Umfrage Psychotherapie in Deutschland 2008

Studie zur Seelischen Gesundheit und Psychotherapeutischen Versorgung

20.02.2009 Von Fritz Propach und Mathias Petri

  • Wie wichtig ist der deutschen Bevölkerung die eigene seelische Gesundheit?
  • Und wie zufrieden sind die Menschen mit der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland?
  • Wie sehr wurde den Patienten durch eine Psychotherapie geholfen?
  • Gibt es Unterschiede in den Altersklassen oder zwischen Stadt und Land?
  • Antworten auf diese und weitere Fragen suchte der gemeinnützige Verein Pro Psychotherapie e.V. in einer bundesweiten Umfrage, deren Ergebnisse jetzt vorliegen.

Anlässlich des Welttags der Geistigen Gesundheit am 10. Oktober 2008 präsentiert der Verein die Auswertung seiner bevölkerungsrepräsentativ quotierten deutschlandweiten Onlineumfrage zu Bedürfnissen und Erfahrungen im Zusammenhang mit Psychotherapie.

Persönliche Bedeutung der seelischen Gesundheit

Im Durchschnitt sehen fast alle Befragten die Bedeutung der seelischen Gesundheit als "wichtig" an. Immerhin 72% aller Umfrageteilnehmer halten die eigene seelische Gesundheit für "sehr wichtig".

Bei den Befragten mit Erfahrung in Psychotherapie liegt dieser Anteil sogar bei 85%. Bei denjenigen, die sich als „sehr stark belastet“ einschätzen steigt der Anteil auf 100%. Bemerkenswert erscheint andererseits aber auch, dass von den befragten Personen, die angaben, dass ihnen die Psychotherapie „sehr geholfen hat“, überdurchschnittliche 92% die seelische Gesundheit für „sehr wichtig“ halten. Das spricht für einen positiven Einfluss der Psychotherapie auf die seelische Gesundheit und ein gesteigertes Wohlbefinden nach der Psychotherapie.

Jüngere messen Ihrer seelischen Gesundheit etwas weniger Bedeutung zu, mit zunehmendem Alter steigt die Bedeutung an. Dies steht im Zusammenhang mit der weniger stark empfundenen Belastung der Jüngeren (s.u.). Im ländlichen Raum wird der seelischen Gesundheit geringfügig weniger Bedeutung zugemessen; ein Zusammenhang mit der Schulbildung konnte nicht gefunden werden.

Subjektiv empfundene Belastung

Rund die Hälfte aller Befragten fühlt sich derzeit (eher) belastet, wobei sich Frauen etwas mehr belastet fühlen als Männer (25% der Frauen „belastet“ bis „sehr stark belastet“ im Verhältnis zu 17% bei den Männern).

Das Klischee vom „einfachen Leben auf dem Lande“ wird durch die Umfrageergebnisse gestützt: während sich dort lediglich 1% als „sehr stark belastet“ einschätzen sind es in der Stadt bereits 6% und in der Großstadt sogar 12%.

Dass die empfundene Belastung mit zunehmendem Alter etwas steigt, dürfte an der höheren Belastbarkeit jüngerer Menschen liegen, da es kaum objektive Gründe für eine Zunahme der Belastung gibt (Berufseinstieg, Karriere, Familiengründung, Scheidung etc. sind eher zwischen 20 und 50 Jahren auftretende Belastungen). Allerdings scheint ein wichtiger Belastungsfaktor die Erwerbstätigkeit zu sein, da in der Altersgruppe über 60 Jahren die subjektive Belastung deutlich absinkt (von 60% auf 36%). In diesem Sinn lässt sich auch die gefundene höhere Belastung mit höherem Schulabschluss interpretieren; die damit einhergehenden Arbeitsanforderungen werden komplexer.

Wahrscheinlichkeit der Aufnahme einer Psychotherapie in 12 Monaten

Resultiert nun aus den obigen Einschätzungen der Wunsch mit Hilfe einer Psychotherapie die Belastungen zu meistern und zu einer positiven seelischen Gesundheit zu gelangen?

