Persönlichkeitsmerkmale als störende Belastung (Seite 9/16)

Borderline

Emotional instabile Persönlichkeitsstörung

Charakteristisch für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung oder emotional-instabile Persönlichkeitsstörung sind impulsives Verhalten und starke Schwankungen in den Gefühlen, dem Selbstbild und zwischenmenschlichen Beziehungen. Menschen mit Borderline-Syndrom (borderline = "Grenzlinie") haben oft weitere psychische Beeinträchtigungen, vor allem Depressionen, selbstverletzendes Verhalten und dissoziative Symptome – das heißt, sie erleben sich selbst oder ihre Umgebung als unwirklich oder können sich zeitweise nicht an Aspekte ihrer Vergangenheit erinnern.

Durch ihr impulsives Verhalten neigen sie dazu, sich selbst zu schaden oder in Gefahr bringen. So tendieren viele Betroffene zum Missbrauch von Alkohol oder Drogen, haben Fressanfälle, gehen riskante sexuelle Kontakte ein, fahren riskant Auto oder verletzen sich selbst (zum Beispiel Aufritzen der Arme).

Auch Versuche, sich das Leben zu nehmen, kommen häufig vor. Sie sind oft ein vermeintlicher „Ausweg“ aus psychischen Krisen oder ein Versuch, das Gefühl der chronischen Leere zu beenden oder von anderen Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen.

Anna ist 17 Jahre alt, als sie in eine Psychotherapie kommt. Aus ihrer Lebensgeschichte geht hervor, dass ihr Vater in ihrer Kindheit selten zuhause war, die Familie oft anschrie und seine Frau schlug. Als Anna zehn Jahre alt war, starb ihr zwei Jahre älterer Bruder bei einem Autounfall. Die Mutter wurde dadurch depressiv und klammerte sich von jetzt an an ihre Tochter. Sie konzentrierte ihre ganze Liebe und Fürsorge auf Anna – in manchen Momenten ignorierte sie ihre Tochter und deren Bedürfnisse aber auch völlig. Der Vater trank von jetzt an vermehrt Alkohol und schlug sie und ihre Mutter immer wieder. Anna hatte deshalb Schuldgefühle. Auch, weil sie ihre Mutter nicht richtig beschützen konnte.

In der Schule hat Anna lange Zeit kaum Freunde. Im Grunde sehnt sie sich aber nach Freundschaften, Anerkennung und Liebe. Sie ist glücklich, als sie mit zwölf Jahren endlich von einer Clique aufgenommen wird. Dort wird allerdings viel Alkohol getrunken und später auch mit Drogen experimentiert. Mit der Zeit lassen Annas Leistungen in der Schule immer mehr nach, sie schwänzt die Schule und verhält sich ihren Mitschülern gegenüber aggressiv.

Wenn jemand an Anna Interesse zeigt oder sie jemanden näher kennenlernt, neigt sie dazu, schnell viel von sich zu erzählen und schnell intensive Gefühle zu entwickeln. Sie erwartet, dass ihr Gegenüber sich ähnlich verhält, wird dabei aber immer wieder enttäuscht. Den anderen wird das intensive, gefühlsgeladene Verhältnis meist irgendwann zu viel und sie ziehen sich vor ihr zurück. Das führt dazu, dass Anna aus Angst, enttäuscht oder ausgenutzt zu werden, viele Kontakte selbst abrupt abbricht. Außerdem neigt sie dazu, andere Menschen mal zu idealisieren und dann wieder aus heiterem Himmel abzuwerten, so dass sie sich ebenfalls oft aus dem Kontakt zurückziehen.

Mit der Zeit entwickelt Anna eine Essstörung, weil ihr das kontrollierte Essen ein Gefühl der Kontrolle über sich und ihre Umgebung gibt. Sie fühlt sich oft depressiv, wütend oder völlig leer. Sie hat keine langfristigen Ziele, empfindet bei allem Langeweile und fängt deshalb an, sich die Arme aufzuritzen. Als ihre Lehrerin sie dabei auf der Toilette erwischt, gesteht sie ihr, dass sie ihr Leben nicht mehr im Griff hat. Daraufhin hilft die Lehrerin ihr dabei, einen Therapieplatz zu finden.

