumindest zeitweise von einer Insomnie betroffen. Etwa sechs Prozent leiden an einer chronischen Insomnie. Von den Betroffenen sind etwa zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer, wobei Menschen im mittleren Lebensalter (zwischen 45 und 55 Jahren) und ältere Menschen ab dem 85. Lebensjahr am häufigsten an einer Insomnie erkranken.
In vielen Fällen besteht die Erkrankung chronisch und zieht andere psychische Erkrankungen nach sich – insbesondere Angststörungen, Depressionen und den Missbrauch bzw die Abhängigkeit von psychotropen Substanzen wie Alkohol, Medikamenten oder Drogen.
Ursachen und Erklärungsmodelle
Emotionale Faktoren gelten als wichtigster Faktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer nichtorganischen Insomnie. Auslöser sind häufig belastende, stressreiche Lebenssituationen – aber auch unregelmäßige Schlafenszeiten, eine unzureichende Schlafhygiene (siehe unten) und äußere Faktoren wie Lärm, eine ungünstige Raumtemperatur oder ein unbequemes Bett können zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer Insomnie beitragen.
Es wird angenommen, dass Menschen mit Insomnie ein erhöhtes Arousal, also eine Neigung zu verstärkter körperlicher, emotionaler und gedanklicher Erregung haben. Studien haben gezeigt, dass die Betroffenen im Vergleich zu anderen Menschen eine erhöhte Herzrate, eine höhere Stoffwechselrate des Gehirns und höhere Level der Stresshormone Cortisol und ACTH im Blut haben. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen mit Insomnie ständig überaktiviert sind – was wiederum erklären könnte, warum sie Schwierigkeiten haben, sich zu entspannen und einzuschlafen.
Auch eine gedankliche Fixierung auf den Schlaf und das Einschlafen kann zur Aufrechterhaltung der Insomnie beitragen: Die Betroffenen machen sich vor allem vor dem Einschlafen und in der Nacht Sorgen, dass sie nicht schlafen zu können, grübeln über ihren Schlaf und fürchten, wegen des Schlafmangels nicht leistungsfähig zu sein. Diese Gedanken führen zu einer erhöhten Erregung, die wiederum das Einschlafen und einen erholsamen Schlaf verhindert. Gleichzeitig neigen Menschen mit Insomnie dazu, ihre Schlafdauer und Schlafqualität zu unterschätzen und die negativen Auswirkungen von wenig Schlaf zu überschätzen. Auch dies sind Faktoren, die zur gedanklichen und emotionalen Übererregung beitragen.
Häufig kommt es bei einer Insomnie zu ungünstigen Konditionierungen, bei denen die Betroffenen das Zubettgehen und das Bett selbst mit Wachsein, negativen Gefühlen und verstärkter Erregung verbinden. Viele üben zudem im Bett Aktivitäten aus, die nicht mit Schlaf vereinbar sind, wie Lesen, Telefonieren oder Fernsehen. Der Gedanke ans Zubettgehen und das Bett selbst werden auf diese Weise zu konditionierten Reizen, die automatisch Wachheit und einen Anstieg des Arousals auslösen.
Behandlungsansätze und Selbsthilfemöglichkeiten
Verhaltensbezogene und psychotherapeutische Ansätze sind die effektivsten Behandlungsmethoden einer nichtorganischen Insomnie, die gleichzeitig zu lang anhaltenden Verbesserungen führen können. Daher gelten diese Ansätze als Behandlungsmethoden der ersten Wahl. Untersuchungen haben gezeigt, dass sie deutlich effektiver sind als die Behandlung mit Medikamenten oder eine Kombination aus verhaltensbezogener und medikamentöser Therapie.
Die unten beschriebenen Methoden werden häufig miteinander kombiniert und kommen auch bei einer kognitiven Verhaltenstherapie zum Einsatz. Bei einer Psychotherapie gibt es außerdem die Möglichkeit, andere Probleme zu bearbeiten, die mit der Schlafstörung in Zusammenhang stehen und diese aufrechterhalten können. Z. B. können im Rahmen der Therapie auch ein veränderter Umgang mit Belastungen, eine Verbesserung der sozialen Kompetenz oder eine Veränderung der Lebenssituation (z. B. das Einplanen von mehr angenehmen Freizeitaktivitäten) angestrebt werden.
