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Bindungsstörung bei Erwachsenen: Diagnose und Therapie
Eine Trennungsangststörung kann mithilfe der gängigen Diagnose-Instrumente festgestellt werden. Wichtig ist, zugleich darauf zu achten, ob weitere psychische Störungen bestehen.
Problematische Beziehungs- und Bindungsmuster können mithilfe der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) diagnostiziert werden. Weiterhin können Interviews wie das Adult Attachment Interview (AAI) und das Adult Attachment Projektive Picture System (AAP) oder Fragebögen wie der Bochumer Bindungsfragebogen (BoBi) eingesetzt werden. Um das Bindungsverhalten von Eltern zu erfassen, kann das Parental Bonding Instrument (PBI) verwendet werden.
Psychotherapie
Leidet jemand unter einer Trennungs- oder Verlustangst oder einem problematischen Bindungsverhalten, ist es in jedem Fall sinnvoll, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Eine wichtige Botschaft lautet: Bindungsfähigkeit kann man lernen. Dabei ist eine Psychotherapie die wirksamste Methode, um Bindungsstörungen zu bewältigen. Das kann eine Einzel- oder eine Gruppentherapie sein. Bei einer Gruppentherapie zur Gestaltung von Beziehungen ist eine Abrechnung über die gesetzlichen Krankenkassen möglich.
Therapieformen
Bei der Therapie von Bindungsstörungen können verschiedene Therapieansätze zum Einsatz kommen. Oft werden bei der Behandlung Elemente aus verschiedenen Therapierichtungen kombiniert. Als hilfreich haben sich zum Beispiel eine bindungsorientierte Verhaltenstherapie, eine Systemische Therapie, bei der auch die Bezugspersonen einbezogen werden, eine Schematherapie, eine bindungszentrierte psychodynamische Therapie oder eine beziehungsorientierte psychoanalytische Kurzzeittherapie (Brief Relational Psychoanalytic Treatment) erwiesen.
Wichtige Aspekte in der Psychotherapie
Ein wichtiges Element in der Psychotherapie ist der Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung. Sie vermittelt den Betroffenen eine sichere Bindung und ermöglicht neue, günstige Bindungserfahrungen. Weiterhin können Therapeut:innen den Betroffenen Mut machen, dass positive Veränderungen möglich sind und sie zu Veränderungen motivieren.
Ziel einer Psychotherapie ist, ungünstige Beziehungs- und Bindungsmuster zu erkennen und zu verändern. Vielen Betroffenen ist zunächst gar nicht bewusst, dass ihr Bindungsverhalten problematisch ist. Wichtig ist deshalb, dass sie sich die Probleme und Ängste zunächst einmal eingestehen. Weiterhin werden die Klient:innen angeregt, ihr Verhalten kritisch zu hinterfragen und neues Verhalten auszuprobieren. Hilfreich kann es sein, gemeinsam mit der Therapeutin oder dem Therapeuten eine konkrete Beziehungssituation zu analysieren, typische Muster zu erkennen und herauszufinden, wie das aktuelle Verhalten mit früheren Bindungserfahrungen zusammenhängt. Anschließend können frühere belastende Beziehungserfahrungen und innere Verletzungen bearbeitet und überwunden werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Therapie ist, das Selbstwertgefühl und die Beziehungsfähigkeit zu verbessern. In einem sozialen Kompetenztraining können die Betroffenen allgemeine Beziehungskompetenzen lernen: Etwa, sich in andere einzufühlen, eigene Bedürfnisse angemessen zu vertreten, Nähe und Distanz zu regulieren, Schwächen einzugestehen, eigene Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren oder Konflikte und schwierige Alltagssituationen zu lösen.
Gleichzeitig ist es wichtig, eigene problematische Gefühle, Einstellungen und Verhaltensweisen in nahen Beziehungen und gegenüber sich selbst zu erkennen und zu hinterfragen. Anschließend können sie allmählich durch günstigere Einstellungen und Verhaltensweisen in Beziehungen und Bindungen ersetzt werden.
Wichtig ist, dass die Klient:innen in der Therapie Geduld und die Bereitschaft mitbringen, an ihren Problemen zu arbeiten. Denn da die Ängste oder Probleme oft durch Erfahrungen im frühen Leben entstanden sind, ist es normal, dass ihre Bewältigung Zeit braucht.
Therapie von Trennungsangst und Verlustangst
Da die Diagnose Trennungsangststörung bei Erwachsenen relativ neu ist, gibt es bisher keinen spezifischen Therapieansatz. Die Befunde zur kognitiven Verhaltenstherapie bei Angststörungen legen aber nahe, dass diese Art der Therapie auch bei Erwachsenen mit Trennungsangst wirksam sein könnte.
