Psychische Erkrankungen im Alter (Seite 2/10)

Besondere Belastungen im Alter

Erschwerte Diagnose, komplizierte Medikamentierung und oft fehlende Spezialisten

Eine Besonderheit des höheren Lebensalters ist, dass ältere Menschen häufiger und länger krank sind als jüngere und oft unter mehreren Erkrankungen gleichzeitig leiden. Die psychischen Belastungen, die mit dem Kranksein verbunden sind, können das Auftreten einer psychischen Störung begünstigen.

Weiterhin müssen ältere Menschen mit ganz unterschiedlichen Verlustsituationen zurechtkommen. So nehmen die körperliche Gesundheit, die körperliche Attraktivität und körperliche und geistige Fähigkeiten (wie Sehen, Hören, Merkfähigkeit, geistige Schnelligkeit) mit zunehmendem Alter allmählich ab – es kann aber auch sein, dass unerwartet eine schwere Krankheit entdeckt wird. Auch der Tod nahestehender Menschen und der Austritt aus dem Berufsleben sind Verluste, mit denen ältere Menschen zurechtkommen müssen. Darüber hinaus fehlen im höheren Alter oft neue Ziele und Zukunftspläne. Gerade nach einschneidenden Verlusterlebnissen kommt es häufig zur Entwicklung einer psychischen Störung.

Besonderheiten psychischer Störungen im Alter

Die häufigsten psychischen Erkrankungen im höheren Lebensalter sind Depressionen und Demenz. Außerdem treten hier häufig Angststörungen, Schlafstörungen und der Missbrauch von Alkohol und Medikamenten auf. Manien und schizophrene bzw. wahnhafte Störungen kommen im höheren Alter dagegen eher selten vor.

Erschwerte Diagnose

Die Diagnose psychischer Erkrankungen wird erschwert durch den Fakt, dass ältere Menschen häufig an vielfältigen körperlichen Erkrankungen leiden. Außerdem lassen ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten allmählich nach, es kommt zu einer Verlangsamung und geringeren geistigen Umstellungsfähigkeit. Diese Veränderungen machen es zum Teil schwierig, eine psychische Störung von normalen Altersveränderungen oder einer körperlichen Erkrankung eindeutig abzugrenzen. Weiterhin muss bei der Diagnose beachtet werden, dass auch manche Medikamente zu psychischen Symptomen, zum Beispiel zu Verwirrtheit oder Vergesslichkeit, führen können.

Kompliziertere Medikamentierung

Eine weitere Besonderheit bei älteren Menschen ist, dass sich viele Körperfunktionen allmählich verändern. Dies führt dazu, dass Psychopharmaka bei ihnen häufig anders oder stärker wirken und andere bzw. stärkere Nebenwirkungen hervorrufen als bei jüngeren Menschen. Da ältere Menschen oft eine ganze Reihe von Medikamenten einnehmen, kommt es außerdem häufiger zu unerwünschten Wechselwirkungen als bei Jüngeren.

Erhöhte Suizidrate

Ein wichtiger Aspekt bei der Behandlung älterer Patienten ist auch, dass die Suizidrate bei älteren Erwachsenen deutlich höher liegt als bei jüngeren. Dies gilt sowohl für Patienten mit einer Depression als auch für die Gesamtgruppe der älteren Erwachsenen.

Behandlung und Psychotherapie bei älteren Menschen

Die Behandlung einer psychischen Erkrankung im Alter wird oft durch verschiedene Faktoren erschwert.

Im Umgang mit alten Menschen erfahrene Therapeuten sind rar

Ein Problem bei der psychotherapeutischen Behandlung älterer Menschen ist, dass relativ wenige Therapeuten auf die Arbeit mit älteren Menschen spezialisiert und mit ihren besonderen Lebensumständen vertraut sind. Außerdem nehmen die Betroffenen selbst, aber auch viele Psychotherapeuten an, dass eine Psychotherapie im höheren Lebensalter nur wenig erfolgversprechend ist – dies trifft jedoch in den meisten Fällen nicht zu.

Für ältere Menschen mit psychischen Problemen ist es deshalb wichtig, sich einen Therapeuten zu suchen, der mit der besonderen Situation älterer Menschen vertraut ist. Er sollte bei der Therapie mit älteren Menschen eine positive Erwartung haben und diese den Patienten auch vermitteln.

Die Ziele einer Psychotherapie mit alten Menschen müssen anders gesetzt werden

Eine Besonderheit bei der Behandlung älteren Menschen mit psychischen Problemen ist, dass bei vielen oft keine „Heilung“, also ein vollständiges Verschwinden der Symptome, möglich ist und deshalb auch in der Therapie nicht angestrebt wird. Stattdessen wird häufig versucht, den momentanen Zustand zu erhalten oder eine gewisse Verbesserung der Symptomatik zu erreichen.

