Persönlichkeitsmerkmale als störende Belastung (Seite 15/16)

Passiv-Aggressive Persönlichkeits­störung

Negativistische Persönlichkeitsstörung: Trotz & Streitsucht

Menschen mit einer passiv-aggressiven (auch: negativistischen) Persönlichkeitsstörung zeigen einen passiven Widerstand gegen soziale und berufliche Anregungen und Leistungsanforderungen und ein umfassendes Muster negativer Einstellungen. Die Betroffenen nehmen häufig an, ungerecht behandelt, missverstanden und übermäßig stark in die Pflicht genommen zu werden. Sie verhalten sich oft widersprüchlich, indem sie den Anforderungen nach außen hin zunächst zustimmen, dann aber durch eine passive Verweigerungshaltung verhindern, dass die Aufgabe erfüllt wird. Oft klagen sie auch anhaltend über ihr eigenes Unglück und sind teilweise mürrisch und streitsüchtig. Allerdings gibt es bis jetzt relativ wenige Forschungsarbeiten zu dieser Persönlichkeitsstörung, so dass die Diagnose nur mit Vorsicht vergeben werden sollte. In der Praxis wird sie tatsächlich relativ selten gestellt.

Eine Frau berichtet von einem Bekannten, bei dem eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde. Er verliert immer wieder seinen Job und versteht nicht, warum. Schuld an Misserfolgen sind aus seiner Sicht immer die anderen: Wenn Probleme im Job auftreten, er wieder arbeitslos wird oder eine neue Stelle nicht bekommt. Seine Kollegen hält er grundsätzlich für unfähig, und über seine Chefs äußert er sich stets verächtlich. Er ist oft der Meinung, dass die anderen ihm die aufwändigsten oder unangenehmsten Aufgaben übertragen würden und findet dann verschiedene Gründe, warum er sie nicht oder nicht ordnungsgemäß durchführen kann.

Im Bekanntenkreis jammert er ständig über seine berufliche Situation und meint, dass alle anderen es besser haben als er. Außerdem neigt er dazu, alles besser zu wissen und seine Freunde zu kritisieren und abzuwerten. Aus Neid macht er oft andere oder deren Besitz schlecht – zum Beispiel das Auto eines Freundes, das größer und neuer ist als sein eigenes. Viele seiner Freunde und Bekannten würden sein Verhalten inzwischen nicht mehr verstehen und seine ständige negative Art nicht mehr ertragen und hätten deshalb den Kontakt abgebrochen.

Übergänge zur Normalität – passiv-aggressiver Persönlichkeitsstil (nach Kuhl & Kazén)

Menschen mit einem passiv-aggressiven Persönlichkeitsstil – der einer passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung ähnelt, aber weniger stark ausgeprägt ist – neigen zu einer „gesunden Skepsis“ gegenüber Neuem und gegenüber Anforderungen. Nach außen hin unterstützen sie oft die Ansichten anderer, aber wenn damit Anforderungen an sie selbst verbunden sind, neigen sie häufig zu Skepsis oder Kritik. Außerdem äußern sie oft eine pessimistische, zögerliche Einstellung, die sie aber mit rationalen Argumenten gut begründen. Diese „gesunde Skepsis“ und die eher skeptische, vorausdenkende Haltung können bei anderen durchaus Anerkennung finden oder zumindest nicht grundsätzlich abgelehnt werden.

Welche Symptome sind typisch für eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung?

Nach DSM besteht ein tief greifendes Muster negativer Einstellungen und ein passiver Widerstand gegenüber Forderungen nach angemessener Leistung. Diese Merkmale beginnen im frühen Erwachsenenalter und treten in einer Vielzahl verschiedener Situationen auf.

Es sollten mindestens vier der folgenden Kriterien erfüllt sein:

  1. Die Betroffenen widersetzen sich passiv der Erfüllung sozialer und beruflicher Routineaufgaben.
  2. Sie beklagen sich, von anderen missverstanden und missachtet zu werden.
  3. Sie sind mürrisch und streitsüchtig.
  4. Sie üben unangemessene Kritik an Autoritäten und verachtet diese.
  5. Sie sind der Ansicht, dass andere mehr Glück haben als sie, und bringen ihnen gegenüber Neid und Groll zum Ausdruck.
  6. Sie beklagen sich übertrieben und anhaltend über ihr persönliches Unglück.
  7. Sie wechseln zwischen feindseligem Trotz und Reue.

In der ICD-10 wird die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung dagegen nur bei den „sonstigen spezifischen Persönlichkeitsstörungen“ aufgeführt, aber nicht näher beschrieben.

Wie häufig kommt eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung vor?

Zur Häufigkeit der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung gibt es bis jetzt kaum Untersuchungen. In einer Studie wurde eine Häufigkeit von etwa fünf Prozent der Bevölkerung gefunden.

Was sind mögliche Ursachen der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung?