Ja, der Wunsch ist auf jeden Fall vorhanden. Von allen Befragten, die sich als belastet einschätzen, halten 17% der Befragten es für „wahrscheinlich“ bis „sehr wahrscheinlich“, dass Sie eine Psychotherapie beginnen werden. Je größer die subjektiv empfundene Belastung ist, umso höher wird diese Einschätzung.

Mit der Höhe der Schulbildung sinkt tendenziell die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit. Gründe hierfür mögen eine andere (realistischere?) Selbsteinschätzung oder der Eindruck sein, dass man aufgrund der höheren empfundenen (beruflichen) Belastung „keine Zeit“ für eine Psychotherapie hat.

Personen, die früher bereits einmal eine Psychotherapie gemacht haben, halten die erneute Aufnahme einer Psychotherapie gut dreimal so oft für wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich wie Menschen, die noch keine Erfahrungen mit Psychotherapie gemacht haben: 31% zu 9%. Bereits vorhandene Erfahrungen mit Psychotherapie helfen offensichtlich dabei, die sonst häufig vorhandenen Hemmungen gegenüber der Psychotherapie und dem Eingestehen der eigenen Hilfsbedürftigkeit abzubauen und somit Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Personen, die gerade auf der Suche nach einem Psychotherapeuten sind, halten zwar zu 84% die Aufnahme einer Psychotherapie zumindest für „eher wahrscheinlich“, jedoch nur 21% für „sehr wahrscheinlich“. Die bisher erfahrenen Schwierigkeiten einen geeigneten Behandler erst einmal zu finden dürfte für die zurückhaltende Einschätzung maßgeblich sein (s.u.).

Erfahrung mit Psychotherapie

38% der Befragten haben bereits einmal nach einem Therapeuten gesucht, allerdings haben davon nur zwei von drei Personen tatsächlich eine Psychotherapie angefangen. Circa jeder Vierte davon befindet sich noch auf der Suche und jeder Achte hat die Suche bereits aufgegeben.

Mehr Frauen als Männer suchen und finden einen Psychotherapeuten.

Hinsichtlich des Wohnortes und der Bildung haben sich keine nennenswerten Unterschiede gezeigt. Tendenziell haben Menschen mit zunehmendem Alter bereits häufiger eine Psychotherapie gemacht. Die Zunahme mit dem Alter wird dadurch verständlich, dass ältere Menschen einfach schon länger Zeit als jüngere Befragte hatten, eine Psychotherapie zu machen. In diesem Zusammenhang fällt es besonders auf, dass dies nicht für die über 60-Jährigen gilt, hier haben im Verhältnis weniger Menschen eine Psychotherapie gemacht. Die Vermutung liegt nahe, dass „man“ früher keine Psychotherapie gemacht hat, da ihre gesellschaftliche Akzeptanz (noch) niedriger war, als sie es heute ist.

Fast drei Viertel aller Umfrageteilnehmer, die schon einmal eine Therapie gemacht haben, sagen, dass ihnen die Therapie auch geholfen hat.

Lediglich 5% der befragten Personen meinten, dass ihnen die Therapie überhaupt nichts gebracht habe.

Diese Zahlen lassen sich unterschiedlich bewerten: In Anbetracht der Schwierigkeiten, einen kompetenten Behandler zu finden, eventuell längere Zeit auf einen Therapieplatz warten zu müssen, an einen Psychotherapeuten zu geraten mit dem die „Chemie“ nicht stimmt, einem eventuell zu frühen Ende der Therapie, weil die Krankenkasse keine weiteren Stunden zahlt usw., könnte man die Erfolgsquote als relativ hoch bezeichnen. Andererseits könnte man ebenso argumentieren, dass ein Anteil von 29% der Patienten, denen eine Therapie wenig bis gar nicht geholfen hat, einfach noch zu groß ist. Vermutlich ließe sich bei den meisten der genannten Punkte Abhilfe schaffen und somit die Erfolgsquote weiter erhöhen.

Bei 82% der Befragten wurden die Kosten von der Krankenkasse übernommen, 18% haben die Psychotherapie selbst bezahlt.

