Persönlichkeitsmerkmale als störende Belastung (Seite 5/16)

Bin ich paranoid?

Paranoia, paranoide Persönlichkeitsstörung

Personen mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung sind übertrieben misstrauisch. Sie reagieren bei Kränkungen nachtragend und bei Zurückweisungen übertrieben empfindlich. Die Betroffenen neigen dazu, vieles, was sie erleben, als feindselig und gegen sich gerichtet zu empfinden. Deshalb interpretieren sie selbst freundliche oder neutrale Handlungen anderer Menschen als negativ und feindlich gesinnt. Oft sind sie auch rechthaberisch und streitsüchtig. Manche Betroffenen sind übertrieben eifersüchtig und beharren darauf, dass ihr Partner sexuell untreu sei, obwohl es dafür objektiv gesehen keinen Grund gibt.

In einem Forum für Angehörige berichtet eine Frau über das Verhalten ihres Ehemannes, der an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung leidet. Er sei schon immer sehr misstrauisch gewesen und habe sich schnell ausgenutzt gefühlt. In guten Zeiten sei er aber auch liebevoll, lustig und großzügig.

In manchen Zeiten ist er aber sehr paranoid und fasst jegliches neutrale Verhalten als feindselig auf. Wenn er von der Arbeit kommt, prüft er zum Beispiel als Erstes die ganze Wohnung auf Anzeichen, dass jemand an seinen persönlichen Sachen war oder dass seine Frau ihm untreu war. Er ist davon überzeugt, dass sie ihn betrügt. Außerdem wird er oft wegen Kleinigkeiten wütend, beleidigt andere und zieht sich stunden- oder tagelang vor allen zurück. Selbst in harmlosen Kleinigkeiten entdeckt er oft eine negative Absicht. Als ihm seine Frau vorschlägt, zusammen in die Stadt zu fahren und dort etwas zu essen, wirft er ihr zum Beispiel vor, dass sie ihn nur vor allen Leuten bloßstellen wolle. Weil er bei fast allen Menschen vermutet, dass sie ihn nur ausnutzen wollten, hat er inzwischen außer der Familie überhaupt keine sozialen Kontakte mehr.

Manchmal sagt er seiner Frau auch unvermittelt, dass es ihm leid tut, und überrascht sie mit einem Geschenk. Aber selbst in diesen guten Momenten weigert er sich, über seine paranoiden Vorstellungen zu sprechen. Als seine Frau ihn bittet, es doch einmal mit einer Psychotherapie zu versuchen, ist er zunächst einverstanden, es mit einer Stunde zu probieren. Am nächsten Tag wirft er seiner Frau unvermittelt vor, dass sie ihn mit dieser Idee nur manipulieren wolle, beschimpft sie und zieht sich beleidigt zurück.

Übergänge zur Normalität – paranoider Persönlichkeitsstil (nach Kuhl & Kazén)

Menschen mit einem paranoiden Persönlichkeitsstil – also Eigenschaften, die einer paranoiden Persönlichkeitsstörung ähneln, aber weniger stark ausgeprägt sind – sind scharfsinnig, aber auch misstrauisch. Sie neigen dazu, die Absichten anderer ausgiebig zu ergründen, nehmen sie häufig aber auch verzerrt wahr. Außerdem haben sie klare eigene Vorstellungen und Absichten und neigen dazu, auf ihnen zu beharren, wenn andere Menschen anderer Ansicht sind. Sie tendieren laut Kuhl und Kazén zu Tätigkeiten, in denen scharfsinniges Denken und das Engagement für eine bestimmte Sichtweise von Bedeutung sind – zum Beispiel in juristischen oder kriminalistischen Berufen oder beim Engagement für eine bestimmte Partei.

Welche Symptome sind typisch für eine paranoide Persönlichkeitsstörung?

