Persönlichkeitsmerkmale als störende Belastung (Seite 13/16)

Abhängige Persönlichkeits­störung

Dependent - Passives, unterwürfiges, angepasstes Verhalten ohne Selbstbewusstsein

Typisch für eine dependente (auch: abhängige oder asthenische) Persönlichkeitsstörung ist, dass sich die Betroffenen passiv und unterwürfig verhalten, wenig Selbstbewusstsein haben und sich stark an andere anpassen. Sie neigen dazu, sich an nahestehende Menschen zu klammern, zeigen wenig Eigeninitiative und übernehmen ungern die Verantwortung. Bei eigenen Fehlern oder Missgeschicken neigen sie dazu, die Verantwortung anderen zuzuschieben. Insgesamt tendieren sie zu einer depressiven Stimmung und starken Trennungsängsten. Wenn eine enge Beziehung tatsächlich endet, fühlen sie sich völlig hilflos und innerlich zerstört.

Sabine, 28 Jahre alt, ist eine ruhige Frau, die nicht gern im Mittelpunkt steht. Sie hat wenig Selbstbewusstsein, und wenn jemand sie fragt, was sie will oder welche Meinung sie zu etwas hat, kann sie nichts dazu sagen oder richtet sich nach der Meinung der anderen. Auch eigene Bedürfnisse kann sie nicht angeben. Diese hat sie seit ihrer Kindheit immer den Bedürfnissen anderer untergeordnet.

Sabine verbringt sehr viel Zeit mit ihrem Freund, obwohl er sie häufig respektlos behandelt, ihr unangenehme Aufgaben überlässt und sie sogar schlägt. Sabine lässt sich das alles gefallen, weil sie um jeden Preis versorgt werden will und große Angst hat, verlassen zu werden. Immer, wenn sie für ein paar Stunden allein ist, fühlt sie sich sehr unwohl. Ihre Gedanken kreisen dann ständig um die Angst, allein gelassen zu werden und für sich selbst sorgen zu müssen.

Als ihr Freund sie überraschend verlässt, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie übernachtet nun fast immer bei einer Freundin, weil sie es nicht aushält, allein zu sein. Schon nach kurzer Zeit lernt sie einen neuen Mann kennen, mit dem sie eine Beziehung beginnt. Dieser ist eher selbstbewusst und weiß, was er vom Leben will. Sabine überlässt fast alle Lebensentscheidungen und kleinen Entscheidungen im Alltag ihrem Partner – wo sie wohnen, mit wem sie Freundschaft schließen, wie sie ihr Zuhause gestalten, was sie am Wochenende machen, und so weiter.

Mit der Zeit wird Sabines Anhänglichkeit für ihren neuen Freund zur Last. Als er in eine neue Abteilung wechselt und beruflich viel unterwegs ist, weiß Sabine nicht mehr weiter. Beide sind sich einig, dass es so nicht weitergehen kann, und Sabine entscheidet sich – vor allem auf das Drängen ihres Freundes – für eine Therapie.

Übergänge zur Normalität – dependenter Persönlichkeitsstil (nach Kuhl & Kazén)

Menschen mit einem abhängigen Persönlichkeitsstil – der einer dependenten Persönlichkeitsstörung ähnelt, aber weniger stark ausgeprägt ist – sind anderen gegenüber sehr loyal. Sie ordnen oft ihre eigenen Wünsche denen anderer Menschen unter und verhalten sich gegenüber nahestehenden Menschen anhänglich. Außerdem haben sie eine gute Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und mit anderen zu kooperieren. Durch diese Eigenschaften haben sie – im Gegensatz zu Patienten mit einer dependenten Persönlichkeitsstörung – oft einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Sie arbeiten oft in Berufen, in denen Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit eine Rolle spielen, zum Beispiel als Pfleger oder Sozialarbeiter.

Welche Symptome sind typisch für eine dependente Persönlichkeitsstörung?