Die Psychotherapeutensuche: Wege und Schwierigkeiten

Insbesondere im ländlichen Raum ist mit 47% der Hausarzt die wichtigste Anlaufstelle bei der Suche nach einem Psychotherapeuten. In der Großstadt hingegen finden lediglich 19% der Suchenden einen Therapeuten über den Hausarzt, aber 42% durch Gespräche mit Freunden, Bekannten und Verwandten. Dies mag zum einen daran liegen, dass auf dem Land die ersten Informationen zu einer Psychotherapie häufiger vom Hausarzt kommen, da dort aufgrund einer vermutlich geringeren Akzeptanz von psychischen Problemen seltener der Bekanntenkreis befragt wird. Zum anderen dürfte es auch daraus resultieren, dass dort insgesamt mehr Menschen einen Hausarzt aufsuchen, während (Groß-)Städter bei gesundheitlichen Problemen gleich zum Facharzt anstatt zum Hausarzt gehen.

Zwei Drittel der Befragten, die bereits einmal einen Psychotherapeuten gesucht haben, fanden die Suche nach einem geeigneten Therapeuten „schwer“ bis „sehr schwer“. Sogar bei der Gruppe derer, die tatsächlich einen Therapeuten gefunden haben, fand die Hälfte die Suche zumindest „eher schwer“.

Nach den Gründen für die Schwierigkeiten bei der Suche befragt, waren die beiden häufigsten Nennungen, dass zu den Therapeuten kein Vertrauen aufgebaut werden konnte und dass es insgesamt zu wenige Therapeuten gibt bzw. die Wartezeiten bis zum Beginn einer Therapie zu lange sind. Weitere Nennungen waren ein als undurchsichtig empfundenes Angebot und mangelnde Informationen insgesamt sowie der Eindruck, dass aufgesuchte Therapeuten als nicht kompetent oder hilfreich eingeschätzt wurden.

Häufig haben Suchende selbst noch Vorbehalte gegenüber einer Psychotherapie, die aus Ängsten, Scham oder falschen Vorstellungen über Psychotherapie resultieren können. Wahrscheinlich sind diese Vorbehalte der Grund, dass Menschen, die bereits Erfahrungen mit Psychotherapie gesammelt haben und so bestehende Vorurteile abbauen konnten, rund dreimal eher bereit sind, wieder eine Psychotherapie zu beginnen (s.o. unter „Wahrscheinlichkeit der Aufnahme einer Psychotherapie in 12 Monaten“).

Psychotherapeutische Versorgung ist weniger gut als ihr Ruf

Neben den persönlichen Erfahrungen wurden alle Studienteilnehmer auch nach Ihrer Zufriedenheit mit der psychotherapeutischen Versorgung (PTV) insgesamt befragt. Hier zeigen sich deutlich Unterschiede im Ruf der PTV zwischen Personen, die selbst noch keine eigenen Erfahrungen gemacht haben und jenen, die bereits selbst Therapieerfahrungen haben:

Während mehr als zwei Drittel der Befragten ohne eigene Therapieerfahrung die Versorgung (eher) positiv einschätzen, sinkt die Zufriedenheit bei Menschen mit solcher Erfahrung auf die Hälfte. Die Gründe für die Unzufriedenheit entsprechen dabei teilweise den Gründen für die Schwierigkeiten bei der Therapeutensuche: zu wenig Therapeuten bzw. zu lange Wartezeiten, nicht hilfreiche Therapeuten und Schwierigkeiten bei der Finanzierung.

Gute Erfahrungen hingegen gehen einher mit einer positiveren Einschätzung der PTV: wem durch eine Therapie geholfen werden konnte, beurteilt die Versorgungslage positiver, als jene, die Ihre Therapie als nicht so erfolgreich einschätzten.

Details zur Studie

In der Zeit vom 11. bis 16. September 2008 haben sich 350 bevölkerungsrepräsentativ ausgewählte Personen aus bundesweiten Haushalten online an der Studie beteiligt und zu insgesamt sieben inhaltlichen und zu vier soziodemographischen Fragen Auskunft gegeben. Die Studie wurde von der Research Now GmbH aus Hamburg durchgeführt.