Übergänge zur Normalität: emotional-instabiler Persönlichkeitsstil (nach Kuhl & Kazén)

Menschen mit einem emotional-instabilen Persönlichkeitsstil – also Eigenschaften, die einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ähneln, aber weniger stark ausgeprägt sind – sind spontan und teilweise sprunghaft. Sie reagieren auf vieles sehr emotional – bei positiven Dingen mit großer Begeisterungsfähigkeit, bei Ereignissen und Menschen, die ihnen nicht passen, aber auch sehr ablehnend und impulsiv bis aggressiv. Die Betroffenen sind häufig sehr flexibel, lassen sich durch ihre Gefühle leiten und können sich dadurch gut an unterschiedliche Situationen anpassen. Außerdem sind sie wenig nachtragend, so dass ihr Ärger oder ihre negative Einstellung gegenüber anderen nach kurzer Zeit wieder verflogen sein können.

Welche Symptome sind typisch für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung?

Bei Borderline besteht nach DSM ein tiefgreifendes Muster der Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Gefühlen und eine deutliche Impulsivität. Der Beginn der Störung liegt oft in der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter, und die Störung zeigt sich in verschiedenen Lebensbereichen. Es müssen mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

  1. Die Betroffenen bemühen sich stark darum, ein tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden durch andere Menschen zu vermeiden.
  2. Es besteht ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen. Dieses ist durch einen Wechsel zwischen extremer Idealisierung und extremer Entwertung gekennzeichnet.
  3. Die Betroffenen haben eine ausgeprägte und andauernde Instabilität im Selbstbild oder in der Selbstwahrnehmung.
  4. Sie verhalten sich impulsiv in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen. So kommt es zum Beispiel zum Missbrauch von Drogen oder Alkohol, zu promiskuitiver Sexualität, riskantem Autofahren oder extrem ausgeprägtem Essverhalten.
  5. Die Betroffenen versuchen wiederholt, sich das Leben zu nehmen, machen Selbstmordandeutungen oder -androhungen oder verletzen sich wiederholt selbst.
  6. Sie reagieren auf verschiedene Gegebenheiten sehr stark emotional, was zu ausgeprägten Stimmungsschwankungen führt. So können sie abwechselnd sehr niedergeschlagen, gereizt oder ängstlich sein. Diese Verstimmungen dauern normalerweise einige Stunden und selten mehr als ein paar Tage an.
  7. Sie haben ein chronisches Gefühl der Leere.
  8. Sie zeigen heftige, unangemessene Wut oder haben Schwierigkeiten, ihre Wut zu kontrollieren. Dies zeigt sich darin, dass sie häufig Wutausbrüche haben, andauernd wütend sind oder immer wieder in körperliche Auseinandersetzungen geraten.
  9. Durch Belastungen kann es vorübergehend zu paranoiden Vorstellungen oder schweren dissoziativen Symptomen kommen.

Die ICD-10 geht von einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung mit zwei Unterformen aus: Einem Borderline-Typ und einem „impulsiven Typ“.

Demnach besteht bei einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung die starke Tendenz, Impulse ohne Berücksichtigung der Konsequenzen in Handlungen umzusetzen. Die Betroffenen haben eine unvorhersehbare und launenhafte Stimmung, neigen zu emotionalen Ausbrüchen und sind unfähig, ihr impulsives Verhalten zu kontrollieren. Außerdem besteht eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen – vor allem dann, wenn die impulsiven Handlungen durchkreuzt oder behindert werden.

Der impulsive Typ ist dabei vor allem durch starke Gefühlsschwankungen und eine mangelnde Impulskontrolle gekennzeichnet. Der Borderline-Typ entspricht im Wesentlichen den Kriterien im DSM.

Wie häufig kommt Borderline vor?

Aus Studien geht hervor, dass ein bis vier Prozent der Bevölkerung von der Störung betroffen sind. Dabei sind etwa drei Viertel der Patienten weiblich und ein Viertel männlich. Bei männlichen Patienten zeigt sich die Symptomatik oft etwas anders als bei weiblichen: Hier tritt häufig mehr aggressives und antisoziales Verhalten auf. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Borderline-Symptomatik mit zunehmendem Alter abschwächt oder zu anderen Störungsbildern hin verlagert, insbesondere zu einer Depression.

Bei Borderline kommen sehr häufig auch weitere psychische Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen vor. So leiden 80 Prozent oder mehr gleichzeitig an einer Depression. Auch ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder anderen Substanzen kommt sehr oft vor. Etwa 15 Prozent der Betroffenen haben gleichzeitig eine Essstörung, vor allem Bulimie, aber auch Magersucht (Anorexie). Darüber hinaus werden häufig psychosomatische Symptome wie Kopfschmerzen oder Magenprobleme beobachtet.