Nach DSM besteht ein tief greifendes Muster aus Misstrauen und Argwohn gegenüber anderen, so dass ihnen böswillige Absichten unterstellt werden. Die Störung beginnt im frühen Erwachsenenalter und zeigt sich in einer Reihe verschiedener Lebenssituationen. Dabei gehen die Symptome nicht auf eine körperliche Erkrankung oder ein Medikament zurück. Sie sind auch nicht Teil einer Schizophrenie oder einer affektiven Störung mit wahnhaften Symptomen. Nach DSM müssen mindestens vier der folgenden Kriterien erfüllt sein:

  1. Die Betroffenen verdächtigen andere ohne ausreichenden Grund, von ihnen ausgenutzt, geschädigt oder getäuscht zu werden.
  2. Sie werden stark von ungerechtfertigten Zweifeln geplagt, dass ihre Freunde oder Partner nicht loyal und vertrauenswürdig sind.
  3. Sie vertrauen sich nur zögernd anderen Menschen an, weil sie die ungerechtfertigte Angst haben, die Informationen könnten in böswilliger Weise gegen sie verwendet werden.
  4. Sie interpretieren in harmlose Bemerkungen oder Vorkommnisse eine versteckte, abwertende oder bedrohliche Bedeutung hinein.
  5. Sie sind nachtragend und verzeihen vermeintliche Kränkungen, Verletzungen oder Herabsetzungen lange Zeit nicht.
  6. Sie nehmen bestimmte Dinge als Angriff auf ihre eigene Person oder ihr Ansehen wahr, obwohl andere dies nicht so sehen. In solchen Fällen reagieren sie schnell zornig oder starten einen Gegenangriff.
  7. Sie verdächtigen den Ehe- oder Sexualpartner wiederholt ohne jede Berechtigung, untreu zu sein.

Diese Merkmale entsprechen weitgehend den Kriterien in der ICD-10.

Wie häufig kommt eine paranoide Persönlichkeitsstörung vor

Bisherige Studien legen nahe, dass 0,5 bis 2,5 Prozent der Bevölkerung von einer paranoiden Persönlichkeitsstörung betroffen sind – vermutlich mehr Männer als Frauen. Bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung kommt die Störung deutlich häufiger vor.

Die Betroffenen haben sehr oft andere psychische Störungen und andere Persönlichkeitsstörungen – am häufigsten eine schizotypische, seltener eine narzisstische, selbstunsichere oder Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Was sind mögliche Ursachen der paranoiden Persönlichkeitsstörung?

Als Ursache wird wie bei allen Persönlichkeitsstörungen ein Zusammenspiel von biologischen, psychischen und umweltbezogenen Faktoren angenommen.

Einerseits legen Studien nahe, dass genetisch bedingt eine Neigung zu Misstrauen besteht. Zum anderen wird vermutet, dass ungünstige Entwicklungsbedingungen in der Kindheit und Jugend zur Entstehung beitragen - insbesondere traumatische Erfahrungen wie Misshandlungen oder Vernachlässigung.

Aus psychoanalytischer Sicht wird angenommen, dass die Betroffenen in ihrer Kindheit Zurückweisung und Liebesmangel erlebt haben und besonders fordernde Eltern hatten. Deshalb empfinden sie eine übermäßige Wut und Feindseligkeit, die sie aber auf andere Menschen projizieren. Dadurch nehmen sie ihre Mitmenschen als feindselig, bedrohlich und wenig vertrauenswürdig wahr, misstrauen ihnen ständig und fühlen sich schnell verfolgt und angegriffen.

Durch das charakteristische Verhalten, zum Beispiel ständiges Misstrauen oder rechthaberisches, streitsüchtiges Verhalten, erleben sie sehr häufig zwischenmenschliche Konflikte und haben Schwierigkeiten, langfristige, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Dies kann wiederum die Symptomatik verstärken.

Wie können paranoide Persönlich­keits­stö­rungen behandelt werden?

Paranoide Per­sön­lich­keits­stö­rung­en können mit psycho­analytischen bzw. tiefen­psycho­logischen, kognitiv-verhaltens­therapeu­tischen und ggf. auch anderen Therapieansätzen behandelt werden.

Wichtige Ziele in der Therapie sind, das Vertrauen in soziale Beziehungen zu erhöhen und den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen und Bindungen zu fördern. Der Therapeut versucht dabei, den Patienten bei konkreten zwischenmenschlichen Krisen und Konflikten zu unterstützen und ihm beim Erreichen persönlicher Ziele und Wünsche zu helfen.

Psychoanalytische und tiefenpsychologisch-fundierte Therapie

Aus Sicht der Psychoanalyse ist das Verhalten der Betroffenen durch Wut und eine defensive Haltung gekennzeichnet, während sie sich im Grunde sehr nach befriedigenden Beziehungen sehnen. Deshalb wird in der Therapie versucht, diesen Wunsch zusammen mit dem Patienten zu erarbeiten. Anschließend wird nach Möglichkeiten gesucht, wie dieser Wunsch befriedigt werden kann. Der Therapeut arbeitet außerdem darauf hin, dass sich der Patient allmählich mehr öffnet und mehr über seine Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen und die damit verbundenen Gefühle spricht. Diese können dann gemeinsam mit dem Therapeuten bearbeitet und verändert werden. Deutungen, die den Betroffenen direkt mit seinen paranoiden Gedanken und Verhaltensweisen konfrontieren, sollten dagegen in der Therapie vermieden werden.