Die Betroffenen haben nach DSM ein tiefgreifendes und überstarkes Bedürfnis, versorgt zu werden, das zu unterwürfigem und anklammerndem Verhalten und Trennungsängsten führt. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

  1. Die Betroffenen haben Schwierigkeiten, alltägliche Entscheidungen zu treffen, ohne ausgiebig den Rat und die Bestätigung anderer einzuholen.
  2. Sie benötigen andere, damit diese die Verantwortung für ihre wichtigsten Lebensbereiche übernehmen.
  3. Sie haben Schwierigkeiten, anderen gegenüber eine andere Meinung zu vertreten – aus Angst, dann deren Unterstützung und Zustimmung zu verlieren.
  4. Es fällt ihnen schwer, Unternehmungen selbst zu beginnen oder Dinge unabhängig durchzuführen – und zwar weniger aus mangelnder Motivation oder Tatkraft, sondern eher durch mangelndes Vertrauen in die eigene Urteilskraft oder in die eigenen Fähigkeiten.
  5. Sie tun alles Erdenkliche, um sich die Versorgung und Zuwendung anderer zu erhalten – bis hin zur freiwilligen Übernahme unangenehmer Tätigkeiten.
  6. Sie fühlen sich alleine unwohl oder hilflos – aus übertriebener Angst, nicht für sich selbst sorgen zu können.
  7. Wenn eine enge Beziehung endet, suchen sie dringend eine andere Beziehung als Quelle der Fürsorge und Unterstützung.
  8. Sie sind in unrealistischer Weise von der Angst eingenommen, verlassen zu werden und für sich selbst sorgen zu müssen.
  9. Nach einer Trennung haben sie das Gefühl, am Leben vorbei zu laufen.
  10. Sie haben ein Gefühl von innerer Leere.

Die Merkmale in der ICD-10 entsprechen im Wesentlichen denen im DSM.

Wie häufig kommt eine dependente Persönlichkeitsstörung vor?

Man geht davon aus, dass etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung von einer dependenten Persönlichkeitsstörung betroffen sind – Männer etwa genauso häufig wie Frauen.

Zusammen mit der Störung treten häufig Angststörungen, Depressionen oder somatoforme Störungen (vielfältige körperliche Symptome, die eine psychische Ursache haben) auf. Außerdem werden hier oft weitere Persönlichkeitsstörungen beobachtet, zum Beispiel eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung.

Was sind mögliche Ursachen der dependenten Persönlichkeitsstörung?

Man nimmt an, dass die Störung durch ein Zusammenspiel von biologischen, psychischen und umweltbezogenen Faktoren entsteht.

Die psychoanalytische Theorie geht davon aus, dass die Störung durch Faktoren in der frühen Kindheit entsteht. Es wird angenommen, die Eltern der Betroffenen sehr behütend und liebevoll oder aber behütend und autoritär waren. Dadurch könnten sie Unsicherheitsgefühle und Trennungsängste beim Kind verstärkt und so abhängiges Verhalten gefördert haben.

Auch aus Sicht der kognitiven Verhaltenstherapie könnte es sein, dass die Eltern unabhängiges Verhalten und die Ablösung ihrer Kinder verhindern wollten – und deshalb abhängiges Verhalten belohnt und unabhängiges Handeln bestraft haben.

Außerdem könnten die Betroffenen das Verhalten auch von ihren Eltern übernommen haben (Lernen am Modell). In der Folge entwickeln sie nur wenig Selbstvertrauen, aber auch nicht die Fähigkeiten, um selbständig Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und eigenständig Handlungen in Angriff zu nehmen. Darüber hinaus haben die Betroffenen aus Sicht der kognitiven Theorie ungünstige Überzeugungen über sich selbst und ihre Umwelt: Sie sehen sich als hilflos und unfähig an und glauben, dass sie stets auf andere angewiesen sind, die ihnen Schutz und Unterstützung geben können.

Behandlung von dependenten Persönlichkeitsstörungen

Psychotherapeutische Ansätze

Der wichtigste Ansatz zur Behandlung einer dependenten Persönlichkeitsstörung ist eine Psychotherapie. Die Betroffenen suchen häufig dann eine Therapie auf, wenn sie eine wichtige Bezugsperson verloren haben – zum Beispiel durch eine Trennung oder einen Todesfall. Sie fühlen sich dann oft völlig hilflos und wissen nicht, wie sie mit den Anforderungen und Entscheidungen, die jetzt von ihnen verlangt werden, umgehen sollen.