Psychoedukation
Hier erhalten die Betroffenen grundsätzliche Informationen über den Schlaf (z. B.: Was ist typisch für den normalen Schlaf? Wie entstehen Schlafstörungen?). Gleichzeitig werden mögliche Fehlannahmen über den Schlaf korrigiert. So haben viele Menschen mit Insomnie eine unrealistisch hohe Erwartung, wie lange sie pro Nacht schlafen sollten (z. B.: „Ich muss jede Nacht acht Stunden schlafen, um erholt und fit zu sein.“) oder unrealistische Annahmen darüber, wie schädlich Schlafmangel ist (z. B.: „Wenn ich heute Nacht nur fünf Stunden schlafe, bin ich morgen zu überhaupt nichts in der Lage.“)
Schlafhygiene und Stimuluskontrolle
Maßnahmen der Schlafhygiene haben das Ziel, die Menge und die Qualität des Schlafes zu steigern. Zu ihnen gehört, einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus einzuhalten und jeden Tag – auch an den Wochenenden – zur gleichen Tageszeit ins Bett zu gehen und wieder aufzustehen. Weiterhin sollen die Betroffenen nicht tagsüber schlafen, weil dies die Wahrscheinlichkeit erhöht, abends nicht ausreichend müde zu sein und nicht einschlafen zu können. Abends sollten sie Substanzen, die den Schlaf stören können, wie Alkohol, Nikotin und Koffein vermeiden und möglichst auf Schlafmittel verzichten. Gleichzeitig sollte die Schlafumgebung angenehm gestaltet sein, so dass der Schlaf nicht durch Lärm, eine zu hohe oder zu niedrige Raumtemperatur oder ein unbequemes Bett gestört wird. Menschen mit Insomnie sollten vor dem Einschlafen entspannende Tätigkeiten ausüben und nicht versuchen, den Schlaf zu erzwingen.
Stimuluskontrolle kann als Teil der Maßnahmen zur Schlafhygiene angesehen werden. Sie zielt darauf ab, die ungünstige Konditionierung zwischen dem Zubettgehen bzw. dem Bett und Wachsein bzw. negativen Gefühlen zu verlernen, so dass die Betroffenen das Bett wieder als Ort des Schlafens und der Entspannung empfinden können. Dabei werden sie angewiesen, ihr Bett nur zum Schlafen (und zum Sex) zu benutzen und dort keine anderen Aktivitäten wie Lesen oder Fernsehen auszuüben. Sie sollen nur dann ins Bett gehen, wenn sie sich müde fühlen, das Bett wieder verlassen, wenn sie nach einer bestimmten Zeit (z. B. 20-30 Minuten) nicht einschlafen können, und erst dann wieder dorthin zurückkehren, wenn sie wieder ausreichend müde sind.
Restriktion der Zeit im Bett
Mithilfe der Restriktion der Zeit im Bett soll erreicht werden, dass Menschen mit Insomnie in etwa so viel Zeit im Bett verbringen wie sie auch tatsächlich schlafen. Dahinter steckt die Überlegung, dass die Betroffenen normalerweise deutlich länger im Bett liegen als sie tatsächlich schlafen. Viele planen absichtlich mehr Zeit im Bett ein, um trotz langen Wachliegens genügend Schlaf zu bekommen (z. B. plant jemand regelmäßig neun Stunden Zeit im Bett ein, schläft jedoch nur etwa sechs Stunden). Bei der Restriktion der Zeit im Bett werden die Betroffenen angewiesen, nur so viel Zeit im Bett zu verbringen, wie sie im Durchschnitt tatsächlich schlafen. Dadurch entsteht ein leichter Schlafmangel, der dazu führt, dass sie im Lauf der Zeit abends besser einschlafen und in der Nacht besser durchschlafen können. Wenn die tatsächliche Schlafenszeit zunimmt, wird allmählich auch die Zeit, die jemand im Bett verbringen darf, verlängert – z. B. darf der Betroffene zunächst nur sechs Stunden im Bett verbringen, dann wird die Zeit pro Woche um 15 Minuten verlängert.
Paradoxe Intervention
Hierbei sollen die Betroffenen nicht versuchen, einzuschlafen, sondern im Gegenteil versuchen, wach zu bleiben und das Einschlafen zu verhindern. Auf diese Weise sollen der Druck, einschlafen zu müssen und die Angst davor, nicht schlafen zu können, vermindert werden. Tatsächlich kann die paradoxe Intervention dazu beitragen, dass die Betroffenen sich weniger unter Druck setzen, einzuschlafen, und dass sie die Zeit bis zum Einschlafen kürzer und ihre gesamte Schlafenszeit als länger einschätzen.