Auch hier wirken vermutlich biologische, psychische und umweltbezogene Faktoren bei der Entstehung der Störung zusammen. Man nimmt an, dass die Betroffenen in zwischenmenschlichen Beziehungen Ärger ausdrücken wollen, möglicherweise aber keine angemessene Art kennen, um dies zu tun. Deshalb verweigern sie sich passiv den Anforderungen oder Wünschen anderer Menschen. Dieses Verhalten führt aber nicht zu einer Lösung des eigentlichen Grundes für ihren Ärger – stattdessen kommt es zu weiteren zwischenmenschlichen Konflikten.

Behandlung von passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörungen

Psychotherapeutische Ansätze

Ein wichtiges Ziel in einer Psychotherapie ist, dass die Betroffenen mehr Vertrauen in zwischenmenschliche Beziehungen entwickeln. Sie können allmählich lernen, dass in privaten und beruflichen Beziehungen nicht nur negative Aspekte eine Rolle spielen, sondern auch positive Aspekte wie gegenseitige Unterstützung. Auf der anderen Seite wird ihnen deutlich gemacht, dass es im Beruf und in Partnerschaften immer auch Verpflichtungen gibt. Anschließend wird daran gearbeitet, ihre Loyalität in zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbessern.

Da die Patienten Leistungsanforderungen oft über lange Zeit vermieden haben, kann ein Defizit bei ihren sozialen und beruflichen Kompetenzen entstanden sein. Dies kann wiederum dazu führen, dass sie aus Angst vor Versagen weitere Leistungsanforderungen meiden. In der Therapie wird deshalb auf eine größere Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen hingearbeitet. Die Patienten sollen allmählich wieder bereit sein, sich Anforderungen zu stellen und auch die Gefühle, die damit zusammenhängen, zuzulassen.

Weil die Betroffenen viele Aktivitäten und Situationen vermieden haben, haben sie oft auch ihre Lebensfreude und ihre Bereitschaft zu spontanem Handeln verloren. Deshalb sollen in der Therapie auch die Spontanität und Risikobereitschaft gefördert werden. Die Patienten werden dazu angeregt, ihr bisheriges Vermeidungsverhalten aufzugeben, neue Dinge auszuprobieren und dabei auch gewisse Risiken einzugehen.

Mögliche Probleme in der Psychotherapie und Lösungsansätze

Die charakteristische Haltung der Betroffenen, gegenüber neuen Anforderungen kritisch oder negativ eingestellt zu sein und sich Aufgaben zu widersetzen, ist auch ein Problem für die Arbeit in der Psychotherapie. Der Therapeut kann hier schnell in ein Dilemma geraten: Arbeitet er auf Veränderungen hin und stellt klare Aufgaben, ruft dies bei den Patienten häufig Widerstand, passive Verweigerung oder offene Aggressivität hervor. Verhält er sich aber eher zurückhaltend und abwartend, kann auch dies negative Reaktionen hervorrufen. Deshalb ist es besonders wichtig, zunächst eine stabile, vertrauensvolle therapeutische Beziehung aufzubauen. Außerdem gilt es als wichtig, den Betroffenen bei allen Schritten der Therapie Entscheidungsfreiheit zu lassen, so dass sie nicht das Gefühl haben, vom Therapeuten in eine bestimmte Richtung gelenkt oder manipuliert zu werden.

Psychoanalytische und tiefenpsychologisch-fundierte Therapie

Hier wird eine aktive, unterstützende Haltung des Therapeuten als wichtig angesehen, weil eine eher zurückhaltende, abwartende Haltung bei den Patienten Passivität und Aggression hervorrufen kann. Zunächst wird eine tragfähige therapeutische Beziehung angestrebt. Anschließend kann daran gearbeitet werden, den Patienten Einsicht in ihre problematischen Beziehungsmuster zu vermitteln und diese allmählich zu verändern.

Kognitive Verhaltenstherapie

Hier wird betont, dass die Patienten bei den verschiedenen Schritten in der Therapie oder bei konkreten Aufgabenstellungen immer das Gefühl haben sollten, selbst entscheiden zu können. Deshalb wird versucht, ihnen immer mehrere mögliche Themen und mehrere Vorgehensweisen vorzuschlagen, aus denen die Patienten etwas für sie Passendes auswählen können. Weiterhin werden typische kognitiv-verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen verwendet, wie sie auch bei anderen Persönlichkeitsstörungen zum Einsatz kommen.

Therapie mit Psychopharmaka

Psychopharmaka werden bei der Behandlung der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung meist nicht als sinnvoll angesehen.

Kombinierte Persönlichkeitsstörung

Von einer kombinierten Persönlichkeitsstörung spricht man, wenn die Betroffenen typische Symptome einer Persönlichkeitsstörung haben, aber nicht die Kriterien einer bestimmten Persönlichkeitsstörung erfüllen. So können zum Beispiel bei einer Person dramatische Züge, ausgeprägte Ängstlichkeit und sonderbare Verhaltensweisen auftreten, ohne dass man eine bestimmte Persönlichkeitsstörung diagnostizieren könnte.

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