Neurodiversität (Seite 3/8)

Begleiterkrankungen und berufliche Probleme

Mangels Kenntnis von und Wissen über die Erkrankungen der Autismus-Spektrum-Störung sowie aufgrund fehlender Diagnosen waren zahlreiche neurodiverse Menschen für viele Jahre auf sich allein gestellt und sind ohne eine adäquate Versorgung geblieben. Diese mittlerweile erwachsenen Betroffenen haben aufgrund dessen in ihrem Leben mit einigen Herausforderungen zu kämpfen. Viele sind im Laufe der Jahre zusätzlich an psychischen Krankheiten erkrankt oder haben vorübergehende oder andauernde berufliche Schwierigkeiten, obwohl sie oft sehr gut ausgebildet sind.

Begleiterkrankungen

Bei erwachsenen Betroffenen mit Autismus-Spektrum-Störung liegen häufig psychiatrische Begleiterkrankungen vor, vor allem affektive Störungen und Angststörungen, außerdem Schizophrenien, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrome und Zwangsstörungen.

Erwachsene Betroffene haben oft Ausgrenzung erlebt. Manche meiden aufgrund negativer Erfahrungen soziale Kontakte. Andere arbeiten sehr hart daran, so normal wie möglich zu wirken. Das erfordert eine große Anstrengung.

Wenn man immer wieder versucht, Freunde zu finden, einen Job zu finden und zu behalten, unabhängig zu leben, das eigene Leben auf die Reihe zu kriegen, und dabei regelmäßig scheitert, können Depressionen die Folge sein.

Aus dem Blickwinkel der Betroffenen ist es selbstverständlich, Ängste zu entwickeln, wenn die Außenwelt weitgehend unberechenbar und sensorisch schmerzhaft ist, wenn die Umwelt ein Verhalten einfordert, das an die Grenzen der eigenen Fähigkeiten führt, dann löst das Angst aus.

Ängste und Depressionen können auch aus der Interaktion mit einer bestimmten Umgebung heraus entstehen. Deshalb kann eine autistische Person in einer Umgebung gut zurechtkommen und in einer anderen zusammenbrechen.

Berufliche Herausforderungen

Menschen mit Asperger-Autismus haben oft große Probleme, Arbeit zu finden und zu behalten. Nicht umsonst lautet der Titel und das Fazit einer Studie, die die Situation Betroffener in Deutschland untersucht hat, „überdurchschnittlich ausgebildete Arbeitslose“.

Die Studie zeigt, dass Menschen mit Asperger überdurchschnittlich gut ausgebildet waren: 52 Prozent hatten Abitur, 39 Prozent einen Hochschulabschluss (zum Vergleich: in der Allgemeinbevölkerung lag die Abiturientenquote 2009 bei 46 Prozent und die Hochschulabsolventenquote bei 29 Prozent). Über 80 Prozent der Betroffenen verfügten über eine abgeschlossene Berufsausbildung.

In deutlichem Kontrast zur Ausbildung steht jedoch die Teilhabe am Berufsleben: Die Betroffenen waren zu fast 60 Prozent nicht berufstätig, 10 Prozent waren deutlich unter ihrem Ausbildungsniveau beschäftigt und nur 30 Prozent gingen einer regelmäßigen Berufstätigkeit nach, die ihrem Ausbildungsniveau entsprach.

Diese Studie offenbarte eine hohe Rate an Depressionen: 57 Prozent der Menschen im Autismus-Spektrum hatten eine Depression. Zum Vergleich: In der Allgemeinbevölkerung dagegen leiden sechs Prozent unter einer Depression.

Für diagnostizierte Kinder gibt es heute viel mehr Unterstützung als noch vor einigen Jahren. Sie können in der Schule von Schulbegleiter:innen unterstützt werden. Es gibt Autismus-Beauftragte an den Oberschulämtern und auch bei den Lehrkräften bildet sich allmählich ein Bewusstsein für Autismus.

Die Situation Erwachsener sieht leider immer noch ganz anders aus. Autistisches Verhalten stößt bei Kolleg:innen und Vorgesetzten auf Unverständnis. Auch Sachbearbeiter:innen im Jobcenter haben im Allgemeinen keine Ahnung von Autismus und kein Verständnis für die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Jobsuche.

Wer sich auf die Suche nach autismusspezifischer Unterstützung im Beruf macht, muss feststellen, dass es fast keine gibt. Eine Arbeitsassistenz bekommt man nur in seltensten Fällen. Es gibt zwar einige Firmen, die speziell Menschen mit Autismus beschäftigen, aber es sind sehr wenige, meist IT-fokussiert, und sie sind nicht für jeden geeignet.

Menschen im Autismus-Spektrum können beruflich erfolgreich sein,

  • wenn das Arbeitsumfeld sie nicht sensorisch überlastet,
  • wenn die Arbeit kein Multitasking erfordert,
  • wenn sie nicht ständig unterbrochen oder mit plötzlichen Veränderungen konfrontiert werden,
  • wenn die Erwartungen an ihre Arbeit klar und direkt kommuniziert werden,
  • wenn soziale Kontakte am Arbeitsplatz stark strukturiert oder minimal sind,
  • wenn Kolleg:innen und Vorgesetzte unterstützend und entgegenkommend sind oder ähnliche oder kompatible Persönlichkeiten haben.