Entspannungsverfahren
Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelentspannung, das autogene Training, Meditation oder Biofeedback-Methoden (z. B. eine Rückmeldung der Gehirnströme, das so genannte EEG-Biofeedback) sind effektive Behandlungsmethoden bei Insomnie. Diese Methoden können dazu beitragen, die körperliche und psychische Anspannung und Unruhe zu reduzieren, die Menschen mit Insomnie häufig erleben. Gleichzeitig können sie ungünstige Gedanken und Sorgen vermindern, die sich auf den Schlaf oder auf andere Themen beziehen, und so das „Abschalten“ vor dem Einschlafen erleichtern.
Kognitive Verfahren
Mit kognitiven Verfahren können unrealistische Gedanken über den Schlaf, über die Ursachen der Schlafstörung und über die Auswirkungen des Schlafmangels systematisch hinterfragt und verändert werden. Zunächst erhalten die Betroffenen Informationen über den normalen Schlaf (siehe Kapitel Psychoedukation). Anschließend üben sie, unrealistische Erwartungen an den Schlaf zu hinterfragen, die negativen Auswirkungen von Schlafmangel nicht zu überschätzen und ein schlechtes Tagesbefinden nicht ausschließlich auf den Schlafmangel zurückzuführen.
Andere kognitive Strategien sind die „Sorgenstunde“ und der „Gedankenstopp“, an den sich ein „Ruhebild“ anschließt. Bei der Sorgenstunde nehmen sich die Betroffenen am Tag bewusst Zeit, um Sorgen und negative Gedanken aufzuschreiben – mit dem Ziel, sie abends beim Einschlafen „aus dem Kopf“ zu haben. Beim Gedankenstopp sagen sie bewusst „stopp!“ zu negativen und sorgenvollen Gedanken, die in der Nacht aufkommen. Anschließend sollen sie sich ein angenehmes, entspannendes Ruhebild (z. B. eine angenehme Situation an einem Strand oder auf einer Wiese) vorstellen.
Medikamentöse Therapie
Wenn Patienten über Schlaflosigkeit klagen, werden von Ärzten häufig Schlafmittel verschrieben, und zwar in der Regel Benzodiazepine oder so genannte Nicht-Benzodiazepine (z. B. Zolpidem, Zopiclon). Diese Medikamente können den Schlaf zwar kurzfristig deutlich verbessern – bei längerer Einnahme lässt dieser Effekt jedoch schnell wieder nach. Benzodiazepine führen außerdem zu einer Veränderung der Schlafstruktur, bei der weniger Tiefschlaf und vermehrt leichter Schlaf auftritt, so dass sich die Schlafqualität insgesamt sogar verschlechtert. Darüber hinaus können diese Medikamente zu Gewöhnungseffekten, Abhängigkeit und Entzugssymptomen führen. Benzodiazepine und Nicht-Benzodiazepine sollten deshalb nur in Absprache mit dem Arzt und nur in niedriger Dosierung über einen Zeitraum von höchstens vier Wochen eingenommen werden.
Andere Schlaf- und Beruhigungsmittel sind Antihistaminika, das Hormon Melatonin, die Aminosäure L-Tryptophan und pflanzliche Präparate wie Baldrian, Johanniskraut, Melisse, Passionsblume und Hopfen. Antihistaminika verändern ebenfalls die normale Schlafstruktur und können zu Müdigkeit am nächsten Tag und zu Gewöhnungseffekten führen. Melatonin wird vor allem bei Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus (siehe unten) eingesetzt, während seine Wirksamkeit bei Insomnie bisher noch nicht eindeutig nachgewiesen ist. Die übrigen Substanzen sind ohne Rezept erhältlich und haben eine eher milde schlaffördernde Wirkung.
Auch einige Antidepressiva und Antipsychotika haben beruhigende und schlaffördernde Effekte. Hier können aber auch verschiedene Nebenwirkungen auftreten, so dass sie eher selten bei Insomnie verschrieben werden. Antidepressiva mit beruhigender Wirkung sind jedoch häufig hilfreich, wenn jemand gleichzeitig an einer Depression und an Schlaflosigkeit leidet.