Ein großes Problem bei der Borderline-Störung ist, dass das Risiko einer Selbsttötung sehr hoch ist. So versuchen ungefähr 70 Prozent der Betroffenen mindestens einmal, sich das Leben zu nehmen, und etwa fünf bis zehn Prozent sterben tatsächlich bei einem Suizidversuch. Auch aus diesem Grund ist es sehr wichtig, die Störung rechtzeitig zu erkennen und mit geeigneten Methoden zu behandeln.

Was sind mögliche Ursachen des Borderline-Syndroms?

Wie bei den anderen Persön­lich­keits­störungen wird auch hier ein Zusammenspiel von biologischen, psychischen und umweltbezogenen Faktoren angenommen. Dabei wurden die unterschiedlichen Ursachen bei einer Borderline-Persön­lichkeits­störung schon relativ ausführlich untersucht.

Genetische und neurobiologische Ursachen

Studien legen nahe, dass genetische Faktoren die Entstehung von Borderline begünstigen können. Sie könnten bestimmte Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen und die Neigung erhöhen, auf ungünstige Umwelteinflüsse besonders sensibel zu reagieren. So scheint die Neigung zu wechselhaften Gefühlen und zu einem instabilen Selbstbild durch genetische Faktoren mitbedingt zu sein. Eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt sich aber erst dann, wenn gleichzeitig ungünstige Umweltbedingungen vorliegen.

Weiterhin wurde bei den Betroffenen eine geringere Aktivität des Botenstoffs Serotonin im Gehirn nachgewiesen. Dies könnte erklären, warum sie zu Impulsivität und Aggressivität neigen. Auch eine erhöhte Empfindlichkeit des Systems für den Botenstoff Acetylcholin wurde beobachtet – was wiederum erklären könnte, warum die Betroffenen emotional sensibel reagieren und eine labile Stimmung haben.

Andere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Amygdala im Gehirn bei Borderline-Patienten verkleinert, aber auch stärker erregbar ist als bei Gesunden. Auch beim Hippocampus wurden Verkleinerungen beobachtet. Die Amygdala ist eine Region, die Gefühle wie Angst und die Reaktion auf Stress und traumatische Erfahrungen reguliert, der Hippocampus ist für wichtige Gedächtnisfunktionen zuständig. Veränderungen in diesen Hirnregionen könnten dazu beitragen, dass jemand Gefühle schlechter verarbeiten kann und stärker auf emotionale Reize reagiert, und dass sich gefühlsbeladene Situationen stärker ins Gedächtnis einprägen.

Psychische und umweltbezogene Faktoren

Aus psychoanalytischer Sicht tragen ungünstige Erfahrungen in der Kindheit wie Vernachlässigung, Gewalterfahrungen und sexueller Missbrauch dazu bei, dass eine Borderline-Störung entsteht. Dies können sowohl einzelne, traumatische Erfahrungen sein als auch länger anhaltende, ungünstige zwischenmenschliche Beziehungen. Diese Erfahrungen führen dazu, dass die Betroffenen wenig Selbstwertgefühl entwickeln und nicht in der Lage sind, mit Trennungen zurechtzukommen.

Der Psychoanalytiker Manfred Cierpka nimmt an, dass zwei Arten von Familien die Entstehung der Störung begünstigen: Zum einen „chaotisch-instabile“, zum anderen „vernachlässigende und emotional missbrauchende Familien“. „Chaotisch-instabile Familien“ sind dadurch gekennzeichnet, dass häufig Ehekrisen und Streitigkeiten vorkommen, ein oder beide Eltern zu Alkohol- oder Drogenkonsum neigen und es häufig zu sehr impulsiven, emotionalen Szenen kommt. In „vernachlässigenden und emotional missbrauchenden Familien“ zeigen die Eltern ihrem Kind gegenüber wenig Gefühle, gehen nicht auf seine Bedürfnisse ein, vernachlässigen es und lassen es wiederholt lange Zeit allein. Die typischen Verhaltensweisen der Eltern könnten dazu führen, dass die Betroffenen nicht lernen, ihre eigenen Gefühle zu erkennen und mit ihnen umzugehen.