Wichtig bei der Psychotherapie mit älteren Menschen ist, genau zu überprüfen, welche Veränderungen machbar sind und welche nicht. Der Therapeut muss dabei akzeptieren, dass viele Dinge nicht veränderbar sind oder der Patient sie nicht verändern möchte. So zielt die Therapie – anders als bei jüngeren Patienten – meist weniger auf weitreichende psychische Veränderungen ab. Stattdessen geht der Therapeut eher auf konkrete, alltagsnahe Probleme und Bedürfnissen des Patienten ein. Gleichzeitig sollte der Ablauf der Therapie eher einfach strukturiert sein, um den Patienten nicht zu überfordern.

Ein weiteres wichtiges Ziel in der Therapie ist, gemeinsam mit dem Patienten nach Ressourcen zu suchen und ihn dabei zu unterstützen, seine Probleme aktiv zu bewältigen. Dabei kann der Therapeut immer wieder auf die große Lebenserfahrung des Patienten verweisen, die eine wichtige Ressource ist.

Neben der eigentlichen psychotherapeutischen Behandlung ist es bei älteren Menschen oft notwendig, andere notwendige Unterstützungsmaßnahmen (z. B. durch Angehörige oder Pflegedienste) gemeinsam mit dem Patienten zu planen und in die Wege zu leiten.

Behandlung mit Medikamenten: Wechselwirkungen und ungenaue Einnahme

So müssen dabei immer auch andere (körperliche) Erkrankungen und die eingenommenen Medikamente berücksichtigt werden. Wenn Psychopharmaka verordnet werden, sollte zunächst mit einer niedrigen Dosierung begonnen und diese erst allmählich gesteigert werden. Dabei sollten die Wirkung und Nebenwirkungen der Medikation regelmäßig kontrolliert werden.

Ein Problem in der Praxis ist, dass ältere Menschen häufig die vom Arzt verschriebenen Medikamente nicht oder falsch einnehmen – entweder, weil sie sie nicht einnehmen möchten (zum Beispiel wegen tatsächlicher oder befürchteter Nebenwirkungen) oder weil sie mit der Einnahme überfordert sind (zum Beispiel, wenn sie viele Medikamente gleichzeitig einnehmen müssen oder die Verordnung nicht richtig verstehen).

Nachlassende Fähigkeiten und umfassende Versorgungsansätze

Problematisch bei einer Behandlung ist außerdem oft, dass viele ältere Patienten Probleme beim Sehen oder Hören haben oder in ihrer Beweglichkeit oder Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt sind.

Weiterhin sind bei der Behandlung älterer Menschen mit psychischen Problemen oft mehrere Versorgungsansätze notwendig, die sinnvoll miteinander kombiniert werden müssen. Dazu gehören die medikamentöse Behandlung der körperlichen und der psychischen Erkrankungen, psychotherapeutische und soziotherapeutische Ansätze sowie die Versorgung der Patienten im Alltag. Daher müssen hier oft verschiedene Behandlungseinrichtungen eng zusammenarbeiten – zum Beispiel Hausarzt, Psychiater, Psychotherapeut und gerontopsychiatrische Dienste, die leichter erkrankte Patienten langfristig zu Hause betreuen. Bei schwerer erkrankten Patienten sind außerdem teilstationäre und stationäre Einrichtungen an der Versorgung beteiligt.

Praktische Tipps: Wie findet man Hilfe und Behandlung?

Beim Erkennen von psychischen Erkrankungen älterer Menschen und dem Weiterverweisen an Spezialisten spielt der Hausarzt eine wichtige Rolle. Er sollte feststellen können, ob sich hinter körperlichen Symptomen eine psychische Erkrankung versteckt und z.B. eine Demenz von einer Depression unterscheiden können. Bei Bedarf sollte der Hausarzt den Patienten an den passenden Spezialisten, z.B. Psychiater, Psychotherapeuten oder Neurologen überweisen.

Auch Angehörige und Freunde können eine wichtige Hilfe bei der Aufdeckung und Behandlung psychischer Erkrankungen sein. Sie sollten die Symptome psychischer Störungen ernst nehmen, den Betroffenen bei der Suche nach einem Therapeuten unterstützen und ihn u.U. zum ersten Gespräch beim Therapeuten zu begleiten. Kontraproduktiv ist hingegen die Aufforderung an den Betroffenen, sich weiterhin „zusammenzureißen“. Enge Angehörige können darüber hinaus auch in die Therapie einbezogen werden.

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