Im Vergleich zu anderen Persönlichkeitsstörungen ist eine Therapie oft relativ erfolgreich. Wichtige Aspekte der Therapie sind, die Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Patienten zu fördern, ihre Kompetenzen im Umgang mit alltäglichen Aufgaben und Entscheidungen zu verbessern und ihre sozialen Fähigkeiten zu erhöhen. Dabei werden häufig ähnliche Methoden verwendet wie bei einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung.

Mögliche Probleme in der Psychotherapie und Lösungsansätze

Ein Problem in der Therapie ist, dass die Betroffenen zwar einerseits gut kooperieren, sich andererseits aber sehr passiv verhalten und die gesamte Verantwortung für eine Veränderung dem Therapeuten überlassen. Deshalb ist ein wichtiges Ziel der Therapie, die Selbständigkeit und Eigenverantwortung zu fördern. Hier ist es häufig sinnvoll, die Patienten behutsam über ihr abhängiges Verhalten und die dadurch entstehenden Probleme aufzuklären. Anschließend können dann Veränderungen hin zu mehr Autonomie eingeleitet werden.

Oft kommt es vor, dass nahe Bezugspersonen wie der Ehepartner oder die Eltern das dependente Verhalten unbewusst aufrechterhalten und verstärken – zum Beispiel, indem sie dem Patienten ständig Entscheidungen und die Verantwortung abnehmen. Aus diesem Grund ist es günstig, die Bezugspersonen in die Therapie einzubeziehen.

Psychoanalytische und tiefenpsychologisch-fundierte Therapie

Aus Sicht der Psychoanalyse entsteht eine dependente Persönlichkeitsstörung durch ähnliche Faktoren wie eine Depression. Deshalb werden hier häufig ähnliche Behandlungsstrategien eingesetzt. In der Therapie sollen die unbewussten inneren Konflikte, die durch negative Erfahrungen in der Kindheit entstanden sind, allmählich bewusst gemacht und mit der Zeit aufgelöst werden. Es wird angenommen, dass die Patienten ihr Bedürfnis nach Abhängigkeit auch auf die Therapiesituation übertragen, so dass dies in der Therapie bearbeitet werden kann. Außerdem sollen die Betroffenen allmählich lernen, eigene Wünsche, Interessen und Stärken besser wahrzunehmen und die Angst vor dem Verlust wichtiger Beziehungspersonen zu überwinden.

Kognitive Verhaltenstherapie

Die Inhalte der Therapie sind - ähnlich wie bei der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung. Wichtige Aspekte der Therapie sind, die Betroffenen über die Ursachen, Symptome und Folgen ihrer Störung aufzuklären, die sozialen Fähigkeiten zu verbessern und die Eigenständigkeit zu erhöhen. So können sie in einem Selbstsicherheitstraining üben, ihre Wünsche und Bedürfnisse in sozialen Beziehungen besser auszudrücken oder angemessen Kritik zu üben. Weiterhin wird die tiefgreifende Überzeugung der eigenen Unfähigkeit und Hilflosigkeit in der Therapie hinterfragt und allmählich verändert.

Gruppentherapie

Eine Gruppentherapie kann bei der Störung gute Erfolge erzielen. Hier können die Betroffenen die Erfahrung machen, dass auch andere mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, und können sich gegenseitig Unterstützung geben. Außerdem können die anderen Teilnehmer als Modelle dafür dienen, wie man selbstsicherer auftreten, Gefühle angemessener ausdrücken oder mit Problemen anders umgehen kann.

Therapie mit Psychopharmaka

In manchen Fällen werden begleitend zur Psychotherapie Antidepressiva verordnet – vor allem dann, wenn die Betroffenen gleichzeitig an einer Depression leiden. Durch Medikamente allein lassen sich aber meist keine langfristigen Verbesserungen erreichen.

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