Auch in Studien hat sich gezeigt, dass Borderline-Patienten in ihrer Kindheit häufig in einem ungünstigen Umfeld aufgewachsen sind, in dem sie Vernachlässigung, Missbrauch und ein zurückweisendes Verhalten der Eltern erlebt haben. Außerdem lassen sich in den Familien der Betroffenen häufig Trennungen, Scheidungen und Todesfälle beobachten. Es kommt auch vor, dass ein oder beide Elternteile selbst an einer Borderline-Störung leiden. Hier könnten sowohl genetische Faktoren als auch Lernbedingungen dazu beitragen, dass auch die Kinder die Störung entwickeln.

Behandlung von Borderline-Persönlichkeits­störungen

Psychotherapeutische Ansätze

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist die Persönlichkeitsstörung, die bisher am besten untersucht ist und für die die meisten Therapiekonzepte entwickelt wurden. Dabei steht bei alle Therapieformen die Beziehung zwischen Therapeut und Patient im Mittelpunkt der Behandlung.

Ein wichtiges Ziel bei allen Therapieansätzen ist, die oft stark gestörte Identität der Betroffenen zu verändern und zu festigen. Außerdem soll ihre Neigung zu starken, wechselhaften Gefühlen und zu wechselhaftem, unberechenbaren Verhalten in Beziehungen verändert werden. Weiterhin soll ihnen deutlich gemacht werden, dass Struktur und das Einhalten bestimmter Regeln wichtig für ein funktionierendes Leben sind und auch ihr Selbstwertgefühl stärken können. Weil die Betroffenen häufig in Krisen geraten, ist es darüber hinaus wichtig, einen individuell abgestimmten Krisenplan zu entwickeln, der Reaktionsmöglichkeiten im Fall einer Krise aufzeigt.

Mögliche Probleme in der Psychotherapie und Lösungsansätze

Eine Therapie mit Borderline-Patienten ist oft schwierig, weil es ihnen schwerfällt, eine konstruktive, dauerhafte Therapiebeziehung einzugehen. Durch ihre vielfältigen negativen Erfahrungen fällt es ihnen oft schwer, Vertrauen zu einem Therapeuten aufzubauen. Sie neigen in der Therapie zu sehr wechselhaften Gefühlen und ändern oft ihre Haltung dem Therapeuten gegenüber abrupt – zum Beispiel idealisieren sie ihn zeitweise und werten ihn dann wieder stark ab. Vor allem, wenn schwierige oder angstauslösende Themen angesprochen werden, reagieren die Betroffenen oft aggressiv, ziehen sich stark zurück oder brechen die Therapie abrupt ab.

Deshalb ist es besonders wichtig, eine gute, tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen, bei der den Patienten ein grundlegendes Gefühl von Sicherheit vermittelt wird. Dabei hat sich gezeigt, dass Therapien vor allem dann erfolgreich sind, wenn den Therapeuten das Wohl ihrer Patienten wirklich am Herzen liegt und sie sich aktiv darum bemühen.

Allerdings neigen die Betroffenen auch dazu, die Tragfähigkeit der therapeutischen Beziehung immer wieder zu testen – zum Beispiel, indem sie sich nicht an Vereinbarungen halten oder den Therapeuten schlecht machen. Der Therapeut sollte sich in diesen Fällen weiterhin wertschätzend und unterstützend verhalten und deutlich machen, dass die therapeutische Beziehung trotzdem Bestand hat – auf der anderen Seite sollte er aber auch klare Grenzen setzen.

Auch der Abschluss einer Therapie gestaltet sich oft schwierig, weil die Betroffenen starke Trennungsängste haben. Sie versuchen dann oft, das Therapieende hinauszuzögern, indem sie wieder stärker zu krisenhaftem Verhalten neigen. Deshalb ist es wichtig, von Anfang an klar zu machen, dass die Therapie nur eine begrenzte Zeit dauert. Gegen Ende wird der Abstand zwischen den Therapiesitzungen allmählich erhöht. Der Therapeut steht aber oft weiterhin (zum Beispiel telefonisch) zur Verfügung, wenn die Patienten in Krisen geraten und Hilfe benötigen.

Psychoanalytische und tiefenpsychologisch-fundierte Therapie

Es gibt eine Reihe psychoanalytischer und tiefenpsychologisch-fundierter Therapieansätze für die Borderline-Persönlichkeitsstörung und Ansätze, die auf psychoanalytischen Therapien basieren. Eine wichtige Rolle in der psychoanalytischen Therapie spielt die Gegenübertragung. Damit ist gemeint, dass jeder Patient beim Therapeuten bestimmte Gefühle auslöst. Durch die starken emotionalen Reaktionen von Borderline-Patienten entstehen oft auch beim Therapeuten starke Gefühle. Diese könne ihm Informationen über die Patienten geben, aus denen er wichtige Therapiestrategien ableiten kann.

