Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit (Seite 6/8)

Prozesse im Gehirn verändern

Mehr Selbstkontrolle durch vielversprechende Verfahren

Da der Missbrauch und die Abhängigkeit von Substanzen wie Alkohol, Drogen, Nikotin oder Medikamenten in vielen Fällen schwer zu behandeln sind und es bei den Betroffenen immer wieder zu Rückfällen kommt, arbeiten Wissenschaftler daran, neue Therapieansätze zu entwickeln, mit denen die Sucht möglichst langfristig überwunden werden kann. Manche Ansätze haben bei einer kleineren Zahl von Patienten bereits vielversprechende Ergebnisse gezeigt.

Repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS)

Bei der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation werden Spulen mit starken Magnetfeldern über dem Schädel platziert, die wiederholte (repetitive) magnetische Impulse abgeben und dadurch bestimmte Hirnareale stimulieren oder hemmen können.

Die rTMS wird schon seit einigen Jahren bei der Behandlung von schweren, nicht auf Medikamente ansprechende Depressionen eingesetzt. Ihre antidepressive Wirksamkeit gilt als erwiesen.

In der Erforschung des Nutzens der rTMS bei affektiven Störungen, Zwangsstörungen, Migräne oder chronischen Schmerzen hat sich gezeigt, dass die Stimulation die Aktivität in den stimulierten Hirnregionen verändern kann und dieser Effekt einige Stunden bis Tage anhalten kann. Ob die Stimulation zu einer langfristigen Besserung psychischer und neurologischer Erkrankungen betragen kann, muss in weiteren Studien untersucht werden.

Forscher vermuten, dass bei Patienten mit Suchterkrankungen eine Stimulation von Regionen im Stirnhirn, also im präfrontalen Cortex, die für die Selbstkontrolle zuständig sind, das unstillbare Verlangen nach der Substanz unterdrücken und dazu beitragen kann, das eigene Verhalten wieder besser kontrollieren zu können.

Außerdem nehmen sie an, dass die Stimulation mit rTMS Nervenverbindungen, die durch den Drogenkonsum geschädigt sind, wieder aktivieren und so zu einer Normalisierung der Vorgänge im Gehirn beitragen kann. In kleineren Studien wurde die Wirksamkeit von rTMS bisher bei Nikotin-, Alkohol-, Psychostimulanzien-, Cannabis-, Kokain- und Heroinabhängigkeit untersucht. In einer kleinen Pilotstudie mit 16 kokainabhängigen Probanden waren nach einer einmonatigen Behandlung mit rTMS deutlich mehr Probanden clean als in der Kontrollgruppe. Zudem war ihr Verlangen nach der Substanz deutlich geringer als bei den Kontrollprobanden.

In anderen kleineren Studien konnte gezeigt werden, dass durch rTMS das Verlangen nach Nikotin und Heroin vermindert wurde, während bei Alkohol und Cannabis bisher kein eindeutig positiver Effekt nachgewiesen wurde.

Ob rTMS tatsächlich zu einer erfolgreichen Behandlung von Suchterkrankungen beitragen kann, muss daher in weiteren, groß angelegten und placebokontrollierten Studien untersucht werden.

Die rTMS ist mit geringen Nebenwirkungen verbunden. Einige Probanden berichten nach der Behandlung über Kopfschmerzen. Die rTMS sollte jedoch nicht bei Patienten mit epileptischen Anfällen in der Vorgeschichte angewendet werden, da die Behandlung das Risiko epileptischer Anfälle erhöhen kann.

Kontrolle über das eigene Verhalten zurückerlangen

Andere Forschergruppen untersuchen, wie bestimmte Therapiemaßnahmen Prozesse im Gehirn verändern. Auf diese Weise hoffen sie, Mechanismen zu entdecken, die für die Entwicklung neuer Therapieansätze zur Überwindung der Abhängigkeit genutzt werden können.

So hat eine Studie gezeigt, dass verschiedene kognitive beziehungsweise psychologische Behandlungsansätze bei Drogenabhängigen Netzwerke im Stirnhirn, die für die Selbstkontrolle zuständig sind, stärken können. Zudem sind sie in der Lage, die erhöhte Aktivität in Belohnungsnetzwerken, die mit dem starken Verlangen nach der Substanz zusammenhängt, abzuschwächen.

Zu den untersuchten Ansätzen gehörten die kognitive Verhaltenstherapie, die kognitive Hemmung des Cravings, also des starken Verlangens nach der Droge, motivationale Ansätze, Maßnahmen der Emotionsregulation, Achtsamkeit und das Neurofeedback-Training. Bei Letzterem wird den Probanden ihre eigene Hirnaktivität rückgemeldet und sie können lernen, diese willentlich zu beeinflussen.

Solche Ansätze könnten dazu beizutragen, die verringerte Aktivität in präfrontalen Hirnregionen bei Abhängigkeitserkrankungen zu normalisieren. Das könnte wiederum dazu führen, dass die Betroffenen wieder mehr Kontrolle über ihr eigenes Verhalten haben.