Neurodiversität (Seite 6/8)

Psychotherapie und Behandlung

Manche Betroffene kommen mit dem Leben gut zurecht, gehen einem Beruf nach, leben in einer Beziehung und haben Kinder. Andere brauchen in jedem Lebensbereich Unterstützung und werden nie unabhängig leben können. Menschen mit Autismus sind sehr unterschiedlich und deshalb muss eine Psychotherapie auch sehr individuell abgestimmt sein.

Autismus selbst ist nicht heilbar. Viele Betroffene erleben ihren Autismus als zu sich selbst gehörig und möchten kein völlig anderer Mensch werden, sondern besser für sich selbst sorgen können und sich kompetenter darin fühlen, ihre Umwelt richtig einschätzen zu können.

Bei einer Psychotherapie geht es deshalb nicht darum, die Betroffenen von Autismus zu heilen, sondern die Betroffenen in ihren Bedürfnissen so zu unterstützen, dass sie unabhängiger und selbstwirksamer leben können.

Betroffene leiden häufig unter Ängsten, Depressionen, Traumatisierungen, Ticks und Zwängen. Diese Störungen können psychotherapeutisch sehr gut behandelt werden.

Psychoedukation

Gerade betroffene Menschen benötigen viel Wissen über Autismus, damit sie verstehen können, warum sie sich häufig anders verhalten als ihre Umwelt, warum sie andere Menschen oft nicht verstehen können. Je besser sie sich selbst verstehen, desto besser können sie mit sich selbst umgehen. Das betrifft vor allem ihren Umgang mit ihren Gefühlen, aber auch mit denen anderer Menschen, ihren Umgang mit Stress, ihre soziale Interaktion. Bereits eine gute Psychoedukation kann dazu beitragen, dass Betroffene störende Symptome besser akzeptieren können und auch auf diese Weise beispielsweise ihre Identität gestärkt wird.

Psychoedukation hilft auch, neuro-typische Menschen besser in ihrer Kommunikation und ihrem Verhalten zu verstehen. Dass Small Talk beispielsweise die Funktion hat, einen unverbindlichen Erstkontakt mit fremden Menschen zu knüpfen oder sich des sozialen Klimas in der Arbeit oder auch bei Freizeitbeschäftigungen zu vergewissern, verstehen Betroffene nicht intuitiv. Sie können es aber lernen.

Psychoedukation bedeutet, Betroffenen und unter Umständen auch deren Angehörigen Diagnosen, psychische Störungen oder Psychotherapie so verständlich zu erklären oder sogar zu übersetzen, damit sie besser verstehen, worum es geht und sie selbst besser für sich sorgen können.

Die Psychotherapie ist vor allem dann erfolgreich, wenn sie multimodal aufgebaut ist. Das bedeutet, neben Psychotherapie sind soziale Trainings oder sensorische Integrationstherapie sinnvoll.

Folgende Therapieformen gelten als erfolgversprechend

Für die Autismus-Spektrum-Störung gibt es verschiedene verhaltenstherapeutische Verfahren.

Applied-Behaviour-Analysis (ABA)

Die Applied-Behaviour-Analysis (ABA) ist eine Verhaltensanalyse, die an autistische Störungen angepasst ist. Sie wird vor allem bei betroffenen Kindern eingesetzt, aber auch bei Erwachsenen. ABA zielt darauf ab, dass sich Betroffene mehr und mehr in ihrem Verhalten ihrer Umgebung anpassen können und sozial erwünschte Verhaltensweisen aneignen. Denn Menschen mit Autismus zeigen ein eher geringes Imitationsverhalten.

Lernversuche und -erfolge werden möglichst direkt verstärkt, indem die Betroffenen eine Belohnung in Form von Nahrungsmitteln, Spielzeug oder Lob bekommen. Auf diese Weise soll eine Motivation zum Lernen aufgebaut werden. Je mehr erwünschtes Verhalten belohnt wird, desto eher wird es wiederholt.

Die mit Hilfe von ABA entwickelte generalisierte Neigung zur Imitation des Verhaltens anderer stellt eine wichtige Grundlage für das weitere Lernen dar. Genau an diesem Punkt setzt aber auch die Kritik an: Etliche Betroffene und Psychotherapeut:innen betrachten es als einen Eingriff in die Persönlichkeit der Menschen mit Autismus, dass sie unzählige Male ein gezeigtes Verhalten nachahmen müssen, bis sie es schließlich selbst ausführen können.

Autismusspezifische Verhaltenstherapie (AVT)

Die Autismusspezifische Verhaltenstherapie (AVT) ist eine Methode zur Behandlung speziell von frühkindlichem Autismus, mit der Kinder ihr Sozialverhalten und ihre Emotionalität verbessern lernen.

Mit Hilfe der AVT lernt das Kind in einen sozialen Kontakt zu treten, angemessen zu kommunizieren und Verständnis und Umgang mit Emotionen zu entwickeln. Je früher die AVT zum Einsatz kommt, desto besser sind die Ergebnisse.

Beispielsweise kann das kompensatorische Erlernen von mimischen und gestischen Ausdrücken sinnvoll sein, wenn ein Betroffener dadurch die Möglichkeit bekommt, zwischen natürlichem und kompensierendem Verhalten zu wählen. Das kompensierende Verhalten darf jedoch nicht zum Zwang werden, denn es geht schließlich darum, dass die Betroffenen sich insgesamt freier entfalten dürfen.

Kognitive Verhaltenstherapie

Dieses Therapieverfahren wird in der Behandlung von Angststörungen und Depressionen eingesetzt. Die kognitive Verhaltenstherapie unterstützt Menschen dabei, nicht hilfreiche Gedanken über belastende Reize zu erkennen und alternative Denkweisen und Reaktionen auf diese zu entwickeln.

Kognitive Verhaltenstherapie kann zu einer umfassenden Verbesserung von Stimmungsstörungen führen und allgemeinere Autismusmerkmale wie eine Verringerung nicht hilfreicher Routinen oder besorgniserregender Verhaltensweisen verbessern.

Affolter-Therapie

Diese Therapie zielt darauf ab, durch Organisation beziehungsweise Reorganisation des zentralen Nervensystems, eine Verbesserung der visuellen, akustischen, motorischen und kognitiven Wahrnehmungsstörungen zu bewirken. Außerdem soll das selbstständige Handeln der Betroffenen gefördert werden.

Bobath-Konzept

Gegenstand einer Bobath Behandlung sind gezielte Pflege- und Therapiemaßnahmen, die gemeinsam mit den Patient:innen erarbeitet werden. Der Patient wird ganzheitlich und individuell betrachtet und die Therapie wird maximal in den Alltag integriert.

Differentielle Beziehungstherapie

Diese Therapie ist eine ganzheitlich orientierte, beziehungsfördernde Behandlungsmethode, die die emotionalen, geistigen und sprachlichen Fähigkeiten beim autistischen Menschen entwickeln hilft und die Betroffenen in einen sozial-kommunikativen Prozess einbezieht.

Logopädie

Mit Hilfe dieser Therapie kann man lernen, die eigene Stimme besser einzusetzen und zu modulieren.

Soziales Kompetenztraining

Vereinzelt werden soziale Kompetenztrainings für betroffene Erwachsene angeboten.

Sensorisches Integrationstraining

Wer Schwierigkeiten mit der Wahrnehmungsverarbeitung hat, kann an einem sensorischem Integrationstraining, meist im Rahmen einer Ergotherapie, teilnehmen.