Häufig wird diskutiert, ob so genannte konfrontative oder supportative Therapieformen bei der Borderline- Persönlichkeitsstörung geeigneter sind. Bei konfrontativen Ansätzen wird stärker direkt an den Konflikten und Impulsen der Patienten gearbeitet und ihr typisches Verhalten analysiert und gedeutet. Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass konfrontative Ansätze vor allem bei schwer beeinträchtigten Patienten wenig geeignet sind und sogar ungünstige Auswirkungen haben können.

Bei supportativen Therapien steht dagegen ein einfühlsames, unterstützendes Verhalten des Therapeuten im Vordergrund. Dadurch soll eine Atmosphäre geschaffen werden, in der die Patienten unbewusste Konflikte, Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen, ihr geringes Selbstwertgefühl und das Gefühl der inneren Leere bearbeiten können. Außerdem wird bei supportativen Therapien betont, dass sich die Therapie mehr an den Stärken und Bewältigungsmöglichkeiten der Patienten als an ihren Defiziten orientieren sollte.

Psychoanalytische und tiefenpsychologische Therapieformen können insgesamt gute und langfristige Erfolge bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung erzielen. Dabei können sie Aspekte der Persönlichkeit zumindest zu einem gewissen Grad verändern.

a. Übertragungsfokussierte Therapie (nach Kernberg, Yeomans und Clarkin)

Bei dieser Therapieform steht die Deutung der Übertragung im Vordergrund. Übertragung bedeutet, dass der Patient Gefühle, Erwartungen und Wünsche aus früheren Beziehungen in der Kindheit unbewusst auf neue soziale Beziehungen überträgt. Der Therapeut verhält sich bei diesem Therapieansatz neutral und zurückhaltend und deutet die Gefühle und das Verhalten des Patienten, die in der Therapiebeziehung entstehen.

Viele Therapeuten stehen diesem Ansatz jedoch kritisch gegenüber, weil die direkte Konfrontation mit problematischen Gefühlen und zwischenmenschlichem Verhalten ungünstige Auswirkungen haben kann und die Wahrscheinlichkeit für einen Therapieabbruch erhöht. Deshalb wird empfohlen, diese Therapieform nur bei weniger schwer beeinträchtigen Patienten und einer sehr vertrauensvollen Therapiebeziehung durchzuführen.

b. Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (nach Bateman und Fonagy)

Das Ziel dieser Therapieform ist es, die so genannte Mentalisierungsfähigkeit des Patienten zu verbessern. Der Therapeut versucht dabei, sich stets der verschiedenen emotionalen Zustände des Patienten bewusst zu sein, um ihre Hintergründe zu verstehen und so die extremen emotionalen Zustände allmählich zu verändern. Auf diese Weise lernt auch der Patient mit der Zeit, seine emotionalen Zustände und die Hintergründe seines Handelns besser zu verstehen und zu verändern. Die mentalisierungsbasierte Therapie hat in Untersuchungen gute und langfristige Erfolge gezeigt, außerdem ist hier die Abbruchquote relativ niedrig.

Kognitive Verhaltenstherapie: Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan

Auch bei der kognitiven Verhaltenstherapie gibt es eine Reihe verschiedener Ansätze. Als der wichtigste gilt die dialektische-behaviorale Therapie nach Marsha Linehan. Sie basiert auf dem so genannten neurobehavioralen Modell, das als Ursache der Borderline-Persönlichkeitsstörung ein Zusammenspiel von genetischen Faktoren, Besonderheiten im Gehirn und ungünstigen Einflüssen in der Kindheit annimmt.

Die Therapie zielt darauf ab, typische Verhaltensstrategien der Patienten wie manipulatives Verhalten allmählich zu verändern und Gegensätze, die die Betroffenen erleben, allmählich aufzulösen. Dabei sollen vor allem die Ressourcen der Patienten aktiviert und ihre psychischen und sozialen Kompetenzen gefördert werden. Der Therapeut verhält sich den Patienten gegenüber einfühlsam und fürsorglich und ermöglicht ihnen bei Krisen auch telefonische Kontakte zwischen den Therapiesitzungen.