Auch bei Erwachsenen mit Trennungs- oder Verlustangst ist ein wichtiges Ziel der Therapie, dass die Betroffenen positive neue Erfahrungen machen, mehr Selbstvertrauen entwickeln und so die starke Angst vor einer Trennung oder einem Verlust allmählich überwinden. Die Betroffenen können angeregt werden, nach und nach mehr soziale Kontakte zu knüpfen und eigenständige Aktivitäten (z. B. ein Hobby, Sport oder eine Tätigkeit im Verein) aufzubauen. Auf diese Weise haben sie weniger das Gefühl, auf ihre Partnerin oder ihren Partner oder andere nahestehende Menschen angewiesen zu sein. Durch wiederholte vorübergehende Trennungen können sie die Erfahrung machen, dass nichts Schlimmes passiert und sie gut mit der Trennung zurechtkommen.
Bezieht sich die Trennungs- oder Verlustangst auf die Partnerin oder den Partner, ist es sinnvoll, sie oder ihn in die Therapie einzubeziehen. Durch gemeinsame Gespräche können ungünstige Muster in der Partnerschaft erkannt und verändert werden und aktuelle Konflikte geklärt werden. Durch die Gespräche können die Betroffenen Zweifel an der Treue und Loyalität ihres Partners ausräumen und Ängste bewältigen. Dem Partner oder der Partnerin kann deutlich gemacht werden, dass die Probleme mehr mit der Vergangenheit als mit der aktuellen Beziehung zu tun haben. Weiterhin kann Verständnis, Geduld und Unterstützung bei der Bewältigung der Bindungsstörung geweckt werden.
Leiden Eltern unter Trennungs- oder Verlustangst, ist es wichtig, dass sie ihre Angst nicht überhandnehmen lassen und bewältigen, damit sie sich nicht auf ihre Kinder überträgt. Sie sollten ihren Kindern ausreichend Freiheiten lassen, damit diese nicht lange unselbständig bleiben oder selbst eine Angststörung entwickeln.
Therapie im Fall von problematischem Bindungsverhalten
Hier ist es wichtig, den Konflikt zwischen dem Wunsch nach Bindung und dem Vermeiden enger Bindungen ins Bewusstsein zu bringen und die Hintergründe aufzuarbeiten.
Therapie weiterer psychischer Störungen
Bestehen neben einem problematischen Bindungsverhalten andere psychische Störungen, sollten sie in der Therapie mitbehandelt werden. Hängen die Probleme mit einem Trauma zusammen, sollte dies traumatherapeutisch behandelt werden. Dazu gehört, zunächst Schutz zu vermitteln, Ressourcen zu stärken und die Selbstfürsorge zu verbessern. Anschließend geht es darum, die traumatischen Erfahrungen Schritt für Schritt zu bearbeiten und zu bewältigen. Dabei wird zum Beispiel in der Vorstellung ein hilfreiches Element in die traumatischen Szenen eingebaut.
Mögliche Probleme in der Psychotherapie
Ein mögliches Problem in einer Psychotherapie ist, dass das Arbeiten an der Beziehungsstörung die therapeutische Beziehung belastet oder zu Konflikten führt. Bei den Betroffenen können zum Beispiel Enttäuschung, Wut oder Frustration auftreten. Wurde das problematische Bindungsverhalten bei der Diagnostik erfasst, kann die oder der Therapeut:in mögliche Probleme besser vorhersehen und angemessener darauf reagieren.
Wichtig ist, dass Therapeut:innen negative Gefühle als Teil des problematischen Bindungsverhaltens sehen, sie annehmen und aushalten. Solche Gefühle können sie in der Therapie thematisieren und bearbeiten. Da Menschen mit Bindungsangst menschliche Nähe und fürsorgliches Verhalten schnell als bedrohlich empfinden, sollten Therapeut:innen damit behutsam umgehen.
Selbsthilfegruppe und Coaching
Für viele Betroffene kann die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein – allein oder als Ergänzung zu einer Psychotherapie. Hier können sie die Erfahrung machen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein dastehen. Sie erfahren Verständnis von anderen, können sich gegenseitig unterstützen und sich hilfreiche Tipps geben.
Bei weniger stark ausgeprägten Problemen kann auch ein Single- oder Beziehungscoaching hilfreich sein. Die Kosten dafür werden in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen.
Die Rolle der Angehörigen
Eine Trennungs- oder Verlustangst oder problematisches Bindungsverhalten können auch für die Partnerin oder den Partner und andere nahe Bezugspersonen belastend sein. Durch die Ängste kommt es häufig zu Konflikten in der Partnerschaft, die Beziehung leidet und nicht selten kommt es auch zu einer Trennung.
Auf der einen Seite ist es wichtig, dass Angehörige die Betroffenen bei der Bewältigung ihrer Ängste und Probleme unterstützen. Dabei müssen sie oft viel Liebe, Verständnis und Geduld mitbringen. Auf der anderen Seite sollten Angehörige auch auf ihre eigenen Bedürfnisse achten. Leidet ihr Angehöriger an einer Trennungs- oder Verlustangst, ist es wichtig, dass sie sich Freiräume schaffen und sich nicht zu stark kontrollieren lassen.
Hilfreich kann es sein, eigene Wünsche und Bedürfnisse offen anzusprechen. Weiterhin können Angehörige das Verhalten, das sie als problematisch empfinden, offen und ohne Vorwürfe thematisieren. Dadurch können sie auch herausfinden, ob den Betroffenen ihr problematisches Beziehungsverhalten überhaupt bewusst ist.