Kognitive Verhaltenstherapie

In der kognitiven Verhaltenstherapie wird ebenfalls davon ausgegangen, dass hinter dem misstrauischen Verhalten im Grunde genommen Ängste stecken. Deshalb wird zunächst versucht, den Patienten Kontrolle über ihre Ängste zu vermitteln. Eine wichtige Strategie ist dabei, ihre Selbstsicherheit zu erhöhen.

Gleichzeitig lernen die Patienten, die Absichten und Verhaltensweisen anderer Menschen genauer wahrzunehmen und so realistischer einzuschätzen. Außerdem sollen sie allmählich ungünstige Denkmuster und Werteinstellungen und deren Auswirkungen erkennen. Anschließend können sie alternative Denk- und Verhaltensweisen erlernen, die ihnen befriedigendere Beziehungen ermöglichen.

Ein weiterer wichtiger Baustein der Therapie ist das Training sozialer Fertigkeiten. Hier können die Patienten neue zwischenmenschliche Fähigkeiten einüben, die es ihnen erlauben, allmählich befriedigendere Beziehungen aufzubauen.

Interpersonelle Therapie (nach Sullivan)

Hier werden Elemente aus tiefenpsychologischen und verhaltenstherapeutischen Ansätzen kombiniert. Der Therapeut erkennt an, dass die paranoiden Gedanken oft auch einen wahren Kern haben können. Dabei wird das misstrauische Verhalten als eine Art Selbstschutz verstanden. In der Therapie wird versucht, Schwierigkeiten in den zwischenmenschlichen Beziehungen an konkreten Beispielen herauszuarbeiten. Anschließend sucht der Therapeut gemeinsam mit dem Patienten nach konkreten neuen Verhaltensmöglichkeiten, die es ihm erlauben, persönliche Ziele besser zu erreichen. Außerdem lernen die Patienten, mit Stress- und Konfliktsituationen im Alltag anders umzugehen, so dass sie auch hier ihre persönlichen Bedürfnisse besser verwirklichen können.

Mögliche Probleme in der Psychotherapie und Lösungsansätze

Die Betroffenen kommen nur sehr selten von sich aus in eine Therapie und sind, falls sie von anderen geschickt werden, oft nicht besonders motiviert. Ein problematischer Aspekt in der Therapie ist, dass die Patienten sich oft auch dem Therapeuten gegenüber misstrauisch verhalten und sein Verhalten ständig hinterfragen. Oft zeigen sie auch Widerstand gegen die Therapie, kooperieren zum Beispiel nicht oder brechen die Therapie vorzeitig ab. Deshalb wird bei allen therapeutischen Richtungen besonderer Wert darauf gelegt, allmählich eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung aufzubauen. Außerdem gilt es als wichtig, die Therapie möglichst transparent zu gestalten – also die einzelnen Vorgehensweisen und ihren Sinn klar zu machen und den Patienten an allen Entscheidungen im Therapieprozess zu beteiligen.

Weiterhin kommt es oft vor, dass die Patienten rechthaberisch sind und darauf beharren, dass die Schuld ihrer Probleme allein bei anderen liege. Der Therapeut sollte sich dann vor allem daran orientieren, aus welchen Gründen der Patient in die Therapie kommt – und mit ihm konkrete Lösungsmöglichkeiten für seine Probleme suchen. Dagegen wird es von den meisten Therapeuten nicht als sinnvoll angesehen, den Betroffenen direkt mit seinen paranoiden gedanklichen Mustern zu konfrontieren.

Therapie mit Psychopharmaka

In der Praxis werden bei Patienten mit paranoider Persönlichkeitsstörung häufig auch Psychopharmaka eingesetzt – zum Beispiel, um verzerrtes Denken oder Aggressivität zu verringern oder um gleichzeitig bestehende psychische Störungen wie Ängste oder Depressionen zu behandeln. Allerdings gibt es bisher keine systematischen Untersuchungen dazu, ob und wieweit Psychopharmaka die Symptome einer paranoiden Persönlichkeitsstörung wirksam verändern können.

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