Bei der DBT nehmen die Patienten zeitgleich an einer Einzeltherapie und einer Gruppentherapie teil. Um eine Übertragung der Veränderungen ins tägliche Leben zu ermöglichen, werden auch Hausaufgaben verwendet – zum Beispiel Tagebuchaufzeichnungen oder konkrete Übungen zwischen den Stunden.

Die Einzeltherapie dient dazu, individuelle Probleme der Patienten zu bearbeiten. Dabei sollen sie sich mit den Folgen ihrer Impulsivität und ihrem selbst- und fremdschädigenden Verhalten auseinandersetzen. Der Therapeut versucht, gemeinsam mit dem Patienten die Hintergründe seiner Gefühlsausbrüche herauszufinden und sucht nach Möglichkeiten, wie er seine Bedürfnisse auf eine geeignetere Art befriedigen kann.

In der Gruppe sollen die Patienten aktiv neue Fähigkeiten erwerben. Dabei erhalten sie zunächst Informationen über Möglichkeiten zum Umgang mit Stress, Techniken der Selbstkontrolle und alternatives Verhalten in sozialen Beziehungen. Beim so genannten Achtsamkeitstraining üben sie Strategien, um ihre Aufmerksamkeit auf das momentane innere Erleben zu richten, emotionale Spannung besser auszuhalten und ihre Gefühle besser zu regulieren. Durch die Arbeit in der Gruppe können die Patienten Unterstützung durch andere zu erfahren und die Erfahrung machen, neue, positive Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen.

Die DBT hat bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung gute Erfolge erzielt und wird oft als Therapie der ersten Wahl angesehen. Auch die Abbruchraten sind hier relativ niedrig.

Traumatherapie

Weil viele Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung im Lauf ihres Lebens traumatische Erfahrungen gemacht haben und oft auch Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zeigen, werden auch Therapieansätze aus der Traumabehandlung eingesetzt. Am Anfang steht dabei eine Stabilisierung der Betroffenen im Vordergrund. Anschließend können spezifische Strategien wie das „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“ (EMDR) eigesetzt werden, um die traumatischen Erlebnisse gezielt zu bearbeiten.

Familientherapeutische Ansätze

Die Symptome einer Borderline-Persönlichkeitsstörung werden stark durch zwischenmenschliche Konflikte und Beziehungsmuster beeinflusst – insbesondere in der Familie. Deshalb ist es oft sinnvoll, die Eltern und Geschwister oder den Partner und die Kinder des Patienten in die Therapie einzubeziehen. In der Therapie sollen ungünstige Beziehungsmuster in der Familie erkannt und durch geeignetere ersetzt werden. Dies kann sowohl für die Betroffenen selbst als auch für ihre Angehörigen, die meist ebenfalls unter der Störung des Patienten leiden, sehr hilfreich sein.

In manchen Fällen wird eine Familien- oder Paartherapie auch parallel zu einer Einzeltherapie durchgeführt.

Therapie mit Psychopharmaka

Wegen der vielfältigen und oft schweren Symptome einer Borderline-Störung ist es oft sinnvoll, bei der Behandlung auch Psychopharmaka einzusetzen. Die Auswahl der Medikamente richtet sich dabei vor allem nach den Symptomen, die im Vordergrund stehen. Meist wird empfohlen, Psychopharmaka nur in Kombination mit einer Psychotherapie zu verwenden und die Einnahme eng zu überwachen, weil manche Medikamente das Selbsttötungsrisiko erhöhen können. Außerdem besteht sonst die Gefahr, dass die Patienten die Medikamente missbrauchen oder sie eigenständig absetzen.

Am häufigsten kommen bei einer Borderline-Störung Antidepressiva zum Einsatz. Dabei haben sich vor allem Antidepressiva aus der Gruppe der selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) als günstig erwiesen. Sie können eine depressive Symptomatik, Ängste, aber auch aggressive Impulse und den Drang, sich selbst zu verletzen, reduzieren.

Teilweise werden auch Neuroleptika verordnet, und zwar vor allem bei impulsivem Verhalten, Selbsttötungs-Tendenzen und bei psychotischen Symptomen wie Wahnvorstellungen. Um schwere Nebenwirkungen wie anhaltende Bewegungsstörungen (Dyskinesien) zu vermeiden, werden meist neuere, atypische Neuroleptika gegeben.

Teilweise werden auch Stimmungsstabilisierer, wie sie bei manisch-depressiven Erkrankungen eingesetzt werden, verordnet.

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